Kindergeschichte:Das Gießkannen-Didgeridoo

Dirk Kummers Buch verarbeitet noch einmal Elemente aus seinem preisgekrönten TV-Film "Zuckersand".

Von Fritz Göttler

Die Seele lebt im Blute, das ruft Fred seinem Freund Jonas zu, als die beiden sich treffen am See: "Die Seele der beiden jungen Krieger mögen eine einzige Seele bilden." Das ist natürlich Winnetou, der auch in der DDR, 1978, jugendliches Leben bestimmt. Die Blutsbrüderschaft zwischen den beiden zu besiegeln, ist allerdings nicht ganz einfach. Das Messer, das Fred aus der Hosentasche zieht, ein altes, abgenutztes DDR-Stück mit zerkratzter Klinge, ist stumpf. Also holt Jonas sein Messer raus, knallrot, nigelnagelneu, fünf verschiedene Klingen, ein Schweizer Taschenmesser. Damit können die Jungs den Schnitt in ihren Arm machen, um ihr Blut zusammenfließen zu lassen.

Sie scheinen aus zwei ganz verschiedenen Welten, die DDR-Kids Fred und Jonas, Freds Vater ist Zollbeamter, von der Doktrin des Sozialismus unerschütterlich überzeugt, die Familie lebt in einem Haus mit Garten in Falkensee, nordwestlich von Berlin. Darf keine Westkontakte haben - und am besten auch keine zu Jonas und dessen Mutter. Die hat rotes Haar und in der Wohnung gibt es Bücher, buntes Keramikgeschirr mit Blumen und Schmetterlingen, und es wird gebetet, wenn man sich zu Tisch setzt. Jonas' Vater starb im Gefängnis, Lungenentzündung. Sie haben Verwandte in Berlin, und: Die Mutter hat einen Ausreiseantrag aus der DDR gestellt.

Die Brisanz dieser Bekanntschaft will Fred nicht akzeptieren. Gemeinsam starten die Jungs ein großes Projekt, in einer stillgelegten Ziegelei, wo der Sand ganz fein ist, Zuckersand: Sie werden einen großen Tunnel graben - keine gewöhnliche Republikflucht unter der Mauer durch, sondern direkt nach Australien. 12 742 Kilometer. So werden sie, wenn Jonas dann im Westen ist und nicht mehr in die DDR kommen darf, den Kontakt nicht verlieren.

Das Buch verarbeitet Material, das schon in Dirk Kummers Fernsehfilm "Zuckersand" von 2017, der diverse Grimme-Preise erhielt, eine Rolle spielte, dort hatte es einen tragischen Unterton. Das Buch entwickelt dagegen, als die Ausreise tatsächlich genehmigt wird und Jonas überstürzt verschwindet, eine traurige Melancholie der Einsamkeit. Trost kommt von der anderen Seite der Welt, den Aborigines, den australischen Eingeborenen. "Die Aborigines können sich über riesige Entfernungen unterhalten, ohne Telefon. Nur mit der Kraft ihrer Gedanken." Hat Jonas vorgelesen, aus "Meyers Neuem Lexikon", Band 1. Das ist noch stärker als die Blutsbrüderschaft bei Karl May, es tröstet Fred, als Jonas abschiedlos verschwinden muss.

Das Nahe und das Ferne wird so magisch zusammengebracht, die Enge der DDR-Kindheit aufgebrochen im Traum. Eine Gießkanne kann klingen wie ein Didgeridoo, das Blasinstrument der Aborigines. Und Fred hört den Wind sprechen. "Als ob es nicht genügt, dass Vati so einen Wind macht, bläst auch der richtige Wind von draußen die Küchengardine ins offene Fenster: Ist ja ganz schön was los bei euch, will er mir sagen. Wie ein Aborigine verstehe ich den Wind. Ganz ohne Worte ..."

Dirk Kummer: Alles nur aus Zuckersand. Carlsen, Hamburg 2019. 139 Seiten, 12 Euro.

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