Kino: "Der menschliche Makel":So lächerlich wie ein blow job

Anthony Hopkins und Nicole Kidman in "Der menschliche Makel" nach dem Roman von Philip Roth.

TOBIAS KNIEBE

Da ist er also, der Augenblick der Wahrheit. Zwei Jahre haben sie sich gegenseitig verschlungen, unersättliche junge Liebende im New York der fünfziger Jahre. Steena ist zwanzig, sie kommt aus dem tiefen Nordwesten, isländisch-dänische Vorfahren, die Haare blond, die Haut wie aus Sahne. Coleman ist vier Jahre älter, ein junger Boxer und Literaturstudent, er hat sie verführt mit der Sehnsucht, die manchmal in seinen Augen blitzt. Die Sache ist ernst, gleich wird er sie seiner Mutter vorstellen, aber eines hat er in zwei Jahren nicht übers Herz gebracht: Ihr einfach zu sagen, dass er schwarz ist. Wissen kann sie es nicht, sie kann es nicht einmal ahnen - dafür ist seine Haut zu hell. Jetzt aber muss sie es sehen, die Tür geht auf, die Mutter und die Geliebte schauen sich an, zum ersten Mal. Und es passiert . . . gar nichts.

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Kein Muskel bewegt sich im Gesicht der jungen Schauspielerin Jacinda Barrett, kein Erstaunen huscht über die Züge der würdevollen Anna Deavere Smith. Der Regisseur hat dieser Begegnung alles Erwartbare ausgetrieben - nur hinterher bei Tisch ist ein Hauch von Nervosität zu spüren. Da plappert Steena von ihrer Heimat Fergus Falls, Minnesota, von ihrem Holzfäller-Vater, ganz reizend wirkt sie dabei, aber etwas stimmt nicht mehr. Erst sehr viel später, auf der Rückfahrt im Zug, bricht es aus ihr hervor. "Ich kann das nicht", sagt sie, tränenüberströmt. Das Ende einer großen Liebe, bitter und abrupt, ohne Erklärung. Eine dieser Erfahrungen, die den Weg von Coleman Silk bestimmen werden: Seine Lebenslüge, ein weißer Jude zu sein, die lächerliche Affäre, die seine Karriere als Literaturprofessor beendet, die Sturheit, mit der er im Alter eine letzte gefährliche Affäre beginnt. So funktionieren die gelungenen Sequenzen in "Der menschliche Makel": Das Unvermeidliche geschieht, aber doch ganz anders, als man es erwartet.

Beim Nachlesen in Philip Roths Romanvorlage zeigt sich allerdings, dass dies keine echte Leistung des Kinos ist. Die ganze Sequenz, mit ihren wunderbar kontrapunktisch gesetzten Emotionen, findet sich genauso bereits im Buch. Ein Vorwurf gegen Regisseur Robert Benton ist das nicht - er hat es schon immer vorgezogen, von "Kramer gegen Kramer" bis "Nobody's Fool", hinter seinen Geschichten eher zu verschwinden. Auch hier versucht er vor allem, dem berühmten Roman nicht im Weg zu stehen, und vieles funktioniert sehr gut. Aber insgesamt klafft eine Lücke. Etwas scheint zu fehlen in diesem Film, man kann zunächst gar nicht sagen, was es ist - aber die kleinen Dramen, die sich im Buch zur großen Tragödie verdichten, sie bleiben unverbunden und merkwürdig kühl.

Beim Festival von Venedig, wo der Film nur verhaltene Aufnahme fand, waren die Schuldigen schnell gefunden: Anthony Hopkins und Nicole Kidman als angebliche Fehlbesetzungen. Auf den ersten Blick scheint es tatsächlich schwer vorstellbar, dass einer wie Hopkins von schwarzen Eltern abstammen könnte. Bei genauerem Hinsehen aber verliert sich dieses Gefühl: Dann denkt man sich, dass der Weg vom walisischen Bäckersohn bis zu Sir Anthony, wie wir ihn heute kennen, doch ein ziemlich weiter war - kaum weniger weit als der Weg des Coleman Silk vom schwarzen Studenten bis zum weißen Literaturprofessor. Die störrische Energie, auch die Verachtung für seine Umgebung, die Hopkins in dieser Rolle ausstrahlt - sie schadet auf keinen Fall. Nicole Kidman entspricht ebenfalls nicht dem Aussehen der Putzfrau Faunia Farley, ein "ausdrucksloses knochiges Gesicht" hat sie wirklich nicht - aber wenn überhaupt, dann trägt das dazu bei, den späten amour fou zwischen den beiden eher glaubwürdiger zu machen.

Das wahre Problem liegt tiefer, und da kann eigentlich keiner was dafür: Die ganze Erzählung ist sehr deutlich im Sommer 1998 angesiedelt. Sie handelt auch von Bill Clinton und Monica Lewinsky, von der ersten großen Viagra-Welle, von endlosen Blowjob-Witzen und einem Land, in dem die Bigotterie regiert, die "moralische Dummheit einer bevormundenden Gesellschaft". Roth hat es brillant verstanden, das Lächerliche dieser Zeit zu bannen - und gleichzeitig enorm von dem Gefühl profitiert, dass diese Art von Lächerlichkeit tatsächlich die Welt regierte. Das ist heute anders: Die Konflikte in den USA sind existenzieller und nackter geworden, die großen Verteilungskämpfe werden nicht mehr mit political correctness verbrämt, nie wurden die Interessen einer kleinen Elite so offen und gleichzeitig brutal in Politik verwandelt. Für die Probleme von damals, die im Rückblick keine waren, bringt man heute kaum noch Zorn oder Verachtung, ja nicht mal ein Schmunzeln auf - und plötzlich scheint es so, als ob auch der Geschichte dieses zornigen Helden der Rahmen entzogen wurde, in dem sie ihre Wucht entfaltet hat.

THE HUMAN STAIN, USA 2003 - Regie: Robert Benton. Buch: Nicholas Meyer, nach dem Roman von Philip Roth. Kamera: Jean Yves Escoffier. Schnitt: Christopher Tellefsen. Musik: Rachel Portman, Mit: Anthony Hopkins, Nicole Kidman, Gary Sinise, Wentworth Miller, Jacinda Barrett, Harry Lennix, Clark Gregg. Concorde, 105 Minuten.

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