Süddeutsche Zeitung

Kino:Die Fremde im Zug

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Liam Neeson setzt in "The Commuter" seine Karriere als Actionstar fort. Diesmal an Bord eines Pendlerzugs, in dem ihm eine fremde Frau ein unmoralisches Angebot macht.

Von Fritz Göttler

Das trifft sich ja wirklich gut ... Eben ist Michael MacCauley von seiner Firma, einer Versicherungsgesellschaft in New York, gefeuert worden. Er ist sechzig, hat ein respektables Heim, die dazugehörende Frau, in Kürze muss das Studium des Sohns finanziert werden. Kaum hat sein Zug Grand Central verlassen, um ihn auf der Hudson Line nach Hause zu bringen - einer der commuter trains, der Vorstadtzüge, die jeden Morgen eine Menge arbeitender Bürger nach New York transportieren und abends dann wieder zurück -, da setzt sich eine tolle Frau mit aufregenden zebragemusterten Schuhen, wie aus den Vierzigern, ihm gegenüber. Es ist die unergründliche Vera Farmiga, und sie hat ein Angebot, das ihm aus seiner finanziellen Zwickmühle helfen könnte. Michael soll eine Person in diesem Zug suchen und für Farmigas Auftraggeber markieren, keine näheren Angaben zu Alter oder Geschlecht. Das einzige Merkmal, das die Person auszeichnet - sie gehört nicht in diesen Zug.

Liam Neeson ist der Pendler Michael MacCauley, eine perfekte Verkörperung von amerikanischem Wohlstand und amerikanischer Monotonie. Aber auch ein Held, der sich auf ein absurdes Angebot wie das Farmigas hin mühelos in Bewegung setzen kann. 100 000 Dollar hat sie ihm verheißen, und ihre Auftraggeber haben auch noch ganz andere Mittel, um Michael zu motivieren. Das alles ist am Ende eine in entgegengesetzte Richtung brausende Version von "Mord im Orient-Express".

Zugfilme sind vielleicht das schönste Genre im amerikanischen Kino. Leider interessiert sich Regisseur Jaume Collet-Serra nicht besonders dafür. Er ist mehr auf eine weitere Variante seiner Erfolgsformel aus, die er in drei Filmen mit Liam Neeson durchgespielt hat: "Unknown", "Non-Stop" und "Run All Night". Den Ausgangspunkt für "The Commuter" hat er sich noch von Hitchcock geborgt, der das Genre wirklich liebte, das unmoralische Angebot eines Mordes auf Gegenseitigkeit, das die Geschichte von "Ein Fremder im Zug/Strangers on the Train" in Gang setzt. Schnell merkt Michael, dass es natürlich bei dem Konstrukt um dubioses Drahtziehen und Vertuschen auf höchster Ebene geht. Er war einst ein Cop bei der New Yorker Polizei und kann immer noch gewandt klettern, schießen, unter einen fahrenden Zug hechten. Neeson tut das mit sturer Eleganz und irischem Gleichmut. Seine Wandlung zum Actionstar - er war mal Oskar Schindler bei Steven Spielberg - gehört zu den erstaunlichsten Phänomenen des amerikanischen Kinos

Und irgendwie blitzt dann doch immer wieder das Zuggenre auf: die Spannung von innen und außen, die vorbeiziehende Landschaft draußen, die Geborgenheit drinnen. Kino als Bewegung und Stillstand.

The Commuter, USA 2017 - Regie: Jaume Collet-Serra. Buch: Byron Williger, Philip de Blasi. Kamera: Paul Cameron. Mit: Liam Neeson, Vera Farmiga, Patrick Wilson, Sam Neill, Elizabeth McGovern. Studiocanal, 105 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 12.01.2018
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