Doku "Kinder der Hoffnung" im Kino:Der Mensch formt die Heimat

Kinder der Hoffnung

Die Regisseurin Yael Reuveny in "Kinder der Hoffnung".

(Foto: Film Kino Text)

Yael Reuveny zeigt in ihrer Doku "Kinder der Hoffnung", wie junge Israelis ihr persönliches Glück den Interessen des Landes unterordnen.

Von Philipp Stadelmaier

"Der Mensch ist nichts als die Form der Landschaft seiner Heimat." So stand es einst vor der Schule in Petach Tikwa, einer der ältesten jüdischen Siedlungen in Palästina, heute eine der größten Städte Israels. Die Eltern der Schüler von damals, geboren in den Vierziger- und Fünfzigerjahren, kamen als Kinder in den frisch gegründeten Staat, aus dem Mittleren Osten und aus Europa als Überlebende der Shoah, so sie nicht schon hier geboren wurden - Kinder einer neuen Heimat, die sie mit aufbauten. Erst der Mensch formt die Heimat. Und wie kann sie anders aufrechterhalten werden, als durch eine nächste Generation von formgebenden Geschöpfen?

In den Achtzigerjahren bekommt diese Generation Kinder, die auf Schulen wie jene in Petach Tikwa gehen und ihre Mission fortsetzen sollen: eine Mission der Hoffnung und des Friedens, des weiteren Aufbaus und der Verteidigung des Landes. Eine dieser Schülerinnen ist Yael Reuveny, aus der eine tolle Filmemacherin geworden ist. In ihrem Langfilmdebüt, "Schnee von Gestern" (2014), erzählte sie, ausgehend von der Urszene einer verpassten Begegnung, die Geschichte ihrer Familie nach der Shoah. In der Dokumentation "Kinder der Hoffnung" weitet sie den Rahmen weiter aus. Die Urszene ist diesmal ein altes Klassenfoto, das sie im Kreis ihrer Kameraden zeigt. Nach vielen Jahren trifft sie diese wieder und stellt sich mit ihnen die Frage, inwieweit die auf ihre Generation gerichteten Hoffnungen ihre Lebenswege geprägt haben. Lebenswege, die stets zurückführen zum Lebensweg der Heimat Israel, den sie formen. Oder, wer kann das schon sagen, vielleicht auch deformieren.

Die Regisseurin lebt seit langer Zeit in Berlin, der Blick von außen macht ihren Film noch interessanter

Reuveny ist weniger Dokumentarfilmerin als Film-Essayistin. Sie erzählt in der ersten Person (aus dem Off), stellt Fragen und beobachtet neugierig, wie die Antworten immer komplizierter werden. Die Stellung der Filmemacherin ist eine Sonderstellung: Anders als ihre alten Freunde lebt sie schon lange im "Exil" in Berlin und zeigt ihr dortiges Leben mit ihrer dortigen (deutschen) Familie. Außerdem hat sie keine eigenen Kinder, was sie in Verbindung mit ihrer Wahlheimat, aus der ihre Großeltern einst flohen, als eine Art "Verrat" an Israel bezeichnet.

Genau dieser doppelte "Verrat" öffnet jedoch erst den Blick der außenstehenden Beobachterin und zeigt, was die Biografien der in Israel gebliebenen Freunde verbindet, es sind die Kinder, die sie fast alle gezeugt oder adoptiert haben, so sie nicht daran leiden, keine zu haben. Der Staat braucht neue Kinder, sonst kann er sich aufgeben: "2000 Jahre Diaspora verstrickten uns alle in ein Netz aus Erwartungen und Verpflichtungen." So deckt Reuveny durch ihren Film auf, wie das Persönliche und Politische, Familie und Staat untrennbar zusammenhängen. Nach der Ermordung Jitzchak Rabins 1995 rückt der erhoffte Frieden für diese Kinder der Hoffnung in unerreichbare Ferne, sind sie alle mehr denn je vorherbestimmt für ein Leben, in dem für Dinge, die sie für sich selbst wollten, wenig Platz ist.

Denn der Mensch ist nichts als die Form der Landschaft seiner Heimat. Es sei denn, der Mensch hat eine Kamera, mit der er den Widersprüchen zwischen Mensch und Heimat eine Form gibt.

Kinder der Hoffnung, D / I 2021. - Regie und Buch: Yael Reuveny. Film Kino Text, 84 Minuten. Kinostart: 4. November 2021.

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