"Madita" von Astrid Lindgren
Eine der engsten Freundinnen unserer Tochter war Madita. Sicher drei Jahre lang, so zwischen sechs und neun. Madita ist die Hauptfigur in Astrid Lindgrens gleichnamigem Roman, ein mutiges, wildes, neugieriges Mädchen mit einem Herzen, größer als Schweden. Ihre kleine Schwester Lisabet sagt oft von ihr, sie sei "verdreht", weil Madita ziemlich irre Ideen hat, zum Beispiel mit einem Regenschirm vom Dach zu springen. Endet natürlich mit einem bösen Sturz. Vor allem aber - und damit bildet sie ein außerordentlich wolhtuendes Gegenbeispiel zu den meist häuslich-braven, vorsichtigen Mädchen der Kinderbuchliteratur - zieht Madita auf eigene Faust weite Kreise in der Kleinstadt, in der sie lebt, und freundet sich dabei mit Menschen an, die gar nicht den bürgerlichen Verhältnissen ihrer Familie entsprechen: Mit der Nachbarsfamilie Nilsson, die in ziemlichem Elend lebt, weil der Vater ein übler Trinker ist. Und vor allem mit Mia, einer Außenseiterin aus ihrer Klasse, die ihre Einsamkeit hinter Kratzbürstigkeit versteckt. Zwischen den beiden entwickelt sich nach anfänglichen inbrünstigen Kämpfen eine der schönsten Kinderbuchfreundschaften, die ich kenne. Und das Ganze ist so lebensecht, lustig und herzerwärmend geschrieben, dass unsere Tochter von Madita immer wieder wie von einer wirklich existierenden Freundin gesprochen hat. Einige Ausdrücke der kleinen Lisabet wohnen immer noch in unserem Familienwortschatz, "verdreht" natürlich, aber vor allem Lisabets begeistertes "Apselut!". Netterweise hat Astrid Lindgren auch noch einen zweiten Teil geschrieben. Alex Rühle Liebe Leserin, lieber Leser, für die SZ-Kinderbuchrecherche interessiert uns auch Ihr liebstes Kinderbuch: Schreiben Sie uns Titel und Begründung an debatte@sz.de. Wir veröffentlichen ausgewählte Zuschriften anonymisiert auf SZ.de.
"Sophie auf den Dächern" von Katherine Rundell
In einem Cellokasten auf dem Ärmelkanal treibend - so findet man das Baby Sophie nach einem Schiffsunglück. Sie gilt fortan als Waise, ist aber fest davon überzeugt, dass Ihre Mutter noch lebt. Sophie wächst bei dem liebenswerten Eigenbrötler und Bücherwurm Charles Maxim auf, der sie nach dem Unglück aufnimmt und sie lehrt, "im Leben keine Möglichkeit außer Acht zu lassen". Und der, als das Jugendamt an ihrem zwölften Geburtstag droht, ihm die Vormundschaft zu entziehen und Sophie in ein Heim zu stecken, mit ihr nach Paris fliegt und sie bei der Suche nach ihrer Mutter unterstützt. Ein großes Abenteuer beginnt, bei dem Sophie die Dachläufer-Kinder kennenlernt, die aus Waisenhäusern geflohen sind und nun sehr frei auf den Dächern von Paris leben und ihr bei der Suche helfen. Ein poetisch geschriebenes Buch über ein Mädchen, das unbeirrbar seiner inneren Stimme folgt. Und ein Buch, das sich auf erfrischende Weise allen typischen "Mädchenbuch"-Klischees entzieht. Nicht nur weil es statt Freundeskreis oder Internat die Dächer von Paris als Schauplatz wählt, sondern auch, weil es der Autorin gelingt, alle Charaktere in diesem Buch - ob Mann oder Frau - als ungewöhnliche Menschen und als sympathisch-liebenswerte Freigeister zu zeichnen. Nina von Hardenberg Liebe Leserin, lieber Leser, für die SZ-Kinderbuchrecherche interessiert uns auch Ihr liebstes Kinderbuch: Schreiben Sie uns Titel und Begründung an debatte@sz.de. Wir veröffentlichen ausgewählte Zuschriften anonymisiert auf SZ.de.
