Kino-Dramaturgie:Rette die Katze!

The Avengers: Captain America

Wenn Captain America hier zu Beginn von "The Avengers - Age of Ultron" wohl retten rennt? Keine Katze, sondern ein ganzes Dorf.

(Foto: Marvel)

Hollywood scheint all seine Blockbuster nur noch nach den Regeln eines einzelnen Drehbuchratgebers schreiben zu lassen - weshalb in jedem Film das Gleiche passiert.

Von David Steinitz

Freunde des bewegten Bildes, wir müssen über die Sache mit der Katze reden. Verbunden mit dem Warnhinweis, dass Sie nach diesem Artikel künftig überall Katzen sehen werden, wenn Sie ins Kino gehen.

Der Text, der den Blick für immer verändern könnte, ist ein schmales Taschenbüchlein, das sich zu einer Art Heiligen Schrift der Hollywood-Drehbuchautoren entwickelt hat - und das deshalb schwere Mitschuld daran trägt, dass amerikanische Filme sich immer ähnlicher werden. Sieht man sich die aufwendigen Blockbuster an, mit denen die US-Filmstudios zunehmend aggressiver um die Gunst der Zuschauer und gegen die Konkurrenz von Streaming-Diensten wie Netflix kämpfen, stellt sich oft ein Déjà-vu-Effekt ein: Alles, was wir an gigantomanischer Superhelden-Action und wilden Weltuntergangsszenarien gezeigt bekommen, scheint schon dutzendfach erzählt worden zu sein. Und zwar nicht nur thematisch, sondern auch nach dem gleichen dramaturgischen Muster. Oft lässt sich mit erschreckender Treffsicherheit vorhersagen, was in den nächsten fünf Filmminuten passieren wird. Was ist da los?

Ein einziger Flop kann ganze Jahresbilanzen in den Keller reißen

Die Studios pumpen von Jahr zu Jahr mehr Geld in die Produktion und Vermarktung ihrer Filme. Budgets von mehr als 200 Millionen Dollar sind längst keine Seltenheit mehr. Deshalb kann schon ein einziger Flop ganze Jahresbilanzen tief in den Keller reißen. Also gieren die Hollywood-Macher heute noch mehr als alle Produzenten-Generationen vor ihnen nach einem möglichst einfachen Rezept, das ihnen den Erfolg garantieren könnte. Und dieses Rezept lautet: Rette die Katze!

"Save The Cat!" heißt der Titel des eingangs erwähnten Taschenbüchleins für Drehbuchautoren, das vor zehn Jahren, im Sommer 2005, in den USA erschien. Untertitel: "Das letzte Buch übers Drehbuchschreiben, das Sie jemals brauchen werden". Der Verfasser Blake Snyder, selbst Drehbuchautor und versierter Hollywood-Insider, arbeitete damals vor allem als Berater und "Script Doctor" von diversen Produktionsfirmen. Aus dieser Erfahrung beschreibt er in "Save the Cat", wie seiner Meinung nach ein Mainstream-Film aufgebaut sein muss, damit er ein Hit wird. Betrachtet man die Entwicklung des Blockbuster-Kinos in den letzten zehn Jahren, dann kann man jetzt, quasi zum Jubiläum des Buchs, sagen: Es scheinen wirklich fast alle größeren amerikanischen Produktionen (und mittlerweile auch kleinere Independent-Filme) streng nach den Regeln dieses einen Ratgebers geschrieben zu werden.

Der Drehbuchguru sagt: damit ein Film Erfolg hat, muss der Held eine Katze retten

Im Gegensatz zu anderen Drehbuchgurus vor ihm, die lediglich grobe Richtlinien vorgaben - meist basierend auf der aristotelischen Dramentheorie -, gibt Snyder ganz konkrete Handlungsanweisungen. Womit wir bei der Katze wären. Seine These lautet: Das wichtigste Element, um möglichst viele Zuschauer für eine Geschichte zu begeistern, ist, dass diese die Hauptfigur lieben. Und das gelingt durch die "Rette die Katze"-Szene: "Es handelt sich um die Szene, in der wir den Helden zum ersten Mal kennenlernen und dieser Held etwas tut, das ihn als guten Menschen charakterisiert - wie zum Beispiel eine Katze zu retten."

Eine Katze, kann man jetzt sagen, was ist das für eine einfallslose Gutmenschenidee? Nur: Die Katze, die Snyder inspiriert hat, gibt es tatsächlich. Sie wird in Ridley Scotts Klassiker "Alien" von 1979 von Hauptdarstellerin Sigourney Weaver gerettet. Nun kann man es sich nach dem durchschlagenden Erfolg des Buchs zum Sport machen, in Filmen die Katze zu suchen, die natürlich nicht wirklich immer eine Katze ist. Aber das Prinzip bleibt stets gleich. Nehmen wir zum Beispiel den Kinohit des Jahres, "Jurassic World", der sich seit seinem Start im Juni auf Platz drei der finanziell erfolgreichsten Filme aller Zeiten katapultiert hat: Hauptdarsteller Chris Pratt arbeitet als eine Art Dino-Wärter im Gehege der gefährlichen Velociraptoren. Gleich zu Beginn stürzt einer seiner Mitarbeiter (Katze!) bei der Fütterung aus Versehen über die Absperrung, direkt vor die gierig sabbernden Mäuler. Todesmutig springt Pratt zwischen den Mann und die Monsterechsen und rettet ihn.

