Süddeutsche Zeitung

Kinderbuch aus Kolumbien:Pirat von 130 cm

"Das Glück ist ein Fisch", erzählt die Geschichte eines Jungen, der auf einer Ferieninsel einen alten Mann trifft, der ihm mit Geschichten und einer Fahrt auf dem Meer gegen seinen Kummer hilft.

Von Regina Riepe

Endlich einmal das Meer sehen! Zu seinem zehnten Geburtstag erfüllt sich Pedros großer Traum. Seine Mutter fliegt mit ihm auf eine Insel in der Karibik, bestimmt gibt es dort Piraten und das Meer schimmert in sieben Farben! Vor lauter Freude wächst der Junge gleich um zwei Zentimeter und braucht vor der Reise neue Sachen, weil ihm nichts mehr passt. Dazu muss man wissen, dass er aber schrumpft, wenn er traurig ist. Nun, sehr glücklich scheinen die letzten Jahre nicht gewesen zu sein, denn er ist der Kleinste in seiner Klasse. "Komm her, du Zwerg, du Feigling", ärgern ihn die anderen und streicheln über seinen Kopf, als ob er ein Schoßhündchen wäre.

Doch die Freude über das Meer und die bunten Häuser am Strand der kleinen Insel währt nur einen kurzen Moment. Plötzlich wird Pedro klar, dass sein Vater nicht nachkommen wird, ja dass er überhaupt nicht mehr kommt. Von wegen "Dienstreise", seine Eltern haben ihm nicht die Wahrheit gesagt. Sie haben sich getrennt, die Reise ans Meer soll ein Trostpflaster sein. Unsagbar wütend rennt Pedro los, einfach am Strand entlang, bis es Nacht wird.

Und nun beginnt sein großes Abenteuer, die Begegnung mit einem griesgrämigen alten Mann, der ihn aufliest und in seine Hütte mitnimmt. "Manchmal muss man erst verloren gehen, um sich selbst zu finden", lautet eine der Lebensweisheiten des alten Abenteurers, der den gleichen Namen trägt wie der berühmte Pirat Jonny Tay. Als Pedro nach einem köstlichen Abendessen einschlafen will, erzählt ihm die kahlköpfige Papageiendame Victoria schaurige Geschichten von Piraten, Schatzkarten und wilden Kämpfen. Sie muss es ja wissen, schließlich ist sie über 300 Jahre alt. Am nächsten Morgen nimmt ihn der alte Mann mit zum Schwimmen und Tauchen, Pedro fängt mit der Harpune seinen ersten Fisch und ist rundherum glücklich. Als er dann seine Mutter wiederfindet, haben sich beide verändert. Sie nimmt sich nach der verzweifelten Suche vor, ihm mehr Freiheit zu lassen. Und Pedro hat seine Stärken kennengelernt und weiß jetzt, dass es nicht schlimm ist, klein zu sein. Schließlich war einer der berühmtesten Piraten nur 130 cm groß und trotzdem ein gefürchteter Kapitän.

Mit poetischen Zeichnungen illustriert Elisabeth Builes die Erzählung von Pedro, der sich in dieser Woche am Meer selbst findet, und den Schwierigkeiten des Alltags anders begegnen wird. Es ist eine magisch-realistische Geschichte voller Piratenträume, großer Ängste und bestandener Abenteuer. Ein Buch aus Kolumbien, in dem sich Wirklichkeit, Fantasie und Traum über das Erwachsenwerden mit der Faszination des Meeres verbinden.

Es ist ein großes Verdienst der Schweizer Baobab Books, Kinderbücher aus allen Teilen der Welt für unsere jungen Leser herauszugeben. Schließlich sind die Träume von Kindern in Bogotá oft gar nicht so anders als in Düsseldorf. (ab 9 Jahre)

Melba Escobar de Nogales: Das Glück ist ein Fisch. Mit Illustrationen von Elizabeth Builes. Aus dem Spanischen von Jochen Weber. Baobab Books, Basel 2018. 112 Seiten, 15,60 Euro.

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Quelle:
SZ vom 03.08.2018
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