Für Nächte wie diese nimmt George in New York immer das Lexington Plaza, hier kriegt er kurzfristig immer ein Zimmer, und als er und die junge Frau das Zimmer betreten, um drei Uhr nachts, steht dort schon die kleine Reisetasche bereit, darin eine halbe Flasche Scotch, ein Morgenmantel, ein Paar Pantoffeln, eine ältere Nummer von Crimeways, drei Bände mit Erzählungen und Lyrik, Taschentücher, Pyjama, Aspirin.
Die Frau dieser Nacht ist Pauline, und es ist schon viel Alkohol geflossen. George ist verheiratet, eine Tochter, und er weiß, was für ein Risiko eine solche Nacht bedeutet, er kennt den Preis. "Mit einem Mal setzten sich allerlei Dinge in Bewegung und wirbelten an andere Orte, aber so, als seien sie dort schon immer gewesen."
"The Big Clock" von Kenneth Fearing erschien 1946, es war sein größter Erfolg als Autor, der Roman ist seit seinem Erscheinen präsent im angelsächsischen Raum, auf Deutsch ist er dieses Jahr erstmals erschienen. Den Film, den John Farrow 1948 drehte, gibt es auf DVD, mit Ray Milland und Charles Laughton, der deutsche Titel: "Spiel mit dem Tode". Ein radikales Krimikonstrukt, es vereint denjenigen, der seine Spuren verwischen muss, mit dem, der diese Spuren lesen muss, in einer Person.
George Stroud ist Chefredakteur von Crimeways, einer Zeitschrift im Imperium von Earl Janoth (und die Szenen in den Redaktionen haben heute, da haufenweise Zeitschriften eingestellt werden, melancholischen Schimmer). Als er im Frühling noch einmal mit Pauline loszieht, wird er selbst Opfer seines Metiers. Pauline ist die Geliebte seines Chefs Janoth, der erschlägt sie im Affekt, und es wird versucht, den Mordverdacht auf einen Unbekannten - nämlich George - zu lenken, der vor ihrem Haus gesehen - aber: nicht erkannt! - wurde. Und George soll die Jagd auf den Unbekannten dirigieren.
Ein absurder Albtraum, der atemraubend zwei amerikanische Genres mischt, den Noir und die sophisticated comedy. Die große Uhr, das gesellschaftliche Räderwerk, ist unerbittlich und blind. Ist George "moralisch eine Null", wie Julian Symons, der große Krimi-Theoretiker, vermerkt? George verkörpert genau die Stimmung des amerikanischen Mittelstands nach dem Weltkrieg, als die Dinge an andere Orte gewirbelt wurden, diese unerhörte Leichtfertigkeit, diesen tollkühnen Leichtsinn - was damit zusammenhängt, dass Kenneth Fearing - Martin Compart hat im Nachwort ein lebendiges Porträt von ihm gezeichnet - ein Lyriker und ein Linker war. "Die Maschine kann man nicht herausfordern" - eine Erkenntnis, die auch eine Herausforderung ist.