Kendrick Lamars neues Musikvideo:Sänfte für den Rapper

Das Video zu "Alright" von Kendrick Lamar stellt alles andere in den Schatten: Es ist ein kluger Kommentar zu den jüngsten Todesfällen durch Polizeigewalt in den USA.

Von Jan Kedves

Am 30. August werden in Los Angeles wieder die MTV Video Music Awards vergeben. Und wer dachte, der Musiksender sei längst abgemeldet, weil Musikvideos heute nur noch über Plattformen wie Youtube gestreamt werden, mag sich wundern, dass diese Veranstaltung noch immer enorme Bedeutung hat. Was unter anderem daran abzulesen ist, dass sie im Vorfeld schon Streit provoziert hat.

Die amerikanische Rapperin Nicki Minaj beschwerte sich unlängst über Twitter darüber, dass ihr "Anaconda"-Video nicht in der Kategorie "Video of the Year" nominiert sei, obwohl es im vergangenen Jahr sämtliche Klickrekorde brach und allein auf Youtube innerhalb der ersten Woche 76 Millionen Mal geschaut wurde. Die Popsängerin Taylor Swift, deren Video "Bad Blood" in ebendieser Kategorie nominiert ist und im Vergleichszeitraum sogar 80 Millionen mal angeklickt wurde, versuchte daraufhin - ebenfalls über Twitter - Minaj zu beschwichtigen. Es folgte ein digitaler Schlagabtausch, der mit dem indirekten Vorwurf des Rassismus endete, und damit, dass Swift Minaj auf Twitter die Freundschaft kündigte, also "entfolgte".

Zwischen Polizeigewalt und kreativen Höhenflügen

Ob nun Rassismus der Grund für die Nichtbeachtung von "Anaconda" in der wichtigen Kategorie ist, erscheint fraglich. Denn in diesem Jahr steht eine besonders große Anzahl aufsehenerregender Musikvideos zur Auswahl, man könnte sogar sagen, dass das Medium gerade eine neue Blütezeit erlebt. Colin Tilley etwa, der Regisseur von "Anaconda", ist mit einem anderen Video nominiert: dem Ende Juni veröffentlichten Video zur Single "Alright" des Rappers Kendrick Lamar.

"Alright" ist das bislang beste Musikvideo des Jahres. Tilley und Lamar fassen darin in großartigen Schwarzweißbildern das Lebensgefühl junger Afroamerikaner in L. A. - zwischen Polizeigewalt und kreativen Höhenflügen. Eine Pointe des Clips ist eine Einstellung, in der Lamar mit Freunden im Auto sitzt, dann zoomt die Kamera heraus und zeigt, dass das Auto gar nicht fährt, sondern von vier weißen Polizisten getragen wird - wie eine Sänfte.

Mit diesem Kommentar zu den jüngsten Polizeimorden in den USA stellt "Alright" ein anderes Video in den Schatten, über das viel geraunt wird, obwohl - oder gerade weil - es bislang noch nicht breit zugänglich ist: Der britische Oscar-Preisträger Steve McQueen ("12 Years a Slave") hat für Kanye West ein bislang nur in Kunstgalerien vorgeführtes Video gedreht. Wie in Handy-Mitschnitten im Netz zu sehen ist, folgt McQueen in "All Day/I Feel Like That" dem Rapper in einer einzigen, neunminütigen Einstellung durch ein leer stehendes Hafengebäude unweit von London. Der Rapper gestikuliert, tänzelt wie ein Boxer vor der Kamera und führt seine selbst entworfenen Adidas-Schuhe vor. Das Ganze wirkt recht langweilig.

Musik-Videos erreichen das Niveau von Hollywoodkino

Das könnte aber auch daran liegen, dass die meisten Musikvideos eben nicht auf Reduktion, sondern auf Überwältigung setzen, und das überzeugend. In Taylor Swifts "Bad Blood" (Regie: Joseph Khan) zum Beispiel bricht die Sängerin zusammen mit einer stattlichen Liste von weiblichen Gaststars wie Cara Delevingne, Lena Dunham und Cindy Crawford in einer Londoner Büroetage einen derben Zickenkrieg los, der ästhetisch an eine Mischung aus "Robocop", "Sin City" und "Tron" erinnert. Oder Rihanna: In "Bitch Better Have My Money" (Regie: Rihanna selbst) spielt sie eine rachsüchtige Killerin, die unter anderem ihren diebischen Buchhalter, dargestellt von Mads Mikkelsen, malträtiert.

Diese Videos erreichen visuell das Niveau von aufwendigem Hollywoodkino. Was aber, wenn die Musik missfällt? Früher musste man den Ton leise drehen, heute hat man lustigere Möglichkeiten. Viele Videos lassen sich im Netz inzwischen in inoffiziellen Neuvertonungen anschauen, in denen die Audiospur durch eine imaginierte Atmo ersetzt wurde. Sprich: Sounddesigner rekonstruieren, was mutmaßlich während des Drehs zu hören war.

Solche Bearbeitungen sind unter Hashtags wie #withoutmusic oder #musicless zu finden. So wird zum Beispiel Madonnas Mitte Juni veröffentlichtes Party-Video "Bitch I'm Madonna" (Regie: Jonas Åkerlund) erst erträglich: Da quietschen die pinken Kunstlederjacken und klirren die Cocktail-Gläser, und Madonnas A-cappella-Gesäusel - das natürlich gefakt ist - klingt besonders schief.

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