Betrachtet man die Filmfotos unserer Collage nebenan, nimmt der bildungsbürgerliche Vorderhirnlappen schnelle Einordnungen vor: Irgendwie roh. Billig, ein bisschen schmutzig. Reißerisch, hätte man in den Sechzigerjahren gesagt. Und in den Siebzigern: Spekulativ.
Genau um diese Einsortierung geht es Dominik Graf und Johannes Sievert in ihrer Dokumentation "Verfluchte Liebe Deutscher Film", die im Februar auf der Berlinale Premiere hatte und jetzt im Münchner Werkstattkino vorgestellt wird. Sie suchen nach missachteten Schätzen des deutschen Films - wie jene drei Paradebeispiele aus den frühen Seventies der Bundesrepublik, die wir auf dieser Seite zeigen.
Billig, schmutzig, reißerisch, auf die schnelle D-Mark bedacht - schon alles richtig, sagen Graf und Sievert. Aber eben doch oder gerade deshalb auch Meisterwerke, die man wieder ins intellektuelle Gespräch zurückholen muss, die nur bisher ignoriert, verkannt und vergessen wurden.
Mario Adorf erinnert sich daran, wie er fast zu Tode gehetzt wurde - in sengender Sonne
Wie "Mädchen mit Gewalt" des Münchner Jet-Set-Fotografen Roger Fritz, der trotz seines krassen Titels und seiner Nähe zu den Schulmädchenreports der Zeit ein verstörendes Filmjuwel mit Klaus Löwitsch ist. Oder "Blutiger Freitag" des beinharten Allesfilmers Rolf Olsen, die superschnelle Transformation eines realen Bogenhausener Bankräuber-Dramas in hochenergetisches Kino. Ganz zu schweigen von dem schon eher bekannten Roland Klick, dessen Wüstenfilm "Deadlock" wie eine Art "Breaking Bad" der Seventies erscheint, in dem der wildäugige Mario Adorf zu Tode gehetzt wird.
In der Dokumentation erinnert sich Mario Adorf dann zum Beispiel daran, wie Roland Klick ihn wirklich fast zu Tode hetzen wollte - über zehn Kilometer in sengender Sonne. Adorf ist so ein packender Erzähler, dass man ihm eigentlich stundenlang zuhören könnte, und wenn er dann noch von seinen zahlreichen Ausflügen ins italienische Gangsterkino berichtet, oder von seiner Arbeit für Robert Siodmak in "Nachts, wenn der Teufel kam", wünscht man sich auf der Stelle eine Retrospektive seines gesamten Frühwerks.
Aber Graf und Sievert geht es natürlich um mehr als um Nostalgie - sekundiert von Kritikern und Medienwissenschaftlern stellen sie die Forderung auf, die jüngere deutsche Filmgeschichte noch einmal umzuschreiben, den Kanon aufzusprengen. Denn die offizielle Erzählung geht ja ungefähr so: Papas Kino und das reaktionäre Schwarzwaldmädel waren irgendwann tot, dann übernahmen (ab circa 1962 in Oberhausen) progressive Söhne wie Alexander Kluge, Edgar Reitz, Volker Schlöndorff und später Wim Wenders, erreichten internationale Anerkennung und die Diskurshoheit darüber, wie ein deutscher Film zu sein hat. Und alles war gut.
Gar nichts war gut, kontert Graf, der als intellektueller Filmemacher ("Die geliebten Schwestern") auch irgendwie zu den progressiven Söhnen gezählt wird, sich selbst aber lieber als echtes Schmuddelkind einordnen würde. Etwas fehlt ihm an Oberhausener Musterschülern - etwa das Verhältnis zu Sex und Sinnlichkeit. Schaut man genauer, wie Graf und Sievert es tun, entdeckt man exotische Lüste und brodelnde Begierden eher im Kino der Fünfzigerjahre, eine Art neue Wohlstandsgeilheit, eng verknüpft mit dem Wunsch nach Verdrängung der Vergangenheit. "Waren die Oberhausener," fragt Graf, "eher wie Jugendliche, die sich vor dem Sex ihrer Eltern ekelten?" Auch diese Filmgeschichte müsste erst noch geschrieben werden.
Alle Dinge noch mal anders sehen, alles noch mal umbewerten, immer bereit sein für neue Entdeckungen - das ist hier Programm. Aber Graf und Sievert geht es gerade nicht um argumentative Stringenz und neue Dogmen. Sie wollen verfluchen dürfen, sie wollen lieben können - und vor allem glauben sie immer noch fest an den deutschen Film.
Verfluchte Liebe Deutscher Film , D 2016 - Regie, Buch: Dominik Graf, Johannes Sievert. Kamera: Hendrik A. Kley, Lars Petersen, Sievert. 92 Minuten.