Kino 2007:Magic Moments

Es war das Jahr, in dem Ingmar Bergman und Michelangelo Antonioni starben, am 30.Juli. Ein Doppelschlag, ein Einschnitt. Aber es war auch ein Jahr magischer Momente auf der Leinwand.

8 Bilder

"Three Burials - Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada"

Quelle: SZ

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Die Sicht des Blinden

Ein Mann lebt in den Bergen, im Grenzland von Texas und Mexiko. Der Mann ist blind, er ist alt und verloren. Er wartet auf den Tod, unterhalten von einem Radio und dem Glorienschein früherer Tage. Diesen Einsiedler passieren zwei Parteien in "Three Burials - Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada" von Tommy Lee Jones: Zwei Männer auf Pferden, man sieht sie nah, von der Hüfte aufwärts, wortkarge Reiter mit einem Toten im Gepäck. Dann deren Verfolger. Das Bild wird weit, um sie alle zu fassen, sie parken das Haus im Halbkreis ein, die Fahrzeuge der höflichen Texas Rangers, der Grenzpatrouille, des Sheriffs. Der blinde Mann kann das nicht sehen. Aber durch die Annäherung wissen wir, wem er weiterhelfen wird, law oder outlaw. Und durch diese Entscheidung sind sein Leben und der Film nun eins mit jenen Mythen, von denen er träumt, wenn er auf der Veranda sitzt, dem mexikanischen Sender lauscht.

Freude: Letters from Iwo Jima, von Clint Eastwood Frust: Joe Strummer - the Future is Unwritten, von Julien Temple

Text: Doris Kuhn, SZ vom 27.12.2007 Foto: Sony Pictures

"Persepolis"

Quelle: SZ

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Das Ferkel bist du

Im Idealfall spielt das Kino in einem Paralleluniversum, es schafft aus der vorhandenen eine bessere und vor allem logischere Welt. Marjane Satrapis gemaltes Alter ego bewegt sich in "Persepolis" durch ein Zeichentrickphantasiereich, das nur scheinbare Ähnlichkeit mit seinen Vorbildern hat - dem kühlen Wien und dem postrevolutionären Teheran.

Man kann dort den Störenfrieden nämlich mit der passenden Antwort beikommen. Also blafft die Zeichentrick-Marjane einen Sittenwächter an, der sich über das Wackeln ihres Hinterteils beklagt. Das Ferkel sei wohl er, nicht sie. Wenn Marjane Satrapi, die ihre Comicreihe nach realen Ereignissen schuf, tausendmal sich diesen Triumph der Logik versagen musste - auf der Leinwand ist er ein Heidenspaß. Und wo sie recht hat, hat sie recht.

Freude: Letters from Iwo Jima, von Clint Eastwood Frust: Elizabeth, von Shekhar Kapur

Text: Susan Vahabzadeh, SZ vom 27.12.2007 Foto: AFP

"How to cook your life"

Quelle: SZ

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Dann wasche den Reis

Ein Kochkurs der besonderen Art. Zen-Meister Edward Espe Brown führt vor, wie man Brotteig richtig knetet, in Doris Dörries "How to cook your life". Die Augen der Kursteilnehmer sind erwartungsvoll auf ihn gerichtet. Eine unausgesprochene Frage: Könnte es nicht auch für Daseins-Erleuchtungen ein einfaches, schnell erlernbares Rezept geben?

Ed Brown weicht aus: er erzählt von seiner eigenen Ungeduld, zitiert seinen Lehrer Suzuki Roshi: "Wenn du Reis wäschst, dann wasche den Reis!" Er erinnert er sich an die existentiellen Erschütterungen seines Lebens. Dann geht es ans Karottenschneiden, plötzlich springt aus Ed Browns präzisen Handgriffen das hervor, wovon vorher nur die Rede war: selbstvergessene Hingabe, Glück, Erleuchtung.

Freude: Two Days in Paris, von Julie Delpy Frust: Free Rainer - Dein Fernseher lügt, von Hans Weingartner

Text: Rainer Gansera, SZ vom 27.12.2007 Foto: MFA Film Distribution

"Pans Labyrinth"

Quelle: SZ

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Moosbewachsener Gott

Eine Libelle lockt die zwölfjährige Ofélia in ein Gartenlabyrinth. Wo sich dem verträumten Mädchen eine unterirdische Welt offenbart, in der es - vielleicht - eine Prinzessin ist. Eine dringend nötige Märchen-Parallelwelt zur wirklichen Welt, in der Francos Armee Partisanen jagt und Ofélias Stiefvater sich beim Foltern und Morden besonders hervortut.

Dass "Pans Labyrinth" von Guillermo del Toro kein nettes Märchen werden wird, ist jedoch schon in dem Moment klar, in dem sich der Gott Pan das erste Mal zeigt. Moosbewachsen, mit einer madenblassen Haut, wie sie Tiere haben, die viel im Dunklen leben. Augen wie Milchglas und lange knochige Finger, die blitzschnell ein Fröschlein zum Mund führen können, in dem kleine spitze Zähne leben.

