Kino: "Brandner Kaspar":Den Tod mit Kirschgeist abfüllen

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Warum Bayern das Tibet Deutschlands ist: Joseph Vilsmaier hat "Die Geschichte vom Brandner Kaspar" mit Bully als betrunkenem Tod verfilmt.

Rainer Gansera

Panik im Himmel der Bayern. Ein Preuße will rein. Alle Engel - sehr neckische Engerl: halbnackt, nur mit Lederhosen und Flügeln bekleidet - stemmen sich mit Vehemenz gegen die Tür.

Lässt sich in die Karten schauen, wenn nur genug Alkohol im Spiel ist: Bully verkörpert in der Vilsmaier-Verfilmung des Brandner Kaspar den Tod. (Foto: Foto: ddp)

Der Portner (Himmelspförtner Petrus), der gerade vom Weißwurst-Essen kommt, muss die Gemüter beruhigen: "Koa Angst, mir lassen s' scho net rei. Sonst wär's ja koa Paradies nimmer", und präpariert sein Personal dafür, dass es sich von den Redelawinen der Preußen nicht beeindrucken lässt: "Die Preußen sprechen ihren ganzen Denkvorgang mit. Der Bayer gibt's Ergebnis nur bekannt."

Das Publikum im Münchner Volkstheater hat auf diese längst sprichwörtliche Pointe nur gewartet und jubelt. Christian Stückls "Der Brandner Kaspar und das ewig' Leben"-Inszenierung, die 2005 Premiere hatte und mittlerweile die hundertsechzigste ausverkaufte Aufführung verzeichnet, ist auf dem besten Weg zum Kultphänomen.

Stückl hat eine kantigere, wildere, eigenwillige Version aus seiner Vorlage geschnitzt: der Dramatisierung des Brandner-Stoffes durch Kurt Wilhelm, die 1975 im Residenztheater uraufgeführt wurde und es zu phänomenalen eintausend Aufführungen brachte.

Den Tod mit Kirschgeist "lallert" machen

Und das Volkstheater-Publikum geht begeistert mit. Von Anfang an wird mitgeklatscht, wenn die Riederinger Musikanten aufspielen, viele Zuschauer kennen die Text-Highlights auswendig, und so stellt sich die Vision ein, dass sich demnächst im Volkstheater Szenen abspielen werden wie einst bei der Rocky Horror Picture Show.

Da werden dann im Zuschauerraum als Boanlkramer (der leibhaftige Tod) Maskierte sitzen, neben den Engeln, und jenen (die gestrenge Fraktion), die sich lieber als flammenschwertschwingender Erzengel Michael verkleiden, und die Stimmung wird beim Preußen-Bashing den Siedepunkt erreichen.

1871 erschien in den "Fliegenden Blättern" Franz von Kobells Mundartnovelle "Die Gschicht vom Brandner Kaspar": die Geschichte des Wilderers und "Kleinhäuslers" Kaspar Brandner, der dem Boanlkramer, als der ihn abholen will, mit Kirschgeist "lallert" macht und beim Kartenspielen betrügt, sodass er 18 weitere Lebensjahre für sich erlistet.

Ab 1934 gab es einige Dramatisierungen, 1949 Josef von Bakys Verfilmung "Der Brandner Kaspar schaut ins Paradies" mit Carl Wery (Brandner) und Paul Hörbiger (Boanl), nach einem Drehbuch von Erna Fentsch-Wery. Kurt Wilhelm, ein Ururgroßneffe Franz von Kobells, erschuf 1975 die "klassische" Theater-Version, die in der Premierenfassung ihren unvergleichlichen Siegeszug antrat bis hin zu Stückls Neuinszenierung.

Lesen Sie auf Seite zwei, warum Bayern das Tibet Deutschlands ist.

Das Faszinosum dieser Aufführung beschrieb Peter Zadek so: "Ein wirkliches Volksstück, eine richtige Legende, ein Wunschtraum: Der Tod kommt, und du siehst zu, dass du ihn ansaufst, damit er dich nicht mitnimmt. Etwas, das naiv und optimistisch in seinem Empfinden ist, ohne blöd und albern zu sein."