Oder: Disneys "Die Eisprinzessin" vom vergangenen Jahr - mittlerweile der erfolgreichste Animationsfilm aller Zeiten. Die Eiskönigin Elsa verwandelt sich im Verlauf des Films zu einer herzlosen Herrscherin, die mit ihren Händen alles in Eis und Schnee verwandeln kann. Weil der Clou des Films aber ist, dass die Zuschauer sie trotzdem auch als gute Heldin wahrnehmen sollen, wird ihre gefährliche Gabe zu Beginn ganz positiv eingeführt: Als kleines Kind baut sie mit ihrer Superkraft für ihr Schwesterchen (Katze!) riesige Schneewelten, in denen dieses abenteuerlich herumtoben und glücklich sein kann.

Snyders Checkliste gibt minutengenau vor, was wann im Film passieren muss

Dem Tipp mit der Katze lässt Snyder eine detaillierte, auf die Filmminute genau kalkulierte Checkliste folgen, was passieren muss: Bis wann muss spätestens das Thema des Films gesetzt werden (5. Minute); wann muss der Held auf seine Abenteuerreise geschickt werden (12. Minute); wann hat der Bösewicht seinen fiesesten Auftritt (zwischen der 55. und 75. Filmminute); wann muss ein "Alles ist verloren"- Moment kommen, in dem der Held seinen Tiefpunkt erlebt und kein Happy End ins Sicht zu sein scheint (75. Filmminute). Die Zeitangaben lassen sich natürlich auf alle erdenklichen Filmlängen umrechnen, Snyder geht von einer Durchschnittslaufzeit von 110 Minuten aus. Der obligatorische "Alles ist verloren"-Moment findet sich in "Jurassic World" zum Beispiel, wenn der fiese Indominus Rex den Dino-Park zerstört, alle Besucher evakuiert werden müssen und ein böser Parkmitarbeiter den Kontrollraum kapert. Oder in "Die Eisprinzessin", wenn der Märchenprinz Hans sich als Monster entpuppt und den Thron des Königreichs für sich beansprucht. All diese Elemente sammelt Snyder in einem sogenannten Beat Sheet, wo er insgesamt fünfzehn dramaturgische Taktungen aufzählt, die jeder gute Film haben müsse. Das komplette Beat Sheet, durchgespielt an Dutzenden Blockbustern mit ganz vielen Katzenbeispielen, kann man sich auf savethecat.com ansehen. Dort feiern Snyders Jünger das Manifest ihres Meisters - und bewerben ihre darauf basierenden zweitägigen Drehbuchseminare für 450 Dollar pro Person. Das Credo: praktisch jeder kann durch dieses Handbuch ein erfolgreicher Hollywoodautor werden. Trotzdem ist das Ganze ein eher zweischneidiger Erfolg, den der Urheber in dieser grausig-repetitiven Dimension nicht mehr erlebt hat. Blake Snyder starb 2009 im Alter von 51 Jahren an einer Lungenembolie. Für ihn selbst war sein Buch zunächst vor allem eine große Bestätigung, denn es wurde zum Bestseller.

Die entscheidende Frage heute muss aber lauten: Warum ist Snyders Leitfaden gerade wegen dieses großen Erfolgs problematisch für die Entwicklung des Kinos geworden? Die vielen Hits im Snyder-Beat geben ihm doch zunächst einmal - rein ökonomisch gesehen - recht.

Mehr Fließbandproduktion als kreative Innovation

Das Problem besteht darin, dass sein Rezept oft genug auch zu unglaublich fader Retortenware führt, weil es mehr zur Fließbandproduktion einlädt als zur kreativen Innovation. Stichwort Comicverfilmungen, und zwar ohne absehbares Ende. Zudem: Die Kenntnis der Zutaten allein bedeutet noch lange nicht, dass man auch gut kochen kann.

Die Filmgeschichte wurde vor allem immer dann eindrucksvoll weitergeschrieben, wenn nicht Rezepte befolgt, sondern alte Regeln rigoros gebrochen wurden. Ein berühmtes Beispiel: Auch Alfred Hitchcock, dem Meister der Spannungsdramaturgie, war das Katzenprinzip bereits bekannt. Doch verwendete er es eben gegen alle Zuschauererwartungen. Der Anfang von "Psycho" ist eine einzige Katzensympathieorgie, damit der Zuschauer die Hauptdarstellerin Janet Leigh in sein Herz schließt - und dann bringt Hitchcock sie mitten im Film, in der legendären Duschszene, einfach um. Die Hauptdarstellerin! Das hätte Blake Snyder graue Haare beschert, ist aber genau jenes dramaturgische Element, das "Psycho" zu solch einem Meisterstück macht. Weshalb man sich im Jahr 2015, in dem "Save the Cat" in seiner mittlerweile 23. Auflage verlegt wird, dringend mal wieder über ein paar wilde Zertrümmerungen des dramaturgischen Korsetts freuen würde.

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