"Kill Your Darlings" im Kino:Wilde Kerle

Kinsotarts - 'Kill Your Darlings - Junge Wilde'

Ben Foster (William Burroughs, l-r), Allen Ginsberg (Daniel Radcliffe), Lucien Carr (Dane DeHaan) und Jack Kerouac (Jack Huston) genießen das Studenten-Leben in einer Szene des Kinofilms "Kill Your Darlings - Junge Wilde".

(Foto: dpa)

Daniel Radcliffe spielt Allen Ginsberg in "Kill Your Darlings". Ein Krimi über den Gründungsmythos der Beat-Generation, der auch zeigt, warum Jungsein früher bessere Bilder geliefert hat.

Von David Steinitz

New York, 1944: Im Underground von Greenwich Village mit seinen wilden Kneipen und Jazzclubs, und in den engen Wohnheimen der Colleges, wo neben vollen Aschenbechern die Schreibmaschinen knattern, knistert es vor Aufbruchstimmung. Und auf dem staubigen Dachboden der Columbia University baumeln zwei junge Literaturstudenten am selbst gebastelten Galgen.

Der Tod, zunächst noch als gespieltes Ritual, steht am Anfang von John Krokidas Kino-Debüt "Kill Your Darlings", der vom blutigen Gründungsmythos der Beat-Generation erzählt.

Das neue Zeitalter kann beginnen

Der junge Allen Ginsberg (Daniel Radcliffe), hier noch kein heiß begehrter Pop-Schreiber, sondern ein verschlossener Erstsemester-Student, und sein Kommilitone Lucien Carr (Dane DeHaan) bereiten sich mit einem theatralischen Selbstmord auf ihre literarische Revolution vor. Der Galgen ist manipuliert, nach ein paar langen Sekunden, in denen die Jungs japsend in der Luft baumeln, liegen sie zufrieden und vermeintlich von ihrem alten Ich befreit auf dem Boden - das neue Zeitalter kann beginnen.

Krokidas erzählt seine Geschichte zunächst als entspannte Studentenparty. Der große Krieg im fernen Europa ist mehr ein Soundtrack als eine Bedrohung, in den Radionachrichten rücken die GIs wie Spielfiguren vor und zurück. Aber wen interessiert das, wenn in den Bars und den Seminaren vor Ort die irrsten Typen unterwegs sind? Der verschüchterte Ginsberg - noch weit von seinem "Howl"-Gezeter entfernt - taut unter Anleitung des überdrehten und verführerischen Lucien immer mehr auf.

Ein infernalisches Quartett

Bald kommen neue Saufkumpane hinzu: Gemeinsam mit zwei wilden Kerlen namens Jack Kerouac (Jack Huston) und William S. Burroughs (Ben Foster), die zu diesem Zeitpunkt ebenfalls noch keine nennenswerte Zeile publiziert haben, bilden sie bald ein ziemlich infernalisches Quartett, das mehr Anarchie in die streng reglementierte amerikanische Literatur der Vierzigerjahre bringen will.

Daniel Radcliffe, der sich hier zum ersten Mal seit seiner Harry-Potter-Phase wieder eine Brille auf die Nase gesetzt hat, spielt diese Verwandlung vom Vorstadt-Kid zum Provokateur ganz zauberhaft. Es ist schon erstaunlich anzusehen, wie sich hier ein junger Mann aus dem schicken Westlondon, der als Kinderstar vor der Kamera aufgewachsen ist, ohne Brüche in einen introvertierten Teenager aus Paterson, New Jersey, verwandelt.

Von wilden Pubertätswehen und Initialisierungsriten

Weil aber die Karrieren der Beats nicht nur mit drogenvernebelten Partys beginnen, sondern mit einem ganz realen Mord, inszeniert Krokidas "Kill Your Darlings" vor allem als Krimi mit zahlreichen Anspielungen auf den Film Noir - also jenem Genre, das zur Zeit der Filmhandlung die glitzernden Kino-Paläste am Broadway füllte.

Kumpel Lucien, in den sich Allen bald ziemlich heftig verknallt, hat seit Jahren einen sehr eifersüchtigen älteren Verehrer, den Uni-Dozenten David Kammerer, der hier von "Dexter"-Darsteller Michael C. Hall gespielt wird. Kammerer fühlt sich durch den Platz, den Allen in Luciens Leben einnimmt, gehörig provoziert. Es entsteht eine verquere Dreiecksgeschichte voller verletzter Gefühle, die schließlich in einem Blutbad enden wird.

