Süddeutsche Zeitung

Kino:Distanz zur Wahrhaftigkeit

Der kompromisslose Filmpoet Eckhart Schmidt wird 80

Von Anke Sterneborg

Ein Mann und eine Frau am Strand, sie träumt von einem wilden Abenteuer in der Ferne der Weltmeere. Er meint, baden könne man doch auch hier, und überhaupt müsse er jetzt noch arbeiten. In dem 2003 in Amerika gedrehten Film "Sunset Motel" ist es wie so oft in den Filmen von Eckhart Schmidt, die Frau ist neugierig und leidenschaftlich, der Mann bremst. Immer wieder geht es in diesen Filmen um die Abgründe der Liebe, um all die Missverständnisse und Missverhältnisse, die sie so kompliziert machen, mit umgekehrten Vorzeichen in "Alphacity - abgerechnet wird nachts". In einem der schönsten Filme im 140 Filme umfassenden Werk des Autors und Regisseurs ist es die Frau, die sich zu spät für einen der um sie konkurrierenden Männer entscheidet. 40 Drehtage in einem irrlichternd nächtlichen Berlin zwischen Interconti Hotel und Olympiastadion, Stripbar und Bovril-Restaurant, eine anonyme Metropole, in der das Berlin der Achtziger konserviert ist. Zugleich eine seltene Exkursion außerhalb des vertrauten Terrains, das sich in drei Werkgruppen zwischen der Leopoldstraße in München, der Via Appia in Rom und dem Sunset Boulevard in Hollywood entfaltet.

Heute vor 80 Jahren wurde Eckhart Schmidt in der tschechischen Kleinstadt Mährisch Sternberg geboren, aufgewachsen ist er in der Nähe von Ulm, studiert hat er in München. Das Kino hat er sich als Autodidakt erobert, nach dem Muster der französischen Kollegen, zunächst als Kritiker unter anderem der Süddeutschen Zeitung. Anfang der Sechziger entstanden die ersten Spielfilme in München, wo er zusammen mit Klaus Lemke und Rudolf Thome Front gegen die Protagonisten des Oberhausener Manifests machte, für ein Kino das wilder und ungezügelter und zugleich stärker dem Publikum zugewandt ist. 1978 gründete er das Punk-Magazin S!A!U! als Forum für sperrige Filmemacher wie Fassbinder, Schroeter und Achternbusch, das er einstellte, als letzterer zum ersten Mal in der Zeit besprochen wurde. Nach einer harschen TV-Kritik wurde er geholt, um es besser zu machen und hat lange als Berater von Blacky Fuchsberger gearbeitet, während die ersten Filme entstanden, von "Jet Generation - Wie Mädchen heute Männer lieben" bis "Wie treu ist Nik?" Immer im Zentrum junge, schöne Frauen, die schöne Dinge tun, oder auch weniger schöne, wie die 17-jährige Désirée Nosbusch, die in "Der Fan" ihr Popstaridol erschlägt, zersägt und verzehrt, um ihn neu und geläutert zur Welt zu bringen, ein kleiner Skandal. Der Trash und die Hochkultur liegen nah beieinander in den Filmen des so eigensinnigen wie kompromisslosen Filmpoeten. Seine Themen fand er in der Kokain-Schickeria oder in Bravo-Reportagen über Teenager und ihre Idole, immer am Puls der Zeit, den er mit Motiven der Hochkultur anreicherte, mit Anleihen bei E.T.A. Hoffmann oder Dante. Ein Pärchen, das bei einer Ausstellungseröffnung von personifizierten Bildern angegriffen wird, die sich gegen die Ignoranz der Betrachter wehren, in "Loft". Eine Frau, die mit Blindheit dafür bezahlt, dass ihre Eltern die Familienplanung hinter die Konsumwünsche stellen, in "Das Wunder".

Auf Wahrhaftigkeit pfeift Schmidt, zelebriert stattdessen eine übersteigerte Künstlichkeit. Fließend sind die Übergänge zwischen Fotografie, Spielfilmen und Dokumentationen (mehr als 100, etwa über Schauspieler wie Jerry Lewis, Regisseure wie Douglas Sirk, Städte wie Las Vegas). Fotos fügen sich zu Bildergeschichten, Filmszenen gefrieren in Momentaufnahmen, das Spiel wird zur Pose, die Dialoge werden zu Slogans. Das Personal, allesamt Kerle und Girls, die häufig Raoul und Raphaela heißen, Typen ohne Vergangenheit und Zukunft, ohne Berufe und Bindungen, eher an die Mythen des Kinos gebunden als an psychologisierende Motive. Das gefällt nicht jedem, wurde aber unter anderen von Quentin Tarantino gefeiert, und ist in diversen Retrospektiven neu zu entdecken: von 1. bis 7. November im Werkstattkino.

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Quelle:
SZ vom 31.10.2018
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