Süddeutsche Zeitung

Kino:Familiäre Anarchie

In seiner Filmkomödie "Zuhause ist es am schönsten" mixt der italienische Regisseur Gabriele Muccino seine Hollywooderfahrung mit traditionellem Italokino.

Von Fritz Göttler

Das ist schon ziemlich lächerlich, dieser Anblick einer Gruppe Männer und Frauen, die dahineilen und ihre Rollköfferchen nach sich ziehen, zielstrebig und unermüdlich und nicht aufzuhalten, als wären Mensch und Koffer ein mechanisches Perpetuum mobile. Im neuen Film von Gabriele Muccino - "Zu Hause ist es am schönsten" - ist eine solche Gruppe auf dem Weg zur Fähre, die sie zurückbringen soll aufs Festland, endlich, in ihren Alltag, in die Normalität. Der Wind wirbelt ihnen durchs Haar und schlägt ihre Jacken auf.

Vor ein paar Tagen sind sie, ähnlich dynamisch und entschlossen, auf die Insel Ischia gekommen, wo die Mutter und der Vater ihren Lebensabend verbringen und nun ihre Goldene Hochzeit feiern wollten. Alle ihre Kinder haben sie eingeladen, zwei Söhne und eine Tochter, und deren Ehepartner, inklusive einer Ex, die Enkel und alle möglichen weiteren Verwandten. Eine brisante Mischung, ein Konzentrat satter, arrangierter, erfolgreicher italienischer Bürgerlichkeit. Die Wiederbegegnungen auf der Fähre und beim Fest waren formell bis herzlich, bemüht lebhaft, die Zeremonien in der Kirche und am Familientisch effektiv geplant, und schon machten am nächsten Morgen alle sich rollkofferig wieder auf den Weg, froh, dass doch alles ganz verträglich absolviert worden war, nur der Neffe Riccardo hat es nicht geschafft, sein Anliegen vorzubringen, er ist mal wieder geschäftlich nicht erfolgreich gewesen und braucht Geld, und seine Freundin kriegt ein Baby.

In der Nacht aber hatte es einen heftigen Sturm gegeben, und die Fähre verkehrt deshalb nicht an diesem Tag. Das Zusammensein wird - die schlimmstmögliche familiäre Entwicklung - prolongiert, ein wenig so wie die bourgeoise Abendgesellschaft zusammengezwungen wird in Buñuels "Würgeengel". Nun bröckeln Fassaden der Wohlanständigkeit, es gibt Angiftungen und Gemeinheiten, Eifersucht und Hass und Gewalt. Nur der Sohn Diego bleibt fürs Erste gelassen, er hat am nächsten Tag einen wichtigen Termin, den er nicht verpassen darf, und ziemlich schnell weiß man, das wird kein geschäftlicher sein.

Muccinos Film ist eine hybride Konstruktion, er verschmilzt die Formen der populären italienischen Komödie mit den großbürgerlichen Etüden von Visconti oder Bertolucci aus den Sechzigern und Siebzigern. Stefania Sandrelli als die Mutter und Sandra Milo als die Schwester des Vaters verkörpern diese Zeit und ihre Inszenierung und ihre sinnliche Rätselhaftigkeit. Muccino hat viele Jahre in Hollywood gearbeitet und aus Amerika den Kameramann Shane Hurlbut mitgebracht. Mit Will Smith und dessen Sohn hat er den erfolgreichen "The Pursuit of Happyness" gemacht, das heißt, er geht auch nach seiner Rückkehr zum italienischen Kino immer vom Raum aus, in dem seine Figuren sich bewegen, und nicht von den Figuren selbst, was sich manchmal reibt mit ihrer Vitalität. Die Sätze und Gesten, all die individuellen Impulse sind zusammengesetzt mit komplexen Kamerabewegungen, zu einem abstrakten Muster.

Einmal löst sich das Arabeske, um das Muccino bemüht ist, in schönste familiäre Anarchie. Riccardo hat sich ans Klavier gesetzt und spielt und singt ein Lied von der "Bella senz'anima", der schönen Seelenlosen. "Und jetzt zieh dich aus", heißt es da, "wie du das so gut kannst, aber täusch dich nicht, darauf fall ich nicht mehr rein ... du wirst mir nachtrauern." Es ist ein Lied, das bitter ist und doch in die Zukunft gerichtet, Und alle kommen am Flügel zusammen und stimmen ein. Sehr fröhlich und sehr, sehr aggressiv.

A casa tutti bene, I 2018 - Regie, Buch: Gabriele Muccino. Buch: G. Muccino, Paolo Costella. Mitarbeit: Sabrina Impacciatore. Kamera: Shane Hurlbut. Schnitt: Claudio Di Mauro. Mit: Stefano Accorsi, Carolina Crescentini, Elena Cucci, Tea Falco, Pierfrancesco Favino, Claudia Gerini, Massimo Ghini, Sabrina Impacciatore, Gianfelice Imparato, Sandra Milo, Stefania Sandrelli, Valeria Solarino, Gianmarco Tognazzi. Wild Bunch, 105 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 07.08.2018
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