Kino: "Der Letzte räumt die Erde auf":Das bessere Bambi

Klimakatastrophe, kindgerecht: Die Sehnsucht nach der analogen Welt verkörpert ausgerechnet ein nostalgischer Roboter, der als letzter Überlebender die Welt aufzuräumen hat.

S. Vahabzadeh

Vielleicht macht das Timing, die Inflation der Zukunftsängste, den neuen Pixar-Film "Wall-E" noch ein bisschen melancholischer, als ihn sich seine Schöpfer vor Jahren ausgedacht hatten.

Kino: "Der Letzte räumt die Erde auf": Wall-E, einsamer Held mit Sammelleidenschaft.

Wall-E, einsamer Held mit Sammelleidenschaft.

(Foto: Foto: ddp)

Die Fixierung auf die Haptik, die der computergenerierte Roboter Wall-E hat, der Respekt vor allem Greifbaren vermengen sich mit der Sehnsucht nach realer Wertschöpfung, die aktuell in den Köpfen spukt. Obwohl Wall-Es Welt gar nicht in Armut zugrunde gegangen ist, sondern an ihrem Wohlstand erstickt. Ein heruntergekommener Planet, in der Stadt, einem New-York-ähnlichen Gebilde unter verdrecktem Sonnenhimmel, dominiert der Abfall die Skyline - so traurig wie in "Wall-E" hat Manhattan seit "Planet der Affen" nicht ausgesehen. Ein Zeichentrickfilm, nicht nur, aber auch für Kinder gemacht - die Angst vor der Apokalypse hat das Kinderzimmer erreicht.

Die Klimakatastrophen-Panik ist zur allgegenwärtigen Schreckensvision geworden, man kann sie nicht von Kindern fernhalten - es ist keine abwegige Idee, wenn das Kino versucht, einen Weg zu finden, mit ihnen umzugehen. Der, den "Wall-E" beschreitet, ist manchmal melancholisch, immer rührend - und am Ende sehr hoffnungsvoll.

Wall-E ist ein einsamer Held, so einsam es eben geht - der letzte funktionstüchtige aus einer Einheit von Müllrobotern, die die Menschheit zurückgelassen hat, um die Erde wieder in Ordnung zu bringen, die dank ihrer Hinterlassenschaften unbewohnbar geworden ist. Unermüdlich schiebt er sich Coladosen, Plastikflaschen und Papierfetzen in den Bauch, presst sie zu Bündeln und stapelt wolkenkratzerhohe Berge; zur Nacht, wenn seine Solarzellen ihn nicht mehr mit Energie versorgen, stellt er sich selbst ins Regal zu all den Dingen, die er in seinem Quartier sammelt, all das, was ihm als zu schade erscheint, um es wegzuwerfen - ein Zauberwürfel, bunte Lämpchen, Quietschentchen.

Aber vorher schaut er noch, zusammen mit seinem einzigen Gefährten, einer Kakerlake, sein Lieblingsvideo an: "Hello, Dolly". Tanzt mit, und schaut mit großen traurigen Augen zu, wie Ehen gestiftet werden im Yonkers einer Zeit, die er nie erlebt hat. Die Musik ist alles, was zu hören ist in der toten Stadt. Ein wortkarger Film, was aber nichts macht, weil er trotzdem so viel zu erzählen hat.

Die Vergangenheit, die in dieser Science Fiction beschworen wird, ist nicht unsere Gegenwart, es ist ein Augenblick, den wir längst hinter uns gelassen haben - Jazz und Musicals, Videocassetten, mechanisches Spielzeug. Ein Ausdruck der Sehnsucht nach einem einfacheren, übersichtlicheren Gestern der kleinen Gesten und einfachen Freuden: Tanzen, eine Pflanze ansehen, sich an den Händen halten - gesprochen hat ihn im Original Sigourney Weaver, die sich in "Alien" seinerzeit mit einem ähnlichen Problem herumschlagen musste.

Ausgerechnet bei Pixar, bevor es bei Disney unterkam ein Unternehmen des Apple-Mitbegründers Steve Jobs, beim Studio, in dem die Computeranimation perfektioniert wurde, das den Zeichentrick neu erfand - ausgerechnet in diesem digitalen Vorzeige-Paradies wurde auf die wunderschönste Weise eine Geschichte erfunden von der Sehnsucht nach einer analogen Welt. Der erste Teil des Films, der irdische, sieht tatsächlich anders aus als die bisherigen Pixar-Filme, hat plötzlich, ästhetisch, mit Malerei zu tun.

