"Killing Them Softly" im Kino:Amerika ist kein Land

Kinostarts - Killing Them Softly

Der Tod scheint vor allem deshalb ein Problem zu sein, weil man danach für immer den Mund halten muss: Brad Pitt als Auftragskiller Jackie Cogan in "Killing Them Softly".

(Foto: dpa)

Obama, Bush und lauter Kriminelle, die lieber reden als zur Waffe zu greifen: Im Film "Killing Them Softly" spiegeln sich die Spieler im Hinterzimmer und die Finanzhasardeure im Weltmaßstab, denen ihr Spiel entgleitet. Und Brad Pitt wird zum Auftragskiller.

Von Tobias Kniebe

Barack Obama in voller Fahrt, die Stimme vibriert zwischen Hope & Change, gerade kommt er zur Frage aller Fragen: "Was ist Amerikas Versprechen?" Dann bricht der Ton weg, nur Knarzen und Rauschen, im Wasteland von New Orleans funktioniert die Verbindung nicht, bleierner Himmel, gelbliche Ödnis, Müll. Hier, am Ende der zivilisierten Welt, kommen nur noch Fetzen an: irgendwas mit Freiheit eben, Gemeinsamkeit, Würde, Respekt.

Schon lang ist kein Gangsterstück mehr so klar in der Zeit verortet gewesen wie dieses hier. Die erste Einstellung von "Killing Them Softly" spielt am 28. August 2008: Obama akzeptiert da gerade die Präsidentschafts-Nominierung der Demokraten. Später hört man, von fern, immer wieder Wahlkampfgetöse. Die Wall Street bricht zusammen. George W. Bush bittet um 700 Milliarden Dollar. Irgendwann ist Wahltag, und am Ende schaut die ganze Welt auf den Grant Park in Chicago, Obama redet wieder, jetzt als frisch gebackener Sieger, Tränen fließen - und Schluss.

Was in diesem Film aber sonst noch passiert, hat mit diesen Ereignissen dann gar nichts zu tun. Oder doch?

Zwei träge Kleingangster (Scoot McNairy und Ben Mendelsohn), Drogen und Alkoholreste dünsten aus den teigigen Poren, überfallen eine Pokerrunde und machen sich mit dem Geld davon. Das darf nicht sein, nicht einmal im Niemandsland New Orleans, das sich vom Hurrikan Katrina noch lange nicht erholt hat. Also engagiert die Mafia einen Auftragskiller namens Jackie Cogan (Brad Pitt).

Cogan ist ein Lederjacken-Styler und samtweicher Operator von höchster Professionalität, zumindest sieht er sich selbst gern so. Dennoch braucht er Hilfe und fordert diese auch an - aber die Verstärkung (James Gandolfini) erweist sich als nutzloser, sexbesessener Alkoholiker. Schließlich, nach langem Hin und Her, wird ein Schuldiger zur Strecke gebracht, um den es schade ist, und darüberhinaus ein Unschuldiger, der sein Schicksal ansonsten verdient hat. Ein weiterer Gangster entkommt dem Tod, weil er rechtzeitig in eine Falle der Polizei tappt. Und die Pokerrunden der Welt werden sich weiterdrehen, als ob nichts passiert wäre.

Reden ist die eigentliche Passion

Dazwischen aber, und das ist hier das Entscheidende, wird sehr viel geredet - und nicht nur von Barack Obama oder George W. Bush. Auch die Gangster reden allesamt mehr, als dass sie handeln. Sie erklären ellenlang, warum sie jemandem trauen oder nicht trauen, warum dieses Ding eine todsichere Sache ist, jenes aber nicht, warum man den Job so oder so erledigen könnte, aber auf keinen Fall auf die Art, wie die idiotischen Auftraggeber sich das vorgestellt haben.

Wenn das geklärt ist, reden sie immer noch: über Sex und Eifersucht und über Frauen, die sich umbringen wollen, über verflossene Liebschaften und darüber, dass junge jüdische Mädchen schlicht und einfach die besten Nutten abgeben, Punkt. Reden ist ihre eigentliche Passion - und der Tod scheint vor allem deshalb ein Problem zu sein, weil man danach für immer den Mund halten muss.

