Kino ade?:Ein Michelin für Filmpaläste?

Das Kino steckt gewaltig in der Krise, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die einzelnen Menschen sich in der Zuschauer-Masse spinne-feind sind. Die Generation Popcorn, die noch Geld für Kino-Tickets ausgab, hat jedenfalls ausgedient.

FRITZ GÖTTLER

Es klingt unglaublich, aber es ist wirklich wahr, zumindest in Berlin und Karlsruhe von kommendem Donnerstag an, später dann auch in weiteren deutschen Städten. "Ben Hur" kommt ins Kino zurück, und das, obwohl der mit elf Oscars bestückte MGM-Großfilm seit Jahren ein fester Bestandteil des deutschen Festtags-TV-Programms ist und es eine Luxus-DVD-Edition gibt, die alles, sogar die stumme Version aus den Zwanzigern mit Ramon Novarro enthält . . . Es war vielleicht der letzte große Film der Fünfziger, und es war, damals im November 1959, eine der letzten Möglichkeiten, das klassische Kino zu erleben.

Kino ade?: Mit den schlechten Kino-Zahlen 2005 haben schnell Diskussionen eingesetzt, was Kinokultur eigentlich ist - wie die Kultur ins Kino und wie das Kino zu seiner Kultur kommen kann.

Mit den schlechten Kino-Zahlen 2005 haben schnell Diskussionen eingesetzt, was Kinokultur eigentlich ist - wie die Kultur ins Kino und wie das Kino zu seiner Kultur kommen kann.

Mit Ouvertüre im dunklen Saal, bilderlos, dann die dramatische Entwicklung auf die große Seeschlacht hin, dann die Pause, wo man im Foyer über die gewagte homoerotische Beziehung zwischen Judah Ben Hur und Messala spekulierte, die Gore Vidal ins Drehbuch eingebracht hatte - der Produzent Sam Zimbalist war schockiert: "Gore, this is a tale of the CHRIST", Regisseur William Wyler fand es okay, informierte aber seinen Star Charlton Heston lieber nicht: "Chuck would fall apart". Die Spannung war groß, denn nach der Pause kam das große Wagenrennen, das, dank des sagenhaften Könnens der Second-Unit-Leute Yakima Canutt und Andrew Marton heute noch für Atemlosigkeit sorgt.

Solche Erlebnisse sind heute selten, mit "Harry Potter", dem "Herrn der Ringe", "King Kong". Mit den schlechten Kino-Zahlen 2005 haben schnell Diskussionen eingesetzt, was Kinokultur eigentlich ist - wie die Kultur ins Kino und wie das Kino zu seiner Kultur kommen kann. Nun hat auch die Branche die Sünden erkannt, die ihr seit Jahren aufgezählt wurden - überhöhte Preise, ödes Multiplex-Dekor, das wirre Labyrinth der auf diverse Etagen verteilten Kinosäle, im Kinosaal dann endlose Werbekolonnen, Monotonie der Filmtrailer, Popcorn- und Nachos-Gemampfe, Handygebimmel . . . Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die einzelnen Menschen in dieser Masse einander feind sind.

Dutzende Multiplexe stehen heute in der deutschen Kinolandschaft, und sie sind natürlich nicht allein zu den Schuldigen zu erklären. Aber sie signalisieren einen Engpass der Kinokultur, die sich vor allem auf die Kinogänger zwischen fünfzehn und dreißig und ihren Lifestyle ausgerichtet hat. Schnell haben die großen Multiplex-Betreiber umgedacht, Hans-Joachim Flebbe mit seinem Cinemaxx, und Heiner Kieft mit seinem Cinestar. Starke Nostalgie ist plötzlich im Spiel, die Sehnsucht nach der Kinopalast-Atmosphäre der Vierziger und Fünfziger. Aber lassen sich die Multiplex-Abfertigungshallen wirklich noch umdekorieren?

In Amerika ist man bereits ziemlich weit mit der Verwirklichung solcher Kinoträume. Bis zum Exzess hat das Hamid Hashemi getrieben mit seiner Firma Muvico, die erst in Florida, später im Rest der USA Fünf-Sterne-Kinos errichtete. Mit höchstem Luxus: Valet-Parking, Cocktail-Bar, Superrestaurant, natürlich mit Kinderaufsicht. Ein Michelin der Luxuskinos scheint nur noch eine Frage der Zeit. Die Sitze sind 1,8 m breit - auch zum paarweisen Gebrauch einladend, und man darf nach dem erlesenen Mahl zuvor natürlich seine Flasche Wein, sein Dessert, seinen Kaffee mitnehmen in den Kinosaal. Eins der Kinos, in Baltimore, ist gar im ägyptischen Stil gestaltet - die Lasvegarisierung des Kinos?

Die Paläste der Zwanziger und Dreißiger waren Folge der Expansion des Kinos, seiner Umgestaltung zum industrialisierten Produktions- und Distributionssystem. Das Kino, das als ein populäres, als ein Unterschichten-Medium angefangen hatte, erschloss sich das gewaltige bürgerliche Zuschauer-Potenzial. Die Veroperung, die es dabei durchführte, als Annäherung an die etablierten hohen Künste, erlebte ihren Höhepunkt in den Fünfzigern - der bereits überschattet wurde vom Triumph des Fernsehens. Mit der Orientierung auf solche Opulenz, so die Kalkulation, könnte man ein Publikum wieder fürs Kino bewegen, das von den Zuständen in den Multiplexen vergrault wurde und dem allenfalls das Arthouse-Kino blieb: Leute über dreißig, mit Muße und jenem undefinierbaren Flair von Kultur.

Natürlich wird das Kino bei all diesen Luxus-Höhenflügen seine Ursprünge nicht vergessen, als Ort, an dem aus dem Zuschauer-Ich ein Es für ein paar Stunden wird, das lustvoll vor der Leinwand alle Sicherheiten des normalen Lebens verlieren mag. Natürlich hat es neben all den hochexklusiven Glamourproduktionen immer auch das B-, C- oder Z-Kino gegeben. Wie man beides kombiniert, hat exemplarisch Mel Gibson bewiesen, mit der "Passion Christi" - ein Film, der das christliche wie das spektakelsüchtige Publikum gleichermaßen bediente. Auch sein neuer Film wird selbstgewiss die gängigen Formeln des Kinos ignorieren, aber voll auf Erfolg programmiert sein: "Apocalypto" erzählt eine Familiengeschichte aus der Mayazeit - als alle Yucateco sprachen.

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