Lesen Sie auf Seite 2, warum "Wall-E" kein Kinderfilm ist.

Das bessere Bambi

Eine Science Fiction aus einer schaurigen Zukunft, die die Liebe wieder in Ordnung bringen wird. Wall-E ist, in seiner Einsamkeit, immer ganz bei sich selbst, und hat so die Fähigkeit entwickelt, jeden, den er mit seinen kleinen Eisenpfoten anpackt, tatsächlich zu berühren. Als er plötzlich im ewig staubtrüben Himmel eine blauäugige Sonde entdeckt, verliebt er sich sofort in sie - zeigt ihr den Film, in dem all seine Träume zu Bildern werden.

Wunderwelt trifft auf Technik-Schrott

Eve heißt dieses andere Geschöpf, das geschickt wurde herauszufinden, ob Leben möglich ist auf diesem trostlosen Planeten, zwischen den Sandstürmen und Dreckgebirgen; und tatsächlich hat Wall-E noch einen Freund gefunden, den er pflegt - ein Pflänzchen, ein Lebenszeichen, der Garant für die Renaissance des Planeten Erde.

Wally erlebt, träumt, verliebt sich, natürlich, denn dieses Objekt hat mehr Seele, als die Menschen noch spüren, oben im All, in der Kreuzfahrt-Arche Axiom, in die sie sich vor 700 Jahren verzogen haben. Gerettet haben sie freilich nur sich selbst: Die Nahrung regeneriert sich, in Schwebesesseln lassen sich die fetten Molche, zu denen die Menschen nach ein paar Generationen mutiert sind, ihr Flüssigfutter wie einen Shake servieren und glotzen auf ihre allgegenwärtigen Individualbildschirme. Sie würden ihre Plastikwelten scheußlich finden, wenn sie nur schauten, aber das tun sie nicht - bis Wall-E alles durcheinanderbringt und damit wieder ins Lot. Der Raumschiff-Commander wird von seinem Autopiloten gegängelt, dem wildgewordenen Steuerrad Otto, und Wall-E und seine geliebte Eva bereiten der Technik-Herrschaft ein Ende.

Es gibt im Kino zwei Arten von Science Fiction, die gelackte Wunderwelt, in der alle Probleme gelöst sind, und die des abgenutzten Technik-Schrotts wie in "Alien", in der die Menschheit keines ihrer Probleme gelöst hat, bloß verlagert. In "Wall-E" trifft die eine Ästhetik auf die andere, die Erde ist verseucht und oben im All ist alles keimfrei, bis man irgendwann mal in den Unterleib des Raumschiffs lugen darf.

Kein Kinderfilm, aber kindertauglich

Die Menschheit hat nur eine Chance: Rückbesinnung. Das Wunder vom Neubeginn zelebriert der Abspann von "Wall-E", der so ziemlich die schönste Art ist, einen Zeichentrickfilm zu Ende zu erzählen - eine neue Menschheitsentwicklung als Geschichte der Malerei. Auch das ist ein Bekenntnis zum Greifbaren, Handgemachten. Darin liegt Hoffnung, dieser Film schafft es, in allem Schönheit zu entdecken, sogar in dem, was noch von der Erde übrig ist. Vielleicht liegt der Augenblick, an dem wir das Steuer noch herumreißen hätten können, längst hinter uns; aber noch ist nicht alles verloren - wir müssen uns nur erinnern, worum es eigentlich geht.

Ein Kinderfilm ist "Wall-E" nicht. Film und Roboter schwelgen in Erinnerungen, die Kinder nicht haben. An leichtere Zeiten und alte Filme. Aber kindertauglich ist er, und seine Qualitäten als herzergreifendes Rührstück machen ihn vielleicht zu einer ganz großen Erziehungsmaßnahme. Am Ende wächst jetzt vielleicht eine Generation besessener Müllvermeider und Pfandflaschenfanatiker heran, die alles tut, damit nicht eines Tages ein einsamer Wall-E die Erde aufräumen muss. So viel Weltverbesserungspotential hatte Bambi nie.

WALL-E, USA 2008 - Regie: Andrew Stanton. Buch: A. Stanton, Jim Reardon, Pete Docter. Musik: Thomas Newman. Produktionsdesign: Ralph Eggleston. In der Synchronisation mit den Stimmen von: Timo Niesner, Luise Helm, Markus Maria Profitlich. Disney, 97 Min.

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