Süddeutsche Zeitung

Kinderbuch:Windtelefon

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Ein kleiner Flüchtlingsjunge erkundet seine neue Heimat. Alles was er erlebt, erzählt er seinem Hund, den er zu Hause zurücklassen musste, der aber schon auf dem Weg zu ihm ist. Eine hoffnungsvolle Geschichte über das Ankommen in einem fremden Land.

Von Regine Riepe

Voller Zuversicht wartet ein Junge auf seinen geliebten Hund. "King kommt noch!", hatte die Mutter versprochen. Sie sind ja auch erst seit drei Tagen in diesem neuen Land, in Sicherheit zwar, aber fremd und verloren. Mama, Papa, Baby und der Junge, der in diesem Buch von seinen Gedanken und Erlebnissen erzählt, alle in nur einem Zimmer. Ein komisches Land, in dem es immer gleich drei Straßen gibt - eine für Autos und gleich zwei am Rand, extra für Kinder, Hunde und Menschen! Und wo tatsächlich ein Mann Hundehäufchen in einer Plastiktüte einsammelt. Was er wohl damit macht?

Auch Mama und Papa können diese Frage nicht beantworten, sie wissen überhaupt gar nichts mehr, ganz anders als zu Hause. Der Junge sehnt sich so nach seinem Hund. Aber wie soll King den weiten Weg hierher bloß finden? Die Eltern bauen fantasievoll ein "Windtelefon", das die Worte des Jungen über die Berge hin zu seinem Hund tragen wird. Ganz genau beschreibt er nun King den gefährlichen Weg und findet Trost darin, sich seine Ankunft auszumalen. Bis es so weit ist, erkundet der Junge Schritt für Schritt die neue Welt. Der nette Hausmeister der Unterkunft gibt ihm ein Buch - doch oh Schreck, alle Buchstaben sind fremd! Arabische Schriftzeichen sehen ganz anders aus. Leseanfänger werden das Entsetzen des Jungen gut nachempfinden können. Was, wenn man nicht mehr lesen kann, obwohl man das gerade mühsam in der Schule gelernt hat? Alles ist fremd und unverständlich. Doch dann entdeckt der Junge mit seinem Papa eine Teestube, ganz wie zu Hause. Und im Fahrradladen um die Ecke bekommt er ein Fahrrad, mit dem er die Straße entlangsausen kann. Schritte in ein normales Kinderleben. Als dann noch die weiß gekleidete Frau ihm eine besondere Taschenlampe mit blauem Licht schenkt, erwachen alle Bücher zum Leben. Beim Bücherlesen versinkt er in einer zauberhaften Welt, in der Tiere Flügel bekommen. Auf solchen Flügeln könnte sein geliebter Hund King auch zu ihm kommen.

Realistisch und märchenhaft zugleich ist diese Geschichte vom Ankommen in der Fremde. Andrea Karimé erzählt von Unsicherheit und vom Schmerz des Verlustes, aber auch von den kleinen Gesten der Freundschaft, die so viel bewirken. Wer mit Kindern diese Geschichte liest, begibt sich mit ihnen zusammen in eine magische Welt, in der Hunde den weiten Weg aus dem zerstörten alten Zuhause bis zu dem Jungen finden könnten. Und fühlt sich in die Fremdheit und Verlorenheit eines Kindes ein, für das nichts mehr selbstverständlich ist. Einfühlsam illustriert mit hellen freundlichen Bildern, die auch die Wanderung des Hundes zeigen. (ab 6 Jahre)

Andrea Karimé : King kommt noch. Mit Illustrationen von Jens Rassmus. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2017. 48 Seiten, 9,90 Euro.

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Quelle:
SZ vom 26.06.2017
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