Kino:Blick von unten

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Der Spielfilm "Die Honigkuckuckskinder" aus dem Jahr 1991 ist digitalisiert und für die Kinos wieder zugänglich. Der Filmemacher Willy Brunner zeigt darin die Flüchtlingsthematik aus Kinderperspektive

Von Barbara Hordych

Den Anstoß für den Film "Honigkuckuckskinder" gab vor rund fünfundzwanzig Jahren seine damals sechsjährige Tochter. Seinerzeit drehte der Münchner Willy Brunner Fernsehreportagen über illegale Einwanderer, besuchte auch Pensionen in der Bahnhofsgegend. "Als ich zu Hause von meiner Arbeit erzählte, wollte meine Tochter mich unbedingt einmal begleiten", erzählt der heute 68-jährige Brunner in seinem Haidhauser Internetantiquariat. Den Wunsch musste er seiner Tochter seinerzeit abschlagen. "Schon ich durfte eigentlich gar nicht offiziell in diese Unterkünfte, das klappte nur deshalb, weil ich gute Kontakte zu den Trägern hatte". Aber die Frage seiner Tochter ließ ihn nicht mehr los. Und so kam er auf die Idee, einen Spielfilm über seine Begegnungen zu drehen, mit Asylbewerbern, illegalen Grenzgängern, alleinerziehenden Müttern. Sie bilden eine Notgemeinschaft in dem heruntergekommenen Hafensilo, ironischerweise "Hotel Paradies" genannt, Schauplatz des bei Passau gedrehten Films "Die Honigkuckuckskinder". Er entstand in "freier Finanzierung", ohne Fördermittel. Im vergangenen Jahr konnte er mit Fördermitteln der FFA digitalisiert und wieder für das Kinopublikum zugänglich gemacht werden. Eine späte Genugtuung für den Regisseur, der seinen Film an diesem Freitag, 2. Februar, in der Reihe "Großes Kinder Kino" im Gasteig vorstellt. Denn sein Film erlebte dank Festivalleiter Hans Strobel 1992 zwar seine Premiere beim Kinderfilmfest München. Doch er fand im Anschluss keinen Verleih. "Dabei wusste ich von Veranstaltungen rund um das Festival, dass der Film bei Kindern sehr gut ankommt", erinnert sich Willy Brunner.

Gemeinsam mit ihrer Freundin Ajoke unternimmt Lena (rechts) im Spielfilm von Willy Brunner Ausflüge in die Gemeinschaftsküche. (Foto: Willy Brunner)

Was war das Problem? "Es ist ein Kinderfilm nach einem Originalstoff und nicht nach einer bekannten Marke". Dazu sei die Erzählperspektive ungewöhnlich. "Auch ich finde Filme wie ,Willkommen bei den Hartmanns' lustig. Doch die zeigen die Flüchtlingsthematik aus einer bürgerlichen Perspektive." Er hingegen zeige den "Blick von unten", von Kindern, "die dazu auch noch ganz schön selbstbewusst sind". Das Drehbuch entwickelte er gemeinsam mit der Autorin Mirjam Pressler, bekannt als Spezialistin für Bücher, in denen die schwierige Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt gerückt wird. Schwierig gestaltet sich denn auch die Situation der zwölfjährigen Lena, die mit ihrer alleinerziehenden Mutter vom Sozialamt in das "Hotel Paradies" geschickt wird. Anders als ihre Mutter, die sich mit Schlafmitteln, Kaffee und Keksen in ihrem Zimmer verkriecht, beginnt Lena ihr neues Umfeld zu erkunden. Vorsichtig nimmt sie mit den anderen Kindern Kontakt auf, freundet sich mit der gleichaltrigen Ajoke aus Angola an. Durch die Augen der beiden Mädchen erlebt man die kriminellen Machenschaften im Hotel: Der Besitzer vermittelt die jungen Männer, die aus Angola oder Äthiopien kommen, illegal an Baustellen, dazu zwingt er sie, gestohlene Wertgegenstände am Bahnhof zu verkaufen.

Gemeinsam mit Autorin Mirjam Pressler entwickelte Willy Brunner das Drehbuch zum Film. (Foto: Willy Brunner Verleih)

Auch Lenas Mutter ist mit ihrer abwesend-abweisenden Haltung keine sympathische Figur. "Ich wollte sie realistisch zeigen", sagt Brunner. "Natürlich empfindet Lenas Mutter den Umzug in diese Pension als sozialen Abstieg, klar ist sie nicht erfreut, wenn ihre Tochter gerade dort Freunde findet." Zwei Straßensänger, Otto und Bernelli, kommentieren das Filmgeschehen mit ihren Liedern wie eine Art politischer Chor. Das wirkt nicht erst heute etwas aus der Zeit gefallen. "Die beiden sind ein anachronistisches Überbleibsel aus den Siebzigerjahren, die ich nach ihrem Auftritt bei diesem bayerisch-japanischen Wirt Ferdl Schuster unbedingt im Film haben wollte", sagt Brunner. Der endet zu guter Letzt als Sozialmärchen. "Aber nicht, weil die Polizei kommt, sondern weil die Bewohner Courage zeigen", das ist Brunner wichtig. Couragiert zeigte sich auch Brunner. Mit wenigen Kopien brachte er, unterstützt vom Globus-Verleih, den Film selbst in die Kinos. "Ich schrieb die Schulen an, reiste zu den jeweiligen Vorführungen." 1993 gehörte der Film zu den zehn erfolgreichsten deutschen Kinofilmen, woraufhin der dtv-Verlag Brunner vorschlug, aus dem Stoff ein Buch zu machen. Das verfasste Andreas Steinhöfel, der später mit seinen "Rico und Oskar"- Büchern berühmt wurde. Erfreulicherweise soll nun, da der Film für die Kinos wieder zugänglich ist, auch das Buch neu aufgelegt werden.

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Weniger erfreulich sei allerdings die Tatsache, dass "Vision Kino", die Gesellschaft zur Förderung der Film- und Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen, den Film zum Tipp des Monats Oktober 2017 erklärte. Dann aber überraschenderweise doch nicht auf die Empfehlungsliste 2018 für den Einsatz bei den Schulkinowochen setzte. Warum, wisse er nicht, sagt Brunner. Sie bleibt eben wechselhaft, die Geschichte seines einzigen Spielfilms.

Die Honigkuckuckskinder, Freitag, 2. Februar, 15 Uhr, Gasteig, Stadtbibliothek, Rosenheimer Straße 5

© SZ vom 02.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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