Süddeutsche Zeitung

Kino:Der milde Westen

Almodóvar, Malick, Loach: Auffällig viele Filme im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes handeln vom Streben nach Glück.

Von Susan Vahabzadeh

Es muss das höchste Glück für einen Filmemacher sein, wenn er einen ganz eigenen Weg gefunden hat, seine Geschichten zu erzählen, einen, der die Leinwand braucht und sonst nichts. Terrence Malick hat eine solche Handschrift gefunden, er hat zu der Naturbesessenheit seiner Filme noch eine Fragmentierung hinzugefügt, einen eigenen Rhythmus, der erst im Schneideraum entsteht und so unverwechselbar ist wie Pollocks Art zu malen. Im Wettbewerb in Cannes hat Malick nun sein neuestes Opus vorgestellt, "A Hidden Life" im weitesten Sinne eine deutsche Koproduktion, mit August Diehl in der Hauptrolle: Er spielt den österreichischen Bauern Franz Jägerstätter, der mit seiner Frau Fani ein einfaches, aber glückliches Leben führt. Als die Nationalsozialisten in Österreich die Macht übernehmen, bleibt ihr Dorf anfangs unberührt. Jägerstätter ist tief religiös und als er 1943 eingezogen wird und seinen Eid auf Hitler schwören soll, weigert er sich.

Es ist schon klar, warum Malick die Geschichte von Jägerstätter, der 2007 selig gesprochen wurde, anrührt - er ist selbst tief religiös. Aber so grandios manche Bilder und Momente in "A Hidden Life" sind, Malicks Dialogfragmente und Voiceovers taugen nicht als Medium für philosophische Erörterungen. Heute kann man sich denken, was Jägerstätter, der 1943 hingerichtet wurde, zu der Entscheidung bewogen hat. Aber welche Motivation es genau war, bleibt im Film nur zu erahnen. Was dann auch wieder schade ist - die Geschichte, wie Jägerstätter sich jeder Gruppendynamik verweigert, auf seinem Standpunkt beharrt, ist ganz aktuell und wäre es wert gewesen, vollständig erzählt zu werden.

Die größte Explosion auf der Leinwand hat bislang Dexter Fletcher verursacht, dessen "Rocketman" außer Konkurrenz gezeigt wurde. Er hätte aber auch jeden Wettbewerb geschmückt. Flechters Elton-John-Biopic, ist Musical und Beichte, und es ist voller wunderbarer, origineller Einfälle. Wenn beispielsweise Elton John, gespielt (und gesungen) von Taron Egerton, versucht, sich selbst mit Tabletten den Garaus zu machen, und in eine stilisierte Krankenhaus-Notaufnahme gebracht wird, die sich in einen Boxenstopp verwandelt, an dessen Ende der Popstar wieder auf eine Bühne katapultiert wird. "Rocketman", von John selbst mit produziert und so auch verantwortet, breitet alle Schwächen und Verletzlichkeiten seines Protagonisten aus, es gibt einige unschmeichelhafte Momente, etwa wenn Elton seinen besten Freund und Kompagnon Bernie Taupin immer wieder vor den Kopf stößt oder in seiner Einsamkeit eine Frau heiratet, obwohl er schwul ist, beispielsweise. Letztlich spielt Egerton den einsamen Jungen, der nichts mehr will, außer endlich geliebt zu werden, aber so hinreißend, dass es doch eine große Hommage ist. Der ganze Film ist wie Elton Johns Musik - sentimental und eingängig und irgendwie genial.

Wenn es ein dominierendes Thema gibt in den Filmen in der ersten Hälfte des Festivals, so ist es das Streben nach Glück. Jessica Hausners "Little Joe" beginnt in einem Treibhaus. Alice (Emily Beecham), die einen süßen Sohn hat und einen süßen, sie anhimmelnden Assistenten (Ben Wishaw), hat die perfekte Pflanze für den bindungsgestörten Großstadtbewohner geschaffen, so eine Art grünes Tamagotchi: Ihre genetisch perfektionierte Blume, nach ihrem Sohn Little Joe benannt, braucht besonders viel Fürsorge und Aufmerksamkeit, im Gegenzug verströmt sie einen Duft, der die Produktion von Glückshormonen anregt. Eine davon hat sie heimlich mit nach Hause genommen, zum echten kleinen Joe. Aber die Menschen, die im Labor mit dieser Pflanze zu tun haben, der Assistent, Joe, werden nicht glücklich, sie werden alle ein bisschen seltsam: freundlich, pflichtbewusst - und gleichgültig.

