Süddeutsche Zeitung

KI und Kunst:Schöpferische Rechner

In den letzten Jahren haben Computer die wirklich letzten Domänen der Menschen erobert: die Kreativität und das Irrationale. Die Welt steht am Anfang einer Ära von Maschinen, die entscheiden, was gut und schön, relevant und angemessen ist.

Von Michael Moorstedt

Betritt man sein Atelier, ist der Künstler bereits schwer am Schaffen. Gerade bearbeitet er das Video eines Silvesterfeuerwerks. Rote Explosionen sind auf dem Bildschirm zu sehen, Funkenregen und Sternenschauer. Es ist eine seltsam hypnotisierende Endlosschleife, die sich doch niemals wiederholt. Der Künstler, das ist in dem Fall eine Computersoftware und Mario Klingemann ihr Programmierer.

Der Münchner ist Teil einer schnell wachsenden Gruppe von Künstlern, die ihre Werke mithilfe künstlicher Intelligenz schaffen, und er selbst ist einer der renommiertesten. Seine Werke wurden bereits im New Yorker Museum of Modern Art, dem Metropolitan Museum und im Pariser Centre Pompidou gezeigt. Es gibt viele Begriffe für Klingemanns Art von Kunst: A I Assisted Art, Computational Creativity oder Generative Art. Sie alle meinen dasselbe, Kunst aus dem Computer, durch den Computer.

Seit seiner Erfindung gilt der Computer als ein Agent der Rationalisierung. Er ist ein Werkzeug, das es ermöglicht, Rechenoperationen durchzuführen, die dem Menschen unmöglich sind. Er steht für Logik und Effizienz - landläufig also für das Gegenteil von Kreativität. Durch die KI-Kunst hat sich diese Grundannahme in den letzten Jahren geändert.

Das löst beim Menschen einen gewissen Minderwertigkeitskomplex aus. Kreativität war seit jeher unser evolutionäres Alleinstellungsmerkmal. Computer können schon lange schneller rechnen und besser kombinieren. Gibt man ihnen einen Körper in Form von Roboterbeinen oder hydraulischen Armen, können sie auch schneller laufen und schwerer heben. Wird jetzt auch noch das letzte menschliche Residuum erobert: das Irrationale?

Klingemanns Werkraum im Münchner Westen ist eine Art digital-analoge Wunderkammer. Weiße Programmzeilen rattern stumm über schwarze Bildschirme. Gegenüber steht eine Sammlung alter Videospielkonsolen neben alten Flipperautomaten herum, da sind obskure Actionfiguren, ein halbes Dutzend beinahe schon antiker Super-8-Kameras und Taschenrechner. Es ist ein angemessener Gegensatz zu den neuronalen Netzwerken, die in Klingemanns PCs ihre Arbeit verrichten.

Die Werke von Deep Dream zeigen, was nur der Computer sehen kann

Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt ist das Konzept von dem im Sommer 2015 von Google veröffentlichten Programm Deep Dream. Wird ein normales Foto durch dessen algorithmische Filter gejagt, entstehen aus menschlichen Gesichtern auf einmal Hundevisagen, Hunderte Augäpfel glotzen aus einer Wiese heraus, und neonfarbene Strukturen ziehen sich wie Spinnennetze durch den blauen Himmel. So wirkt ein friedliches Landschaftsbild auf einmal wie der Schnappschuss eines ziemlich üblen LSD-Trips. Die Entwickler nutzten dabei ein sogenanntes neuronales Netzwerk, das eigentlich zur automatisierten Bilderkennung dient.

Dabei wird einer Software so lange ein bestimmtes Motiv vorgelegt, bis sie dazu in der Lage ist, das abgebildete Objekt selbständig zu erkennen. Nur haben die Google-Forscher den Prozess sozusagen umgedreht: Erkannte Muster werden so lange verstärkt, bis sich aus den einzelnen Bildpunkten eine Struktur formt, je nach Einstellungen ist das dann ein Hund oder ein Auge. Wenn man so will, hat Google damit eine Art Computerexpressionismus erschaffen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wollten Maler wie Marc, Macke oder Kirchner dem Betrachter schließlich ihr ganz persönliches Erleben darstellen. Ähnlich ist es auch bei Deep Dream - es zeigt, was nur die Maschine sehen kann.

Nicht nur Malerei wird mittlerweile von KI-Software geschaffen, sondern auch Literatur oder Musik. Es gibt von Computern generierten Death Metal, Jazz und Klavier-Fugen, Science-Fiction-Kurzgeschichten und Gedichte. Befindet sich das Kunstwerk heutzutage im Zeitalter seiner algorithmischen Reproduzierbarkeit? Und überhaupt: Wer ist auf dem Feld der Computerkreativität eigentlich der Urheber? Der menschliche Programmierer oder doch die Software?

"Ich sehe mich selbst eher als Musiker, der Instrumente, auf denen er spielt, auch selbst baut", sagt Mario Klingemann. Für seine Arbeit verwendet er oft sogenannte Generative Adversarial Networks, zwei miteinander konkurrierende neuronale Netzwerke, eines von ihnen erschafft die Bilder, das andere bewertet sie. Durch das Zusammenspiel werden die Ergebnisse immer präziser. Heraus kommen Werke, die mal figürlich und mal gänzlich abstrakt sind, mal erinnern sie an H. R. Giger und dann wieder an konstruktivistische Collagen.