"Die dumme Augustine" von Otfried Preußler
Es gibt zahlreiche Rezensionen, die das Bilderbuch "Die dumme Augustine" von Otfried Preußler als emanzipatorisches Meisterwerk feiern. Schließlich geht es in der Geschichte, 1972 erstmals erschienen, um eine Clownsfrau, die von ihren Haushaltspflichten und der Kinderbetreuung recht gelangweilt ist, dann eines Tages in der Zirkusmanage einspringen darf, weil ihr Mann wegen Zahnschmerzen ausfällt. Und das gelingt so gut, dass ihr Mann ihr anschließend anbietet, die Zirkusauftritte in Zukunft gemeinsam zu absolvieren. Im genauen Wortlaut schlägt er vor: "Ich helfe dir in der Küche und bei den Kindern - und du trittst mit mir zusammen im Zirkus auf. Denn fürs Kochen und Schrubben und Wäschewaschen allein bist du viel zu schade!" Die Krux, die ganze Müttergenerationen seither in den Burnout oder wenigstens ins nächste Achtsamkeitsseminar treibt, liegt in dem klitzekleinen Wort "helfen". Er hilft ihr im Haushalt, während sie mit ihm gemeinsam im Zirkus auftritt. Einmal volle Lohnarbeit zusätzlich bei ihr drauf - für etwas männliche Hilfe in der sogenannten Care-Arbeit. Das Leben der dummen Augustine ist sicherlich aufregender geworden, aber auch anstrengender. Und gerecht ist es immer noch nicht. Vera Schroeder Liebe Leserin, lieber Leser, für die SZ-Kinderbuchrecherche interessiert uns auch Ihr liebstes Kinderbuch: Schreiben Sie uns Titel und Begründung an debatte@sz.de. Wir veröffentlichen ausgewählte Zuschriften anonymisiert auf SZ.de.
"Die drei Räuber" von Tomi Ungerer
Von den Räubern sieht man zunächst nicht viel: Von oben kommt der schwarze Federhut, von unten der Mantel, in der Mitte ein Stück Nase samt grimmiger Augenpartie. Drei Mannsbilder, die die Menschheit mit Donnerbüchse, Pfeffer-Blasebalg und einem riesigen roten Beil terrorisieren - gefühllos, eiskalt, tatentschlossen. Hoch oben in den Bergen horten sie in ihrem Höhlenversteck die Beute. Eines Tages treffen sie auf eine leere Kutsche, darin nichts als ein Waisenkind namens Tiffany. Nichts zu rauben? Damit wendet sich die Geschichte. Tiffany hat keine Angst, findet die Räuber interessant und kommt mit ihnen. Die Räuber kaufen von der Beute ein herrliches Schloss, bauen es zum größten Kinderheim der Bilderbuchgeschichte um. Das Buch - bisher weitgehend in schwarz und blau gehalten (und ein bisschen rot für die Axt) - wird bunt. Statt Kutschen zu überfallen, fahren die Räuber von nun an selbst mit einer durchs Land und sammeln vernachlässigte Kinder ein. Und obwohl sie auch jetzt nicht mehr von sich zeigen als die Augenpartie, blickt man doch tief in die veränderten Herzen: drei weich gewordene Räuberjungs und ihre Riesenfamilie. Georg Cadeggianini Liebe Leserin, lieber Leser, für die SZ-Kinderbuchrecherche interessiert uns auch Ihr liebstes Kinderbuch: Schreiben Sie uns Titel und Begründung an debatte@sz.de. Wir veröffentlichen ausgewählte Zuschriften anonymisiert auf SZ.de.
"Die drei ??? Kids - Gruft der Piraten" von Ulf Blanck und Stefanie Wegner
Hier steckt alles drin, was Jungs zum Lesen bringen oder Verkaufszahlen steigern soll: Schätze, Piraten, Verbrecher, ein großes Geheimnis und drei Detektive, die es aufdecken. Justus, Bob und Peter entdecken Schiffswracks vor der Küste, dann den Schatz der Strandpiraten in einer Höhle, und sie kommen zwielichtigen Gestalten auf die Spur, die sich für all das mindestens so interessieren wie sie. Am Ende recherchiert Bob die entscheidenden Infos, hat Justus einen genialen Einfall und rettet Sportskanone Peter die Jungs aus einer brenzligen Situation. Auch wenn die Charaktere weniger holzschnittartig sind als etwa TKKG - nach diesem Schema funktionieren viele der "drei ???"-Geschichten, auch in der "Kids"-Version für die Jüngeren. Inklusive der vermeintlich jungstypischen Ingredienzen. Dass der Plot unglaubhaft ist - geschenkt. Dass auf 115 der 119 Seiten in einer offenbar nur von Männern bevölkerten Welt keine weibliche Figur auftaucht - ebenso unglaubhaft, ebenso geschenkt. Aber dass die beiden kurzzeitig Gestalt annehmenden Frauen dann ausschließlich dafür zuständig sind, Proviant zu packen, gesunde Ernährung anzumahnen und die abenteuerlustigen Jungs zu bremsen - das lässt Leserinnen dann doch innerlich seufzen. Wer jetzt das Mädchen-Pendant der ebenfalls Verbrecher überführenden "drei !!!" entgegenhalten möchte, lese sich nur die Titelliste durch. Da geht es dann nicht um Piraten, Zombies und Fußballhelden, sondern um "Kuss-Alarm", "Gefahr im Reitstall" oder "Skandal auf dem Laufsteg". Seufz. Sabrina Ebitsch Liebe Leserin, lieber Leser, für die SZ-Kinderbuchrecherche interessiert uns auch Ihr liebstes Kinderbuch: Schreiben Sie uns Titel und Begründung an debatte@sz.de. Wir veröffentlichen ausgewählte Zuschriften anonymisiert auf SZ.de.