Kinder- und Jugendtheater:Toll, okay und mau

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Andrea Gronemeyers erste Spielzeit an der Schauburg

Von Sabine Leucht, München

"Burg", das klingt nach "Schotten dicht" und "Feuerwaffen in die Schießscharten". Deshalb ist es irreführend, dass die beiden Spielstätten des Münchner Theaters der Jugend jetzt so heißen: "Große Burg" die vormalige große Bühne, "Kleine Burg" das neue Theaterchen im Souterrain.

Wo vor Beginn der Intendanz Andrea Gronemeyers eine Kneipe war, kommen heute Kleinkinder und Omas barrierefrei mit dem Besten in Berührung, was die neue Schauburg zu bieten hat. Zum Beispiel mit dem Pinguin in "Schreimutter", der in den Händen der bezaubernden Puppenspielerin Helene Schmitt alle Gliedmaßen verliert und dafür die Welt kennenlernt, wobei Schmitt den Schrecken des Verlustes auch für Vierjährige nie herunterspielt und auf engem Raum die Vielfalt der Theatermittel auffächert. Oder mit den Freunden A und O, die so gegensätzlich und füreinander alles sind in "Himmel und Hände", worin Carsten Brandau mit einer komplexen Kunstsprache Vorschulkinderseelen seziert und fängt, wobei Regisseurin Jule Kracht und die Schauspieler Janosch Fries und Klaus Steinbacher vorbehaltlos mitmachen.

Gerade mit den Inszenierungen für die Kleinen kam die neue Schauburg auf Anhieb in München an. Und mit ihrer Offenheit. Die nun gar nicht mehr so "Neue", die 15 Jahre lang das Junge Nationaltheater Mannheim geleitet hat, hat sich schnell vernetzt in dieser Stadt und mit ihrem Steckenpferd Musiktheater an erfolgreiche Festivals wie das Figurentheaterfestival "Anfänge(r)" (jetzt "Kuckuck") und das Tanz- und Performancefestival "Think Big!" angedockt. Ebenso schnell wurde Gronemeyers Schauburg von jenen angenommen, für die ihr Vorgänger George Podt nichts war, dessen literarisches Erzähltheater über die großen und letzten Dinge ungerührt mit den Lücken kalkulierte, die diese Setzung in der Angebotsstruktur hinterließ. Kinder im Vor-Erzählalter interessierten ihn nicht. Kunst schon. Die war manchmal spartanisch, oft bildmächtig und hochmusikalisch. Schließlich hatte man mit Regisseuren wie Gil Mehmert, Peer Boysen und den Geräuschemachern Taison Heiß und Greulix Schrank diesbezüglich einige Juwelen an der Hand.

Fair vergleichen kann man die Ära Podt und die erst ein Jahr junge Ära Gronemeyer nicht. Nur eines ist schon jetzt klar: Die alte Schauburg machte Kunst, Kunst und nochmals Kunst und sah erst dann die Kinder, denen sie viel zutraute, selten zu viel. Die neue Schauburg macht auch Kunst, nimmt aber zuvor schon diejenigen ins Visier, für die sie sein soll. Das sieht nach einem guten Weg aus, wenn sie produktive Zumutungen wie etwa zeitgenössische E-Musik für Grundschulkinder lanciert und sich auf die Spielarten der Liebe derart begeistert einlässt, dass sie sich fast in ihnen verläuft. Das sieht nach einem ausbaufähigen Weg aus, wenn gestandene Jugendtheater-Regisseure wie Rüdiger Pape ("Besuch aus Tralien") oder Regie-Youngster wie Jan Friedrich ("Frühlings Erwachen") auf betont poppig-puppige Ästhetiken setzen. Doch manchmal meinte man im vergangenen Jahr auch nachträglich vorgeführt zu bekommen, weshalb die alten Schauburgler sich quer zum Gros der Szene stellten: Gerade im Jugendtheaterbereich hätte es gerne weniger lebensweltlich-pubertätsnotpeinlich zugehen können. Öfter ohne Moral von der Geschicht'. Und auch das Voll-Karacho-Spiel einiger weniger Jugendlichkeits-Simulanten im Ensemble wird wohl noch länger gewöhnungsbedürftig bleiben.

Im Schnitt gab es in der ersten, von Mannheimer Wiederaufnahmen naturgemäß vollen Spielzeit tolle, okaye und eher maue Produktionen. Viel Tolles für die Kleinsten, wo derzeit das größte ästhetische Entwicklungspotenzial steckt. Das Theaterereignis aber, in das man voller Überzeugung befreundete Familien gemeinsam mit ihren Teenagern schicken kann, steht noch aus. Komplexe, runde Gesamtkunstwerke wie etwa Peer Boysens "Prinz Eisenherz"-Trilogie, Beat Fähs Bühnenabschied mit "La Strada" oder das Regiedebüt des fabelhaften Schauspielers Thorsten Krohn mit "20 000 Meilen unter den Meeren" fehlen. Andere, sich anders anfühlende Abende werden in den nächsten Jahren kommen und andere Menschen prägen. Im Kinder- und Jugendtheater ist wenig Platz für Nostalgie.

© SZ vom 11.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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