Kino:Das grüne Gold und sein blutiges Erbe

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Kaum haben sie Drogen als Geschäft der Zukunft identifiziert, militarisieren und zerstreiten sich die Ureinwohner der Wayuu im Jahr 1968. (Foto: MFA Filmverleih)

Ein junger Mann kauft in den Bergen ein paar Säcke Marihuana, und nichts ist mehr wie zuvor: Der Spielfilm "Birds of Passage" erzählt von der Geburtsstunde des kolumbianischen Drogenhandels.

Von Tobias Kniebe

Im Schatten der Holzhütte wird die Jungfrau vorbereitet. Ein weiter Umhang, in Rot und Gold bestickt, ein leuchtend rotes Kopftuch, das zugleich eine wehende Schärpe ist, rote Bemalung auf ihrem schönen, ebenmäßigen Gesicht. Dann tritt Zaida (Natalia Reyes) hinaus ins gleißende Wüstenlicht, vor die Augen von Familie und Verwandten und potenziellen Freiern, die sich für ihr Fest versammelt haben. Und kaum hat der rituelle Tanz begonnen, klagen die Alten schon, dass die Jungen zu viel eigene Ideen haben und die Tradition nicht mehr respektieren.

Hat man in Geschichten über indigene Völker und Stammesgemeinschaften je einen anderen Refrain gehört? Seit frühesten Höhlenmenschenzeiten wollen die Jungen offenbar alles ein klein wenig anders machen, als es bisher war. Und die Alten werden nicht müde, vor dieser Hybris zu warnen - mit düsteren Prophezeiungen und Erzählungen vom Zorn der Götter und Geister. Völlig vergeblich natürlich. Das Fortschreiten der Menschheitsgeschichte - und die Geißel der Innovation - ließ sich zu keiner Zeit aufhalten.

Auch der kolumbianische Film "Pájaros de verano / Birds of Passage" scheint von Verlustängsten und düsteren Ahnungen durchzogen zu sein, wenn er von dem indigen, kriegerischen, nie wirklich von den Spaniern kolonialisierten Volk der Wayuu erzählt, das die Guajira-Halbinsel im Norden Kolumbiens bewohnt. So konstant sind die warnenden Träume und düsteren Naturorakel, die der mächtigen Matriarchin des Klans (Carmiña Martínez) keine Ruhe lassen, dass man sich auf eine Erzählung des Niedergangs vorbereitet. Ganz ehrlich sind die Filmemacher Cristina Gallego und Ciro Guerra dabei aber trotzdem nicht.

Die Amis am Strand suchen dringend was zum Kiffen, und das blutige Drama nimmt seinen Lauf

Denn ja, es entspricht durchaus der Tradition der Wayuu, das Leben außerhalb der eigenen Stammesgemeinschaft mit größtem Misstrauen zu betrachten. So werden alle Fremden offenbar "Alijuna" genannt, was übersetzt etwa "jene, die beschädigen" bedeutet. Und ja, vielleicht war es keine gute Idee, mit den hippiesken Amerikanern vom Peace Corps, die sich 1968 am Strand ausgebreitet hatten und nach Stoff zum Kiffen fragten, überhaupt ins Gespräch zu kommen. Wären die Wayuu hier weise und konservativ geblieben, gäbe es aber halt auch keine Geschichte - und keinen Film.

Aus genau diesem Grund ist das Kino, so gern es in die Vanitas-Gesänge von der Kultur der edlen Wilden einstimmt, heimlich doch immer auf der Seite der Respektlosen, der Revoluzzer und der Grenzüberschreiter. Weil sie Veränderung bringen, und damit Erzählstoff. So auch hier: Man drückt natürlich dem jungen Rapayet (José Acosta) die Daumen, dessen Familie nicht sehr angesehen ist, und der den hohen Brautpreis für die schöne Zaida nicht aufbringen kann. Bis er auf die Idee kommt, tatsächlich einmal nach den Wünschen der Amerikaner zu fragen.

Wenig später kauft er einem befreundeten Wayuu-Klan in den Bergen einige Säcke Marihuana ab, um sie mit Eseln an die Küste zu transportieren und mit hohem Gewinn an die Amerikaner weiterzuverticken. Eine solche Aktion war, wenn man den Annalen glauben darf, die Geburtsstunde des kolumbianischen Drogenhandels. Mit den üblichen Folgen: Schon bald hat Rapayet ein paar Jeeps, ein paar Pistolen und eine schöne junge Frau - nämlich Zaida, deren Familie trotz all der düsteren Vorahnungen der Verlockung des Reichtums erliegt.

An dieser Stelle biegt der Film überraschend scharf in die tiefen Fahrspuren des Genrekinos ein - denn die Probleme, die sich jetzt stellen, kennt man tatsächlich schon aus tausend anderen Aufstiegserzählungen des Drogen- und Mafiamilieus. Den etwas zu heißblütigen Partner etwa, der schießt, bevor er denkt, und damit solche Probleme verursacht, dass er - alle Bruderschwüre hin oder her - selbst getötet werden muss. Oder der Lieferant in den Bergen, der zwar schon Leichen zu beklagen hat, aber vom Krieg noch einmal absehen würde - sofern sich der Preis für seine Ware verdoppelt.

Der Regisseur hat seine Heimat Kolumbien schon mit Esel und Akkordeon durchquert

Überraschend ist dabei, dass die Amerikaner zwar für den Markt und die Nachfrage stehen, aber ausnahmsweise einmal nicht im Sinne von imperialistischen Overlords. Sie bleiben fast abstrakt - man kann ein paar ihrer Piloten abknallen und muss nicht einmal Rache befürchten. Nein, die unvermeidlich kommenden Drogenkriege spielen sich intern ab, sie zerreißen das Volk der Wayuu von innen, treiben einen Keil zwischen die Klans. Und so sind dann, Auge um Auge, Zahn um Zahn, angefeuert am Ende sogar von den weisen Matriarchinnen selbst, immer mehr Tote zu beklagen.

Der Regisseur Ciro Guerra gilt als Kino-Ethnologe seines Landes. Er hat die kolumbianischen Provinzen schon mit Esel und Akkordeon durchquert ("Los Viajes del Viento / The Wind Journeys") und für die Geschichte eines Schamanen, der westliche Forscher auf Expeditionen begleitet, den Dschungel und die halluzinogenen Legenden des Amazonasgebiets erkundet ("El abrazo de la serpiente / Der Schamane und die Schlange"). Seine langjährige Produzentin Cristina Gallego ist nun auch seine Co-Regisseurin.

"Birds of Passage" soll nun offenbar eine Art Brückenschlag sein. Das Programmkinopublikum kann darin die Würdigung einer indigenen Kultur sehen, während Freunde des Narco-Gemetzels auf ihre Erwartungen zur blutdurchtränkten Ortsmarke Kolumbien nicht verzichten müssen. Ob sich das Volk der Wayuu hier tatsächlich repräsentiert fühlen kann, oder ob es einmal mehr von den "Alijunas" vorgeführt wird, ist von hier aus kaum zu klären. Auf jeden Fall sorgt der Film für Innovation im Genre des Drogenthrillers. Und für die Erneuerer, siehe oben, hat das Kino ja nun mal ein Herz.

Pájaros de veran o , Kolumbien/Mexiko/DK/D 2018 - Regie: Cristina Gallego, Ciro Guerra. Buch: Maria Camila Arias, Jacques Toulemonde Vidal. Kamera: David Gallego. Mit Carmiña Martínez, Natalia Reyes, José Acosta. Verleih: MFA, 125 Minuten.

© SZ vom 09.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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