Süddeutsche Zeitung

"Winter auf Solupp" von Annika Scheffel:Wünsche in der Wechselnacht

Eine schwedische Insel im Winter, auf der Magie und Wirklichkeit verschmelzen - mit dem zweiten Band ihrer "Solupp"-Reihe schafft Annika Scheffel ein echtes Kaminfeuer-Wohlfühlbuch.

Von Heike Nieder

Übers Meer laufen, durch die Zeit reisen, einen schlafenden Riesen wecken - das sind drei von sieben Aufgaben, die es zu bewältigen gilt. Denn dann werden Wünsche wahr, in dem kurzen Moment zwischen heute und morgen in der Solupper Wechselnacht. Die "Wechselnacht", das ist eigentlich Silvester, überall auf der Welt sagt man Silvester, nur nicht auf Solupp. Denn Solupp ist anders, Solupp ist aus der Zeit gefallen und irgendwie auch aus der Wirklichkeit. Eine kleine lummerlandartige Insel irgendwo im Norden, die auf keiner Landkarte zu finden ist, die in der fünften Himmelsrichtung liegt, und auf der bloß eine Handvoll Menschen leben. Einer von ihnen ist Ema.

Das 13-jährige Mädchen wohnt dort zusammen mit seiner Ziehmutter Jolka, die im Sommer quirlig und lebendig ist, im Winter aber so traurig, dass sie fast mit dem Sofa zu verschmelzen scheint. Dann gibt es noch Joon, den Leuchtturmwärter, einen 15-jährigen Jungen, dessen Herkunft genau wie die Emas im Dunkeln liegt. Außerdem beheimatet an diesem magischen Ort: das uralte Geschwisterpaar Oona und Will. Dass es sich bei Will um einen ehemaligen Piraten handelt, verwundert nicht: Auf Solupp scheint Unwahrscheinliches wahrscheinlich zu sein, märchenhafte Elemente werden so selbstverständlich in die Geschichte verwoben, dass man sie einfach hinnimmt. Dazu gehört auch die Erzählung Oonas von den wunscherfüllenden Aufgaben zur Solupper Wechselnacht.

Trotz der heimeligen Atmosphäre stellt Scheffel große existenzielle Fragen

Doch zuvor kehrt die fünfköpfige Familie Fröhlich auf abenteuerliche Weise auf die Insel zurück. Sie hat bereits im Sommer einen langen Urlaub auf Solupp verbracht, und Ema hat zusammen mit der gleichaltrigen Mari das Rätsel um das eigentümliche Wort "Keilkliff" gelöst. Joon wiederum verliebte sich in Maris mürrischen, aber doch irgendwie geheimnisvollen Bruder Kurt. Zu viert beschließen die Jugendlichen, die sieben Aufgaben zu bewältigen.

Mit "Winter auf Solupp" setzt die Berliner Autorin Annika Scheffel ihre Reihe um die kleine sagenhafte Insel und deren Bewohner fort, die sie mit "Sommer auf Solupp" 2021 begonnen hat. Vordergründig geht es im zweiten Band um die Erfüllung der Wechselnacht-Wünsche, dahinterliegend stellt Scheffel aber große existenzielle Fragen: Was ist Heimat? Wo gehöre ich hin? Wer bin ich? Obwohl die Autorin auch schwere Themen nicht ausspart, schafft sie mit "Winter auf Solupp" ein echtes Kaminfeuer-Wohlfühlbuch. Die Depression Jolkas wird nicht verharmlost, Scheffel schildert eindrücklich, was die Krankheit mit Jolka macht und welche Auswirkungen das auf Ema hat. Doch weil Ema ein so lebensbejahendes Mädchen ist, und wir die Geschichte aus ihrer Perspektive lesen, fokussiert sich die Erzählung nicht auf Jolkas Traurigkeit. Die, nebenbei bemerkt, während des Besuchs der Fröhlichs auch gelegentlich verfliegt.

Der homosexuellen, zaghaft entstehenden Liebesgeschichte zwischen Joon und Kurt schenkt Scheffel nicht mehr Aufmerksamkeit, als sie das vermutlich bei einer heterosexuellen Teenagerliebe zweier Nebenfiguren getan hätte. Auch die anderen Figuren, allen voran die Eltern Kurts oder Jolka, scheinen nichts Besonderes daran zu finden, dass sich die beiden Jungs nicht in Mädchen verlieben. Dieses Nebenbeierzählen macht die sexuelle Orientierung Joons und Kurts zu etwas völlig Normalem. Es braucht viel mehr solche Bücher.

Das Gute: Bald gibt es noch eines. Bereits Ende Februar erscheint "Frühling auf Solupp", der dritte Band der Reihe.

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