Im Kern erzählt diese Legende vom grandiosen Sieg des Karnevalesken gegen den Überich-Himmel. Der alte Konflikt zwischen Wirtshaus und Kanzel, zwischen Lachen und Predigt, Rausch und Ins-Gewissen-Reden wird triumphalistisch zugunsten des Wirtshauses entschieden. Ein Sieg des Karnevalesken in Gestalt bayerisch-anarchischer Lebensart: Wildern, Weißwürste, Kirschgeist, Karteln, und natürlich das Preußen-Feindbild.

Eine solch unverfrorene Inbesitznahme des Lebens, des Todes und des Himmels ist nur in Bayern möglich. Der nach München exilierte Ex-Kommunarde Rainer Langhans hat das in seiner Autobiographie einsichtig erklärt: "Bayern ist das Tibet Deutschlands. Die Bayern sind ein kleines Bergvolk, das irgendwas mit dem lieben Gott hat, das aber auch ein bisschen verrückt ist. Es gibt etwas Anarchisches hinter der feudalen Fassade. In Hamburg oder Berlin oder Frankfurt ist das anders, da fehlt einfach dieses Oberstübchen."

Und nun Vilsmaier. Nach dem Überraschungserfolg von Marcus H. Rosenmüllers bayerisch-surrealistischer Lausbuben-Groteske "Wer früher stirbt ist länger tot", die man durchaus als eigenwillige Variante des Brandner-Stoffes sehen kann, und der Erfahrung, dass man Mundartliches und bayerisch Zünftiges einem gesamtdeutschen Kinopublikum zumuten kann, hat sich Joseph Vilsmaier ("Herbstmilch", "Stalingrad", "Schlafes Bruder", "Marlene") an die Brandner-Story herangemacht und präsentiert eine irgendwie nette, aber weichgespülte und zahnlose Version. Kein Zufall, dass dem Boanlkramer einmal das Gebiss aus dem Mund fällt.

Bully als Boanlkramer

Der Boanlkramer - immer die Paraderolle, spannender als die Brandner-Figur, wie eben Mephisto spannender ist als Faust - bleibt in Michael Bully Herbigs Darstellung merkwürdig unentschieden. Einerseits folgt Bully den großen Vorbildern (Toni Berger bei Kurt Wilhelm, Maximilian Brückner bei Stückl), ohne deren Spannungskurven zwischen Unheimlichkeit und kindisch-grotesk hinzukriegen, andererseits versucht er seinen Comedy-Witz einzubringen.

Manchmal wünscht man sich, dass Bully sich die Figur völlig zu eigen machte und in seinem Idiom durchbuchstabieren würde. So kommt es, dass die Brandner-Figur an Gewicht gewinnt und zum Rückgrat der Erzählung wird. Franz Xaver Kroetz macht aus dem alten, gewitzten Brandner einen herrlich auftrumpfenden rebellischen Geist, der sich sein Weiterleben gegen einen "Depperl"-Boanl zu Recht ertrotzt.

Vilsmaier kann Berglandschaften wunderbar fotografieren, er formt "Die Geschichte vom Brandner Kaspar" wie ein gut gebeiztes Bauernmöbel, aber für die Boanl-Groteske und den Bayernhimmel (den Kurt Wilhelm im prächtigsten Jesuiten-Barock-Stil ausstaffierte) fehlen ihm Gespür und Phantasie.

Sein größter Fehltritt: Wie alles andere zeichnet er auch den forsch auftretenden Preußen (Detlev Buck) als supernette Erscheinung und raubt damit dem Stoff sein polemisches Bayern-Pathos. Da die Brandner-Legende im Kern unzerstörbar ist, wird sie auch in der Vilsmaier-Variante ihren Zuspruch finden. Aber diese "Geschichte vom Brandner Kaspar" kann nicht beanspruchen, in den bayerischen Filmhimmel aufgenommen zu werden. Ab mit ihr ins Fegefeuer.

Die Geschichte vom Brandner Kaspar, D 2008 - Regie: Joseph Vilsmaier. Buch: Klaus Richter. Bildgestaltung: Joseph Vilsmaier. Kamera Steadycam: Joerg Widmer. Musik: Christian Heyne. Mit: Franz Xaver Kroetz, Michael Bully Herbig, Lisa Maria Potthoff, Peter Ketnath, Detlev Buck, Herbert Knaup, Jörg Hube, Elisabeth Trissenaar. Concorde, 100 Minuten.

© SZ vom 15.10.2008/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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