Eine Horrorgestalt und ein Verführer - die Fantasygestalt ist kein Gegenbild zum Faschismus, sondern sein trüber Spiegel.

Freude: 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage, von Cristian Mungiu Frust: Ein fliehendes Pferd, von Rainer Kaufmann

Text: Martina Knoben, SZ vom 27.12.2007 Foto: Time Warner

"Die Liebe in mir"

Quelle: SZ

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Peter Pan in New York

Ein unterschätztes Melo, hemmungslos sentimental, rücksichtslos komisch und doch von großer Ernsthaftigkeit geprägt. Adam Sandler spielt in Mike Binders "Die Liebe in mir" einen vom Schicksal schwer getroffenen Mann, seine Familie kam bei den Anschlägen vom 11.September ums Leben.

Auf einem Miniroller surft er durch die Schluchten von New York, ein trauriger Peter Pan, der ausieht wie Bob Dylan. (Sandler hätte gut in Todd Haynes' Dylan-Film "I'm Not There" gepasst.)

Ein Studienfreund, Don Cheadle, versucht ihm zu helfen. Bei ihrer Suche nach verlorener Unschuld und verschüttetem Glück hilft ihnen die amerikanische Popkultur: die alten Filme, die Comics, die Rockmusik. Einmal auf diesem Selbstheilungstrip schauen sie die ganze Nacht Mel-Brooks-Filme, um danach verzaubert in den Morgen zu taumeln.

Freude: Todeszug nach Yuma, von James Mangold Frust: Von Löwen und Lämmern, von Robert Redford

Text: Hans Schifferle, SZ vom 27.12.2007 Foto: Sony Pictures

"Schräger als Fiktion"

Quelle: SZ

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Mehr Mehl

Die Erweckung eines notorischen Langweilers durch die Poesie einer Schriftstellerin - durch die Kraft ihrer Stimme wird der Besuch des grauen Finanzbeamten Harold Crick (Will Ferrell) bei einer steuersündigen Bäckerin (Maggie Gyllenhaal) romantisch aufgeladen.

Plötzlich kommt in Marc Forsters "Schräger als Fiktion", dieser so lebensphilosophisch tiefgründigen wie beschwingt leichten Komödie, die Imagination ins Spiel und er kann seine Gedanken nicht mehr bei den Zahlen halten, muss sich einfach vorstellen, wie ihre Hände seine Wange streicheln, wie sie sich in der Badewanne räkelt oder auf seinem Bett ausstreckt. Später wird er ihr ein Tablett mit Mehlsorten bringen, flours, was im Englischen so klingt wie flowers, Blumen.

Freude: Three Burials, von Tommy Lee Jones Frust: Fountain, von Darren Aronofsky

Text: Anke Sterneborg, SZ vom 27.12.2007 Foto: getty images

"Queen"

Quelle: SZ

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Todgeweihte Kreatur

Die Königin und der Hirsch, was sonst. Helen Mirren, in Stephen Frears' "Queen" gehetzt von der öffentlichen Meinung nach dem Tod von Princess Diana, bricht in der schottischen Einsamkeit zusammen und schaut ganz plötzlich einem wunderschönen, kapitalen Vierzehnender in die Augen.

Zwei Monarchen, zwei Anachronismen, zwei Gejagte unter sich. Gefangen in unerbittlicher Tradition, plötzlich berührt vom Gefühl. Fehlt nur noch das Kreuz, im Sinn der christlichen Hubertus-Legende, das zwischen den Hörnern der todgeweihten Kreatur aufleuchtet.

Hier wie dort ein Erweckungserlebnis, ein Moment der unwiederbringlichen Umkehr: Am Tag danach wird sich die Queen der Macht des Populismus beugen, und England wird nie mehr so sein wie zuvor.

Freude: Zodiac, von David Fincher Frust: Mein Führer, von Dani Levy

Text: Tobias Kniebe, SZ vom 27.12.2007 Foto: Reuters

"Still Life/Sanxia haoren"

Quelle: SZ

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Der gefallene Blick

Ein Heimkehrerfilm aus China. Die Stadt Fengjie, in die ein Mann zurückkommt, in "Still Life/Sanxia haoren" von Jia Zhang-Ke, ist nicht vom Krieg in Trümmer gelegt, sondern von den Arbeiten für den Drei-Schluchten-Staudamm am Yangtse. Krieg gegen die Natur, gegen die Geschichte.

Einmal, beim langsamen Weg durch die Ruinenlandschaft, fällt eine Mauer um, der Mann schaut hin, man weiß nicht, was zuerst war, der Blick oder der Fall.

Freude: Die Liebe in mir, von A. Binder Frust: Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken, von Leander Haußmann

Text: Fritz Göttler, SZ vom 27.12.2007 Foto: Delphi Film

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