Süddeutsche Zeitung

Keira Knightley im Theater:Makellose Heuchelei

Die Theater im Londoner West End schmücken sich mit dem Glamour berühmter Filmstars. Erst war Jude Law mit seinem Hamlet dran und jetzt gibt auch Keira Knightley ihr Bühnendebüt.

A. Menden

Das Stück, das im Londoner Comedy Theatre gespielt wird, findet in zwei Welten statt. In der einen gibt eine junge Schauspielerin, die noch nie professionell Theater gespielt hat, ihr Bühnendebüt in Molières "Menschenfeind". In der anderen Welt werden Zuschauer am Eingang vorsorglich nach Kameras durchsucht, weil drinnen der Auftritt eines Hollywoodstars mit großem PaparazziAppeal ansteht. Die Schnittmenge beider Welten heißt Keira Knightley.

Bei ihrem ersten Auftritt steht sie mit dem Rücken zum Publikum. Sie blickt aus einem Fenster der luxuriösen Hotelsuite, in der Thea Sharrocks Inszenierung angesiedelt ist. Als sie sich umdreht, geht ein verhaltenes Raunen durch den Raum. Es ist das einzige Mal, dass allein die Anwesenheit Knightleys eine merkliche Reaktion auslöst. Doch einige der Lacher, die der Abend bereithält, wären wahrscheinlich weniger laut, spielte die Produktion nicht mit dem Besetzungscoup, die weltberühmte Filmschauspielerin Keira Knightley eine weltberühmte Filmschauspielerin namens Jennifer spielen zu lassen.

Martin Crimps 1996 erstmals aufgeführte (und für Sharrocks Inszenierung überarbeitete) Version verlegt den "Menschenfeind" in die Gegenwart und macht aus der lebenslustigen Jungwitwe Célimène den lebenslustigen Jungstar Jennifer, der Sachen sagt wie: "Ich kann doch nichts dafür, dass ich die Medien so fasziniere!" Einmal tritt Jennifer in einer Perücke auf, die sicher nicht zufällig an jene erinnert, die Knightley in "Die Herzogin" trug.

Keira Knightley ist nur einer von vielen Filmstars, die dieses Jahr an Londoner Theatern auftraten. Die Nominierungen für die Schauspielpreise des Online-Theatermagazin Whatsonstage.com lesen sich weniger wie eine Liste britischer Theatergrößen als wie ein Who-is-Who der Film- und Fernsehstars: Jude Law ist für seinen "Hamlet" als bester Hauptdarsteller nominiert.

Zugkräftige Darsteller und populäre Spielpläne

Helen Mirren ("Phèdre") ringt mit Rachel Weisz ("Endstation Sehnsucht") um den Titel der besten Hauptdarstellerin. Patrick Stewart kann doppelt hoffen: als Nebendarsteller für seinen Claudius in "Hamlet" sowie als "Theaterereignis des Jahres", eine Sparte, in der sein Auftritt mit "X-Men"-Kompagnon Ian McKellen in "Warten auf Godot" gute Chancen hat. Kurz: Das Londoner Theater birst derzeit vor Star-Glamour.

Für die Theater hat diese Besetzungspolitik handfeste wirtschaftliche Bedeutung. Zwar wird der Dachverband der West-End-Theater, die Society of London Theatre, nicht müde zu betonen, die Finanzkrise wirke sich nicht auf das Theater aus, die Nachfrage sei sogar größer als je zuvor. Doch um diese Nachfrage zu gewährleisten, bedarf es zugkräftiger Darsteller und populärer Spielpläne. Die kommerziellen Bühnen im West End orientieren sich programmatisch schon länger am Film.

Sowohl Musicals wie "Billy Elliot" und "Dirty Dancing" als auch Dramen wie "Calender Girls", "Breakfast at Tiffany's" oder "The Shawshank Redemption" spekulieren auf eine Wiederholung des Erfolgs entsprechender Filmversionen. In vertrauten Klassikern wie Tschechows "Kirschgarten" und Ibsens "Nora" treten Film- und Fernsehstars auf, auch amerikanische wie Ethan Hawke und Gillian Anderson. Leisten können sich die Theater solche Besetzungen nur, weil die Stars für einen Bruchteil ihrer Filmgagen auftreten. Das hat Kritiker zu der Bemerkung veranlasst, es gebe schon eine Art Quersubventionierung zwischen Film und Theater. Jedenfalls verfestigt sich der Eindruck, das West-End-Theater vertraue seiner Attraktivität als eigenständige Form darstellender Kunst nicht mehr so recht.

Lesen Sie auf Seite 2, wie sich Keira Knightley in Großbritannien Respekt verdienen will.