Die Generative Art ist schon längst nicht mehr nur Spielball der Kunst-Avantgarde, auch Unternehmen wie Google, IBM oder Sony lassen ihre Systeme kreativ tätig werden, sie schreiben Songs oder erfinden wie im Fall des Supercomputers Watson neue Kochrezepte. Für die IT-Konzerne ist das freilich nicht nur reiner Selbstzweck. Durch die Kreativität der Maschinen ließen sich auch neue Modetrends entwerfen, es ließen sich medizinische Diagnosen beschleunigen oder strategische Geschäftsentscheidungen auf eine zugleich analytisch wie auch andersdenkende Art und Weise treffen.

So steht die Welt am Anfang einer Ära von Maschinen, die nicht nur berechnen, wie sie am schnellsten eine Datenbank sortieren oder eine mathematische Gleichung lösen können, sondern auch entscheiden, was gut und schön, relevant und angemessen ist.

In Amsterdam hat eine Software einen neuen Rembrandt gemalt

In einem Versuch wollten Forscher des Dartmouth College in New Hampshire herausfinden, wie überzeugend maschinell erstellte Kunst schon heute sein kann. Dafür variierten sie einen Turing-Test, mit dem eigentlich die Glaubwürdigkeit von künstlicher Intelligenz gemessen werden soll. Die Regeln waren ähnlich: In einem Blindtest sollten menschliche Juroren bestimmen, welches Kunstwerk von ihren Artgenossen stammt - und welches von einem Computer. Hoffnungsvolle Programmierer ließen ihre künstlichen Künstler Musik komponieren, Gedichte und Kurzgeschichten schreiben. Doch das Ergebnis war ernüchternd. Sämtliche Verse wurden sofort als von Software erstellt identifiziert, im Kurzgeschichten-Genre sah es kaum besser aus. Nur bei der Musik konnten zwei Programme knapp die Hälfte der Juroren überzeugen. Trotz aller technischen Fortschritte steckt die Computerkunst freilich noch in ihren Anfängen. "Wir befinden uns erst auf der obersten Ebene", sagt Klingemann. "Es geht um den Stil und noch nicht um den Inhalt."

Im Kunstfälschen immerhin sind Computerprogramme schon ziemlich gut. Es gibt bereits Software, die den Strich alter Meister exakt kopieren kann. Auf Webseiten wie Deepart.io kann sich auch der Laie mittels einer simplen Technik namens Style Transfer die Charaktereigenschaften berühmter Gemälde auf eigene Bilder übertragen lassen. So sieht das Foto vom Nachmittagsspaziergang nach kurzer Zeit aus wie van Goghs "Sternennacht". Zuletzt fertigte ein Forscherteam von Microsoft sogar einen gänzlich neuen Rembrandt an. Dafür analysierte eine künstliche Intelligenz mehr als 300 Gemälde, die dem alten Meister zugeschrieben werden. Das Programm besah sich die üblichen Bärte, Hüte und Krägen, Komposition, Glanz, Licht und Schatten und produzierte daraufhin das Bild eines, nun ja, bärtigen Mannes mit Hut und Kragen, das zumindest für Laien ziemlich glaubwürdig ist.

Es sind Beispiele wie der Hybrid-Rembrandt, die bewirken, dass manche Kritiker der KI-Kunst gegenüber nicht unbedingt maximal aufgeschlossen sind. Was macht die Kunst aus der Konserve mit ihrem inhärenten Wert? Ihre Rezeption war immer auch eine Art von Tauschhandel - emotionales Investment des Publikums gegen einen Anteil persönlicher Erfahrung des Künstlers.

Gilt das jetzt noch? Wird ein Computer jemals einen neuen Picasso malen oder einen neuen Bowie-Song komponieren? Was würde Walter Benjamin, was Theodor W. Adorno sagen? Kann überhaupt etwas wirklich Neues entstehen, wenn die Programme von bereits Bestehendem ausgehen? Mario Klingemann findet das wenig bedenklich. "Auch Menschen tendieren ja dazu, immer wieder ins selbe Fahrwasser zu geraten. Sobald eine Sache Erfolg hat, wollen die Leute nichts mehr Neues sehen. Das kann dann an die Maschine ausgelagert werden." Vielleicht seien wir ja auch einfach zu bequem. "Wenn Maschinen erst mal in der Lage sind, interessantere Kunst zu schaffen als wir, müssen sich Menschen eben wieder mehr anstrengen."

Trost spendet vielleicht die Sichtweise des Kritikers Stuart Preston, der in den Sechzigerjahren eine der ersten Computer-Art-Ausstellungen besuchte hatte. Es werde eine Zeit kommen, in der die Rolle des Künstlers darin bestehe, ein gewünschtes Muster mathematisch zu formulieren. Er sei dann befreit von den Zwängen der Mechanik und des Materials, von Fragen nach Handwerk und Technik und könne sich gänzlich dem wirklich Wichtigen widmen: dem Erschaffen.

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Quelle:
SZ vom 19.01.2018
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