Bilderbücher:"Kinder müssen auch mal irritiert werden"

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(Foto: Illustration Jessy Asmus)

Müssen rosafarbene Glitzerbücher raus aus Kinderzimmern? Wie prägend sind Bücher für Kinder? Und worauf sollten Eltern beim Vorlesen achten? Ein Bilderbuchforscher im Gespräch.

Interview von Sabrina Ebitsch

In den Bücherregalen unserer Kinder geht es oft sehr pink und blau zu - wie gleichberechtigt ist das, was wir Ihnen vorlesen? In einer Datenanalyse von mehr als 50 000 Kinderbüchern hat die SZ versucht, Antworten zu finden. Der Elementarpädagoge Lars Burghardt von der Uni Bamberg hat dazu auch in Kitas geforscht und weiß, wie rosafarbene Prinzessinnen auf Kinder wirken.

SZ: Herr Burghardt, müssen Eltern Bücher mit rosafarbenen Prinzessinnen und drachentötenden Prinzen aus den Kinderzimmern verbannen?

Burghardt: Niemand will in den Kinderzimmern nur noch politische korrekte Bücher auslegen. Kinder sollen selbst entscheiden dürfen - auch wenn das glitzernde, pinkfarbene Buch meinen hehren pädagogischen Zielen widerspricht. Aber die Vielfalt in Kinderbüchern ist wichtig, damit Mädchen merken, dass sie die brave Prinzessin und genauso die wilde Rabaukin sein dürfen. Und damit Jungs sehen, dass sie auch lange Haare haben und mal weinen dürfen.

Welche Bedeutung haben Kinderbücher für die Vorstellung von Geschlechterrollen?

In der frühen Kindheit im Alter von zwei, drei Jahren bilden sich Geschlechtsvorstellungen aus. Kinder fangen an zu begreifen, was ein Junge und ein Mädchen ist. Gleichzeitig sind in diesem Alter Bilderbücher omnipräsent und die Figuren darin haben Vorbildcharakter: Wenn immer süße Prinzessinnen oder tollkühne Helden abgebildet sind, hat das einen subjektivierenden Effekt. Das ist in Ordnung, solange sich die Kinder damit identifizieren - aber wenn ein Mädchen nicht die süße Prinzessin sein will, wirkt das einschränkend. Und wenn umgekehrt Jungs mal als verletzlich dargestellt werden, kann das auch ermöglichend wirken.

Sie haben 6000 Figuren aus Bilderbüchern untersucht, die derzeit in Kitas verwendet werden. Ermöglichen die Geschichten das denn?

Das Geschlechterverhältnis bei den Protagonisten gleicht sich allmählich an. Es gibt mehr und auch aktivere weibliche Figuren und insgesamt auf dem Markt eine Tendenz zu Starke-Mädchen-Büchern. Aber das sind eher Ausnahmen und es gibt nicht das Äquivalent der Schwache-Jungs-Bücher. Der Großteil des Bilderbuchmarkts ist immer noch von Stereotypen durchzogen.

lars burghardt

Lars Burghardt forscht am Lehrstuhl für Elementar- und Familienpädagogik der Uni Bamberg.

(Foto: oh)

Wie genau transportieren Kinderbücher denn Stereotype?

Das fängt bei der Optik an: Die klassischen Farben für Jungs sind noch immer blau, grau und grün, für Mädchen rosa und rot. Und nicht nur unsere, auch andere Studien zeigen, dass Jungs in der Regel mutig und stark und nur selten verletzlich dargestellt werden. Bei Eltern herrscht immer noch die klassische Rollenverteilung: Frauen kümmern sich um den Haushalt, Männer werden im Haus oft gar nicht dargestellt - und dann sitzt der Papa ganz traditionell mit der Zeitung am Tisch. Umgekehrt sieht man Männer oft im Beruf und Frauen kaum.

In vielen Familien ist das Alltag - sollten Bücher den nicht auch spiegeln?

Bücher zeigen natürlich oft Situationen aus der kindlichen Lebenswelt, das ist auch wichtig. Aber es sollte auch andere Darstellungen geben, damit die Kinder sehen: Ah, das ist anders als bei uns zu Hause, aber auch das funktioniert: Doppelverdienerpaare und Alleinerziehende, Regenbogen- und Patchworkfamilien, Prinzessinnen und Rabaukinnen. Kinder sollten auch mal irritiert werden und ihren Blick weiten können. Aber vorrangig wird eine vermeintlich heile Welt aus Vater, Mutter, Kind gezeigt. Wir haben bei 6000 Figuren zum Beispiel keine Alleinerziehenden oder Menschen mit Behinderung gefunden.

Wir haben Vätermonate, immer mehr Frauen in Führungspositionen und eine Kanzlerin. Halten Kinderbücher mit der gesellschaftlichen Entwicklung nicht Schritt?

Wenn man in Bilderbücher schaut, geht es oft nicht so gleichberechtigt zu, wie wir es gerne hätten. Mit der Emanzipationsbewegung in den 70ern haben sich auch die Bücher angepasst, aber das hat sich nicht in dem Maße fortgesetzt. Die Verlage profitieren natürlich auch davon, weil rosa Glitzer bei vielen Mädchen funktioniert. Und wenn Erwachsene nach einem Buch für ihr Patenkind fragen, ist die erste Frage nicht, was das Kind interessiert, sondern ob es für einen Jungen oder ein Mädchen ist. Aber immerhin: Auch ein stereotypes Buch kann ein wunderbarer Anlass sein, auf kindgerechter Ebene diese Darstellungen zu hinterfragen.

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