Mehr Legende denn Literaturgeschichte

Das alles hat so tatsächlich stattgefunden und war auch der finale Auslöser für den ohnehin schon obsessiven Schreibdrang von Ginsberg, Kerouac und Burroughs, die von dem Mord im Freundeskreis gleichermaßen schockiert, desillusioniert und inspiriert wurden. Dass dieser Fall trotz der prominenten Beteiligten relativ unbekannt geblieben ist, obwohl er mehrfach literarisch verarbeitet wurde - auch von Kerouac und Burroughs selbst, in ihrem Gemeinschafts-Roman "Und die Nilpfderde kochten in ihren Becken" - ein für die idealistischen Beats erstaunlich zynisches Buch - , hat damit zu tun, dass der reale Lucien Carr, der 2005 als letzter der Vier verstarb, zu Lebzeiten gegen jede Auswertung der Geschichte gerichtlich vorging. Auch die "Nilpferde", obwohl bereits in den Sechzigern geschrieben, erschienen deshalb erst 2008. So wurde der Fall bislang mehr zu einer Legende als zu einem kanonisierten Teil der Literaturgeschichte.

Dass Drehbuchautor Austin Bunn, der den Stoff zunächst als Theaterstück plante, und Regisseur Krokidas - beide ebenfalls Gewächse des New Yorker Intellektuellenmilieus - diese Story nun so lustvoll und trotz kleinem Budget wunderbar ausstaffiert umsetzen, hat aber nicht nur damit zu tun, dass sie bislang so selten erzählt wurde. Vielmehr demonstriert "Kill Your Darlings", der nur der neueste einer ganzen Reihe von neueren Filmen über die Beat-Autoren ist, ein sehr aktuelles Phänomen der Ratlosigkeit unter Filmemachern, wenn es um die Darstellung von Adoleszenz im Kino geht.

Nostalgische Sehnsucht?

Dass viele Filmemacher am liebsten in die nahe Vergangenheit fliehen, wenn sie von wilden Pubertätswehen und Initialisierungsriten erzählen wollen, kann nicht nur mit einer nostalgischen Sehnsucht nach einer Zeit voller Zigarettenrauch und unfrisierter Lebensläufe zu tun haben, sondern hängt schlicht auch mit der Tatsache zusammen, dass die jugendlichen Kommunikationswege und -regeln von heute viel schwerer zu bebildern sind.

Wie zeigt man zum Beispiel, dass digitale Zumutungen wie die "zuletzt online"-Funktion von WhatsApp oder das kleine Facebook-Häkchen, das markiert, dass eine Nachricht bereits gelesen wurde, heute für heftige Lebens- und Liebeskrisen verantwortlich sein können, ohne dem Zuschauer nur Chatprotokolle vorzusetzen?

Dann, denken sich viele Regisseure wohl, doch lieber gleich in eine Zeit springen, in der das Modell Teenager bereits etabliert, aber noch mehr physisch als digital anwesend war. Das ist nicht einmal kulturpessimistisch gedacht, sondern ganz praktisch im Sinn der Dramaturgie.

"Another lover hits the universe"

Die extrovertierteren Ausdrucksformen machen die Beat-Filme - von "Howl" über "On the Road", "Big Sur" oder jetzt "Kill Your Darlings" - auch für junge Schauspieler so interessant, weil kaum jemand ihnen moderne Teen-Rollen schreibt, in denen sie sich auf dem gleichen Level austoben könnten. Deshalb gehört es unter den Jungstars mittlerweile zum guten Ton, einmal Ginsberg & Co. verkörpert zu haben. James Franco, Sam Riley, Garrett Hedlund und jetzt die "Darlings"-Crew könnten jederzeit besser bezahlte Rollen in Blockbustern annehmen - und haben doch gerade für diese Filme oft ohne zu Zögern andere Projekte abgesagt oder aufgeschoben.

Was "Kill Your Darlings" aber letztlich von anderen Beat-Filmen abhebt, ist die komplett universelle Geschichte, die hier verhandelt wird, die auch ohne ihre prominenten Protagonisten und in anderen Zeitzusammenhängen funktionieren würde. Ginsberg resümiert das im Film so: "Another lover hits the universe."

Kill Your Darlings, USA 2013 - Regie: John Krokidas. Buch: Austin Bunn, Krokidas. Kamera: Reed Morano. Mit: Daniel Radcliffe, Dane DeHaan, Ben Foster, Jack Huston. Koch Media, 104 Minuten. In deutschen Kinos ab dem 30. Januar 2014.

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