Geschichte:Frauen mit Besitz und Beruf

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Katarzyna Radziwill: Frauenleben im Lauf der Zeit. Mit Illustrationen von Joanna Czaplewska. Helvetiq Verlag, 2021. 40 Seiten, 18 Euro. (Foto: N/A)

Katarzyna Radziwill schildert

Von Susan Vahabzadeh

"Das weiß man nicht" ist ein guter Satz in einem Geschichtsbuch. In Katarzyna Radziwills "Frauenleben im Lauf der Zeit" bewahrt er einen davor, für naturgegeben zu halten, was nur aus der Sicht des 21. Jahrhunderts so aussieht, als sei es immer so gewesen. Radziwill hat ein Geschichtsbuch geschrieben, das in kleinen Texten versucht darzustellen, wie Frauen über die Jahrtausende an den unterschiedlichsten Orten gelebt haben - und das, was man weiß, ist faszinierend genug, man muss da nichts dazuerfinden.

Es ist ja so: Gearbeitet haben Frauen immer, auf Feldern, in den Betrieben von Männern, im Haus. Selbständig und selbstbestimmt waren sie aber eben deswegen noch lange nicht. Die polnische Autorin Radziwill hat ihre Frauenleben chronologisch angeordnet, sie beginnt 10 000 Jahre vor Christus und arbeitet sich dann übers Mittelalter in Europa und die Suffragettenbewegung im 19. Jahrhundert vor bis in die Gegenwart. Und weil man über die Rollenverteilung in grauer Vorzeit in Wirklichkeit wenig weiß, handeln die ersten Seiten des Buches auch nur von dem, was man über die Menschen von damals sagen kann.

Im alten Ägypten hatten Frauen Besitzrecht. Die erbten und besaßen Land und Häuser

Die ersten spannenden Geschichten - aufgelockert durch Illustrationen von Joanna Czaplewka - hat sie aus dem alten Ägypten parat, und obwohl so ziemlich jeder Erwachsene schon einmal von Kleopatra gehört hat, ist für die meisten die Gleichberechtigung im alten Ägypten ein unbekannter Kontinent. Es gab nicht nur Herrscherinnen, sondern Ärztinnen und Priesterinnen, und vor allem etwas, das die Frauenbewegungen des 19.Jahrhunderts erst wieder neu erkämpfen mussten: Besitzrecht. Frauen erbten, sie besaßen Land und Häuser, meist war es sogar so, dass die Männer bei der Heirat ins Haus ihrer Frau zogen.

Europa ist eher von der griechischen Geschichte, Philosophie und Mythologie geprägt, und da war das alles anders - die Nachwirkungen spürt man bis heute: Frauen hatten kein Eigentum, sie waren mehr oder weniger das Eigentum ihrer Väter und Ehemänner, und an Berufe oder gar ein Studium war nicht zu denken. Darum hatte die erste griechische Ärztin, Agnodike, auch in Alexandria studiert, ging dann nach Griechenland zurück und verkleidete sich als Mann - aber diese Geschichte steht nicht in Katarzyna Radziwills Buch. Dafür hat sie einige andere Geschichten parat, auch zum Arztberuf: Frauen arbeiteten in Europa als Heilerinnen, bis die ersten Universitäten gegründet wurden - in die durften sie nicht herein, und damit waren sie für ein paar hundert Jahre aus dem Rennen. Es ist aber immer noch so - und inzwischen, obwohl es dort auch eine ganz andere historische Tradition gäbe, im Nahen Osten -, dass Männer viel mehr besitzen als Frauen, und einer Studie der französischen Ökonomen Marion Leturcq und Nicolas Frémeaux zufolge wächst die Kluft.

Die Gegenüberstellung des alten Ägypten und des antiken Griechenlands - im Buch folgen die Kapitel aufeinander - ist ein gutes Beispiel dafür, warum "Frauenleben im Lauf der Zeit" so ein wunderbares Kinderbuch ist: Radziwill hat gar kein Buch nur für Mädchen geschrieben. Sie erzählt das nämlich alles sehr, sehr nüchtern und ohne jede Angriffslust oder missionarischen Eifer. Sie schildert Zeiten, in denen es offensichtlich sehr ungleich verteilte Rechte gab und was das für Frauen und Mädchen bedeutete, und sie zeigt, dass es sich dabei keineswegs um einen Naturzustand handelt. Und diese Art zu erzählen hat einen ganz wunderbaren Effekt: "Frauenleben im Lauf der Zeit" können Jungen lesen und bewerten, ohne dass ihnen eine moralische Einordnung von Geburts wegen droht. (ab 10 Jahre)

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