Kinderbuch:Maikels Flucht

Wie ein Kaninchen vor dem Tod bewahrt wird, weil sich zwei Kinder auf den Weg durch Deutschland machen, um es zu retten. Und bei diesem Roadmovie, verfolgt von der Polizei, eine Menge erleben und auch besondere Menschen kennenlernen.

Von Yvonne Poppek

Zugegeben, es ist nicht unbedingt üblich, sich einmal am Tag in einen engen Karton zurückzuziehen, bis die Luft darin ganz stickig ist und die eigenen Wangen glühend rot sind. Aber ist es gleich verrückt? Andrea jedenfalls glaubt, dass er verrückt ist. Wegen des Kartons. Dabei ist sein Leben in Summe nicht ganz einfach, was nicht nur daran liegt, dass er als Junge "Andrea" heißt, weil seine Eltern offensichtlich einmal ein Faible für Italien hatten. Andrea lebt allein mit seinem Vater, seit seine Mutter in ein Aussteigerdorf bei Freiburg gezogen ist und dort irgendetwas mit Energie macht. In der Schule ist er Einzelgänger. Und dann quartiert sein Vater auch noch Flüchtlinge in der Wohnung ein, Mutter und Tochter. Andreas Welt fühlt sich seitdem noch wackeliger an.

"Unterwegs mit Kaninchen" heißt die Geschichte, die Benjamin Tienti in dieser tristen, unspektakulären Berliner Vater-Sohn-Beziehung beginnt - und die sich dann rasch zu einem rasanten Roadmovie entwickelt. Dreh- und Angelpunkt ist dabei Andreas Kaninchen Maikel, sein Ein und Alles. Das Flüchtlingsmädchen Fidaa lässt es fallen, das Tier bricht sich die Pfote und soll eingeschläfert werden. Andrea will das in jedem Fall verhindern und macht sich heimlich auf zu seiner Mutter, der Energie-Heilerin, von der er sich Hilfe verspricht. Fidaa folgt dem jungen Ausreißer und hilft ihm gegen seinen Widerstand, sodass sie sich aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz - und entgegen jeder Erwachsenenvernunft - einmal quer durch die Republik schlagen.

Tienti hat sein Abenteuer wie ein gutes Drehbuch arrangiert, das von einer eher grauen Ausgangslage über ein Unglück zur Heldenreifung führt. Sein schüchterner, lebensuntauglicher Ich-Erzähler Andrea wird immer mutiger. Und die mutige, kämpferische, wortkarge Fidaa an seiner Seite wird immer zugänglicher und weicher. Sie gewöhnen sich aneinander, bis sie sich wortlos verstehen.

Der Autor lässt sein Duo dabei atemlos durch Deutschland reisen, immer unter dem Druck, dass Maikel leidet und die Polizei sie sucht. Das allein schafft viel Tempo - und Tienti tut seinen jungen Lesern den Gefallen, dass die beiden auch oftmals nur haarscharf einem Zugriff entkommen. Dass er seinen Protagonisten Andrea erzählen lässt - und bisweilen auch das Kaninchen Maikel - wirkt im Ton absolut glaubhaft. Tatsächlich formuliert Tienti auf Augenhöhe, biedert sich nicht an, erlaubt seinem Helden einen eigenen Sound. Und der ist nicht cool, sondern sensibel, ein Tasten nach Beschreibungen. Irgendwann fühlt sich Andrea beispielsweise so wie ein Luftballon, der ganz prall aufgeblasen wurde und dann drei Wochen lang rumlag. "Am Ende ist die Luft irgendwie, irgendwo rausgeflüchtet und er ist nur noch ein labbriges Ding. So fühle ich mich jetzt." Bei "Unterwegs mit Kaninchen" geht dem Autor hingegen nie die Luft aus - ein Glück, puh! (ab 10 Jahren)

Benjamin Tienti: Unterwegs mit Kaninchen. Mit Illustrationen von Anke Kuhl. Dressler Verlag, Hamburg 2019. 208 Seiten. 13 Euro.

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