Gangsterdialoge aus der Tarantino-Schule

Schauspieler wie James "Soprano" Gandolfini, inzwischen körperlich ganz aus den Fugen gegangen, oder der aufstrebende Australier Ben Mendelsohn lassen sich das natürlich nicht zweimal sagen - ihre Dialoge, die zum Monolog tendieren, sind Kabinettstückchen wunderbarer Schmierigkeit. Vor allem aber wirken sie, nach Jahrzehnten ritueller Gangsterdialoge aus der Tarantino-Schule, erstaunlich frisch - und das hat einen besonderen Grund.

Kinostarts - Killing Them Softly

Dialoge als Kabinettstückchen wunderbarer Schmierigkeit: Auftragskiller Jackie Cogan (Brad Pitt) und Kleingangster Frankie (Scott McNairy).

(Foto: dpa)

Denn was hier gesprochen wird, stammt aus dem Roman "Cogan's Trade" - und damit direkt aus dem Jahr 1974. Keine dieser leeren alten Buchhüllen, aus denen Hollywood vielleicht noch mal drei Ideen entnimmt - das Nachlesen enthüllt, dass hier ganze Dialogpassagen wörtlich übernommen sind, ohne dass sie im Geringsten modernisiert werden mussten. So holen Brad Pitt, als Produzent und Hauptdarsteller, und der Regisseur Andrew Dominik - sein enger Verbündeter schon seit "The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford" - einen vergessenen Autor wieder zurück ins Rampenlicht.

George V. Higgins heißt der Mann, geboren 1939, gestorben 1999 - ein Hardboiled Writer in großer amerikanischer Tradition, aber mit einer besonderen Begabung: Dialoge. Gangster, die lieber reden als zur Waffe greifen, sind seine Obsession - keiner hat so besessen dem Slang der Straße und der Spelunken gelauscht, keiner hat so konsequent darauf verzichtet, Aktionen zu beschreiben. Was tatsächlich in diesen Geschichten passiert, muss man sich oft wie nebenbei aus den endlosen Gesprächen zusammenreimen, deren Zeuge man wird. So kann man Higgins mit Recht als Godfather der Gangster-Dialoge beschreiben - als einen Pionier, dem auch die großen Redenschreiber des Kinos viel verdanken, allen voran natürlich Tarantino. "Killing Them Softly" ist also der noble Versuch, diesem Mann endlich einmal Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

"Dies ist unser Moment"

Der Australier Andrew Dominik, der schon in seinem Erstling "Chopper" fasziniert einem kriminellen Großmaul lauschte und damit gleich zum Geheimtipp avancierte, erweist sich hier als treuer Literaturverfilmer - tut aber dann doch einiges, um auf die eigenen Fähigkeiten aufmerksam zu machen. Einmal nimmt er etwa die umnebelte Perspektive eines Heroinsüchtigen ein, ein andermal inszeniert er eine Exekution im Auto in solch hyperrealer Superzeitlupe, dass Kugeln and Glassplitter nur so umherschwirren.

Sein bester Schachzug aber sind dann doch die Zeitgeschichts-Schnipsel von Bush, Obama und Co., die er immer wieder dazwischenplärren lässt. Die Spieler im Hinterzimmer und die Finanzhasardeure im Weltmaßstab, denen ihr Spiel entgleitet - sie spiegeln sich ineinander. Nur mit schäbigen "Rezessionspreisen" sollte man einem Killer wie Jackie Cogan am Ende dann doch lieber nicht kommen.

Während nämlich Obama im Hintergrund aus dem Bar-Fernseher "Dies ist unser Moment" dröhnt, läuft Jackie erst zu ganz großer Form auf: "Dieser Kerl will mir weismachen, dass wir in einer Gemeinschaft leben? Dass ich nicht lache! Ich lebe in Amerika, und in Amerika bist du allein. Amerika ist kein Land, Amerika ist nur ein Business. Und jetzt, verdammt noch mal, bezahlst du mich!"

Killing Them Softly, USA 2012 - Regie und Buch: Andrew Dominik, nach dem Roman "Cogan's Trade" von George V. Higgins. Kamera: Greig Fraser. Schnitt: Brian A. Kates. Mit Brad Pitt, Scoot McNairy, Ben Mendelsohn, James Gandolfini, Richard Jenkins, Ray Liotta, Vincent Curatola. Verleih: Wild Bunch, 97 Minuten.

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