Süddeutsche Zeitung

Kinderbuch:Lichter von daheim

Drei Kinder finden sich plötzlich in einer anderen Welt, als die Mutter beschließt, von Irland zurück nach Deutschland zu ziehen.

Von Hilde Elisabeth Menzel

Susan Krellers Jugendromane sind keine dicken Schmöker, denn sie beherrscht die Kunst, mit knapper Sprache voller überraschender Bilder und scheinbar beiläufiger Andeutungen packende Geschichten zu erzählen und beim Leser Stimmungen hervorzurufen, die ihn von der ersten Seite an fesseln und umtreiben. Um was geht es in ihrem neuen Buch mit dem seltsamen Titel "Elektrische Fische"? Einen Hinweis gibt der dem Roman vorangestellte Song der irischen Rockband U2 "Lights of Home", der von Heimweh handelt.

Es ist die 15-jährige Emma, die uns die Geschichte erzählt. Ihre Mutter war vor zwanzig Jahren als Au-pair-Mädchen nach Dublin gekommen, hatte dort heimlich geheiratet, drei Kinder bekommen und war nie mehr zu ihren Eltern gereist, um ihnen ihre Enkelkinder zu zeigen. Doch als ihr Mann anfing zu trinken und seine Familie schließlich verließ, musste sie sich das Scheitern ihres irischen Lebens eingestehen. Nun kehrt sie zurück in ihr Heimatdorf Velgow in Mecklenburg-Vorpommern. All die Jahre hatte sie Heimweh nach Deutschland und ihrem Dorf gehabt, aber eine Rückkehr dieser Art hatte sie nicht vorgehabt und auch nicht in ein Dorf von inzwischen so atem-beraubender Trostlosigkeit, dass sie den Ort ihres Heimwehs nicht mehr erkennt. Dafür mutet sie ihren Kindern nun Heimweh zu, in umgekehrter Richtung.

Berührend und eindringlich beschreibt Susan Kreller, was Heimweh bedeutet. Für jedes der drei gestrandeten Geschwister etwas anderes. Für die kleine Aoife sind es die Teebeutel ohne Bändchen, die irische Schokolade und die Tatsache, dass niemand ihren irischen Vornamen Aoife richtig ausspricht. Ein so herzzerreißender Kummer, dass sie schließlich gänzlich verstummt. Vom großen Bruder Dara heißt es am Ende der Geschichte, dass er letztlich am meisten gelitten hat und als einziger zurück nach Dublin geht. Für Emma aber ist es das irische Meer, der Wind, die Luft und die Sprache. "Die englische Sprache bin ich. Deutsch spreche ich nur. Deutsch ist immer noch ein paar Meere von mir entfernt." So beschließt sie, so schnell wie möglich nach Dublin zurückzukehren.

Und dann erzählt Susan Kreller noch eine ganz andere Geschichte. Es geht um Levin aus Emmas Klasse, ein dünner Junge, mit Brille, ein typischer Außenseiter. Seine Mutter ist psychisch krank, und Levin ist ihre wichtigste Bezugsperson. Bevor sie krank wurde, hatte sie als Meeresbiologin mit "elektrischen Fischen" gearbeitet, was die Autorin zum Titel des Romans inspirierte. Als Emma Levin von ihrem Fluchtplan erzählt, bietet er seine Hilfe an. Für ihn ist dies eine Möglichkeit, wenigstens in Gedanken seinem häuslichen Elend zu entkommen. So arbeitet er einen detaillierten Fluchtplan aus und zeigt Emma den Weg an die Ostsee, wo sie Trost beim Schwimmen findet, obwohl dieses Meer für sie kein Ersatz für die Irische See ist.

Als Aoife endlich wieder spricht, ist für Emma der Zeitpunkt gekommen, Levins Fluchtplan zu verwirklichen. Sie haben an alles gedacht, doch dann ist es Levins Mutter, an der Emmas Flucht auf dramatische Weise scheitert. Aber wollte sie denn eigentlich noch zurück? Hatte sich Emma durch ihre Freundschaft mit Levin nicht inzwischen schon längst von Irland verabschiedet? Behutsam und tröstlich führt die Autorin ihre Leser hin zu einem überraschenden Ende. (ab 12 Jahre).

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Quelle:
SZ vom 26.11.2019
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