Martin Crimps "Menschenfeind"-Adaption verknüpft Film- und Theaterkosmos recht elegant, indem sie Alceste zu einem Dramatiker macht, der blindwütig gegen die Heuchelei des Movie-Startrubels anrennt. Damien Lewis holt alles heraus aus den Tiraden dieses Dauerwüterichs, während Tara FitzGerald als Jennifers Schauspiellehrerin Marcia einen neurotischen Anfall nach dem anderen bekommt. Zwischen diesen manchmal undisziplinierten, aber stets unterhaltsamen und vor allem ganz und gar theatralischen Auftritten, bleibt Keira Knightley durchgehend blass.

Rein technisch macht sie ihre Sache ordentlich. Sie projiziert ihre Stimme, ohne angestrengt zu wirken, und bringt Crimps in holprigen Paarreimen gesetzten Text fehlerfrei. Sie verlässt sich auf filmerprobte darstellerische Manierismen wie das bekannte Vorrecken des Kinns beim Lächeln. Nur eine gewisse physische Steifheit verrät, dass man hier einem Bühnenneuling zusieht. Aber Jennifer ist gehässig, kokett und manipulativ, sie zieht in Interviews über Kollegen her und spielt Rivalen um ihre Gunst gegeneinander aus. Keira Knightley wirkt einfach zu nett, als dass man ihr das alles abnähme. Nichts weist darauf hin, dass der Welt bisher viel durch Knightleys Bühnenabstinenz entging.

Respekt!

Was also bringt eine Oscar-nominierte Hollywoodschauspielerin, die mit 24 ausgesorgt hat, deren Filme gute Einspielergebnisse ("Fluch der Karibik") und Kritikerlob ("Abbitte") geerntet haben, dazu, sich den Anstrengungen einer mehrmonatigen Theatersaison und möglichen Verrissen auszusetzen? Sie ist ja keine jener abgehalfterten amerikanischen C-Promis wie Patrick Duffy oder Pamela Anderson, die jeden Dezember nach England reisen, um hier an "Pantos" teilzunehmen. Diese englische Form des Weihnachtsmärchens mit ihrer Mischung aus Kindertheater und Schlüpfrigkeiten profitiert vom Kitschfaktor, den solche Darsteller mitbringen.

Knightley gehört auch nicht zu denen, deren Karriere im Theater begann, und die irgendwann dorthin zurückkehren. Die Gründe für eine solche Rückkehr sind unterschiedlich: Ian McKellen etwa, der als Gandalf in "Der Herr der Ringe" Filmgeschichte geschrieben hat, oder Old-Vic-Leiter Kevin Spacey betrachten das Theater einfach als die erfüllendere Kunstform. Jude Law, ein charismatischer Bühnendarsteller, holte sich nach vielen theaterfreien Jahren als Hamlet kritische Streicheleinheiten ab, nachdem einige Filmprojekte gefloppt waren.

Wie sie wirklich sind, nett oder biestig, ist zweitrangig

Für Keira Knightley ist der Schritt auf die Bühne keine Rückkehr, und kommt dennoch nicht allzu überraschend. Als Tochter der Dramatikerin Sharman Macdonald, ist sie in einer Welt aufgewachsen, in der es üblich ist, Theater zu spielen, um als Schauspieler ernst genommen zu werden. Im Gegensatz zu Amerika, wo die meisten Theater mehr oder weniger als Warteschleife für arbeitslose Filmdarsteller dienen, genießen erfahrene Bühnenschauspieler in Großbritannien nach wie vor den größten Respekt unter Kollegen. Diesen Respekt will sich Keira Knightley nun anscheinend verdienen.

Und obwohl ihre Arbeit im "Menschenfeind" alles andere als eine Offenbarung ist, hat Thea Sharrock eine gute Wahl getroffen. Der Regisseurin, die vor zwei Jahren Harry Potters Film-Ego Daniel Radcliffe zu einem beachtlichen Bühnendebüt verhalf, gelingt ein kluges Doppelspiel mit der Starfigur - der echten und der gespielten. Keira Knightley und Jennifer sind Projektionsfläche für Vorstellungen und Sehnsüchte des Zuschauers.

Wie sie wirklich sind, nett oder biestig, flach oder tief, ist zweitrangig. Viel faszinierender ist, wie die Öffentlichkeit sich an ihnen abarbeitet. Wie sich die Aufmerksamkeit, auf die Jennifer so triumphierend hinweist, sich allabendlich am Bühnenausgang in einem Blitzlichtgewitter entlädt, wenn Keira Knightley das Theater verlässt. "Du bist einfach eine gut verkäufliche Marke", sagt Marcia zu Jennifer, "einfach nur Oberfläche!" Das Publikum, das hier lacht, lacht auch über die eigene Sensationsgier.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.139160
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 18.12.2009/iko
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.