"Little Joe" ist ein Horrorfilm, "Invasion der Körperfresser" 2.0, könnte man sagen. Aber der Film ist nicht nach den Standardgesetzen des Genres gebaut. Die beklemmende, künstliche Atmosphäre des Konzerns reicht bis in die Kantine mit ihren merkwürdig gefärbten Törtchen, und die Gruselkurve steigt ganz langsam, aber stetig an. Die Österreicherin Jessica Hausner ist zum vierten Mal mit einem Film in Cannes, aber zum ersten Mal im Wettbewerb - und "Little Joe", klug und verstörend, ist der beste Beleg dafür, dass Cannes einen Weckruf gebraucht hat, um Filme von Regisseurinnen nicht an den Rand zu drängen. Kein anderer Film im diesjährigen Wettbewerb hat bislang böser und analytischer in uns hineingeschaut.

"Little Joe" wohnt ein tiefer Schrecken inne, der Film ist irgendwie eine Science Fiction; und doch könnte das, was sich Hausner da ausgedacht hat, längst passiert sein, unbemerkt, das einzige Symptom wäre eine um sich greifende freundliche Kaltherzigkeit. Das ist großartig - man kann die Welt aber auch ganz anders sehen, und es kommt doch Wahrhaftigkeit dabei heraus. Zwei der Veteranen im Wettbewerb haben auch am Wochenende ihre Filme vorgestellt, Ken Loach und Pedro Almodóvar, und beide gehen das Filmemachen ganz anders an - da ist das Filmemachen an sich das beste Mittel gegen jede Kälte.

Almodovars "Leid und Herrlichkeit" ist recht persönlich: Salvador (Antonio Banderas), ein schwuler Filmregisseur aus Madrid, ist zu krank, um zu drehen, aber ohne Kino ergibt für ihn die Welt keinen Sinn. Mit dem Hauptdarsteller seines ersten Erfolgs hat er seit dreißig Jahren nicht mehr geredet, nun sucht er ihn, und es wird ein Erinnerungsmarathon daraus. Man ist von Almodóvar flamboyantes Spektakel gewöhnt, im Vergleich dazu ist "Leid und Herrlichkeit" eher ruhig. Und es gibt in dieser Geschichte, die schon den Eindruck macht, als sei Salvador ein fiktionalisierter Almodóvar, eine merkwürdige Verschiebung. Banderas ist mehr als ein Jahrzehnt jünger als Almodóvar und erinnert sich doch an eine Kindheit in der Nachkriegszeit. Aber das macht fast nichts, weil einen Almodóvar mit so einem wunderbaren Gefühl entlässt, dass die Dinge sich finden, sogar, wenn einem hundsmiserabel zumute ist. Und das konnte er auch früher schon gut. Salvador versöhnt sich mit seiner Vergangenheit, und mit dem leisen Verfall seines Körpers - "Leid und Herrlichkeit" ist eigentlich kein Film übers Altwerden, es ist einer übers milder werden.

Ken Loach ist noch ein Jahrzehnt älter, aber schon sein Thema beweist Gespür: "Sorry We Missed You" erzählt von einem Familienvater, der das letzte Geld in einen Lieferwagen steckt, um als Paketbote zu versuchen, seinen Beitrag zum Familieneinkommen zu leisten; seine Frau ist Altenpflegerin. Beide werden ausgebeutet und bis an ihre Grenzen getrieben, es bleibt keine Zeit mehr für die Kinder, für irgendwas außer diesen Jobs, die auf dem Papier ganz normal aussehen, in der Praxis aber viele Stunden mehr verlangen, als zulässig wäre. Dass die Europäische Union Arbeitszeiten pünktlich zur Premiere zum Thema machen würde, hat Loach nicht wissen können, aber es gehört mehr als Glück dazu, auf eine solche Geschichte zu setzen. Diese Figuren sind, wie immer bei Loach, liebevoll gezeichnet, ganz lebensecht in ihren Schwächen und ihrer Verzweiflung. "Sorry We Missed You" ist der Gegenentwurf zu Jessica Hausners wie von Drogen ihrer Seele beraubten Protagonisten. Bei Loach ist immer ganz klar, dass es in Menschen eine unzerstörbare Sehnsucht gibt, gut zu sein, sogar, wenn das Glück dabei auf der Strecke bleibt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4453134
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 20.05.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.