"Keine Zeit wie diese" von Nadine Gordimer:Liebe, ein verblichener Aufreger

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In ihrem Roman "Keine Zeit wie diese" erzählt Literaturnobelpreisträgerin Nadine Gordimer von der nachrevolutionären Desillusionierung. Das neue Thema der 89-jährigen Schriftstellerin ist das alte: Südafrika. Die politischen Fragen haben sich noch nicht erledigt.

Hans-Peter Kunisch

Steve kommt aus einer englischen Familie, der Vater ist Christ, die Mutter Jüdin. Jabulile, Steves Frau, ist schwarz. Die Verbindung war gegen die Rassengesetze, das kümmerte beide wenig. Als sie sich im südafrikanischen Untergrund kennen lernten, waren alle "Genossen". Sind sie es noch? Zu Beginn von Nadine Gordimers neuem Roman "Keine Zeit wie diese" zieht das Paar, das damals heimlich heiraten musste, in ein hübsches, kleines Haus in der Vorstadt. Die beiden haben ein Mädchen, Steve ist Naturwissenschaftler an der Uni, Jabulile erfüllt sich einen Traum und studiert Jura. Eine südafrikanische Familie nach der Unabhängigkeit, nicht ganz gewöhnlich, aber das Land, in dem sie entstand, war es auch nicht.

Die südafrikanische Schriftstellerin Nadine Gordimer auf einem Foto vom Februar 2010 (Foto: dpa)

In ihren letzten Romanen, "Ein Mann von der Straße" und "Fang an zu leben", hat Gordimer auf die Unabhängigkeit reagiert, indem sie südafrikanische Politik immer unwichtiger werden ließ. Es ging um die Liebe einer höheren weißen Tochter zu einem Mann aus Zimbabwe, dann um Krebs. Aus den immer auch politischen Büchern der Literatur-Nobelpreisträgerin wurden mehr und mehr Human-Interest-Geschichten.

In "Keine Zeit wie diese" sieht die Situation wieder etwas anders aus. Liebe ist darin ein höchst verblichener Aufreger. Auch wenn Steve Jabulile einmal betrügt - als Assistenzprofessor verbringt er bei einem Kongress in London eine Nacht mit einer Pressefrau -, die Betrogene erfährt nichts davon, die Sache verläuft im Sande. Jabu und Steve gehören zusammen, allmählich etwas weniger leidenschaftlich vielleicht, aber doch mehr als das "normale Leben", das sie jetzt führen, erwarten lässt.

Gespannt folgt man dem beiläufig vermittelten Querschnitt

Es dauert eine Weile, bis das Sujet des neuen Buchs erkennbar wird. Zunächst scheint es Gordimer nur um das Selbstverständnis der ehemaligen Revolutionäre zu gehen, die lernen müssen, sich mit ihrer neuen, relativ etablierten Position in einer partiell offenen Gesellschaft anzufreunden. Ihre Umgebung wird abgesteckt: eine Schwulen-WG in einer verlassenen, benachbarten Ex-Kirche trägt genauso zum Vorstadt-Lokalkolorit bei wie die Besuche in der Heimat Jabus, bei ihrem Vater, einem der Dorfhonoratioren, der sich um die Bildung seiner Tochter gekümmert hat.

Gespannt folgt man dem beiläufig vermittelten Querschnitt durch die südafrikanische Gesellschaft der Gegenwart, der als grobflächige Chronik der Jahre seit der Unabhängigkeit angelegt ist. Gordimer bleibt auf der Spur von Jabu und Steve, die das gemeinsame Leben ganz verschieden erfahren, dabei wird allmählich klar, dass das neue Thema der 89-jährigen Schriftstellerin das alte ist: Südafrika. Die politischen Fragen haben sich doch nicht erledigt. Der einst revolutionäre ANC, der noch heute einen Großteil der politischen Klasse stellt, hat sich in den Strukturen der Macht eingenistet.

Gordimer wird sehr konkret. Es geht ganz direkt um den namentlich genannten Jacob Zuma, den amtierenden südafrikanischen Präsidenten, der verkündet hat, der ANC werde herrschen bis zum jüngsten Tag. Vorwürfe, er sei in Waffengeschäfte verwickelt (gewesen), korrupt, nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht, lässt er nach Möglichkeit abperlen. Nun könnte man zynisch einwenden, dass das bei Politikern, nicht nur in Südafrika, üblich sei, kein Grund, sich zu erhitzen.

Jabus Vater, ansonsten eine Respektsperson, aber wie Zuma zum Stamm der Zulu gehörig, hält ihm die Treue. Doch für Jabu und Steve, selber einst Parteigänger des ANC, ist die Sache komplizierter. Einerseits ekeln sie sich vor dem autokratischen Gehabe des neuen Präsidenten und seinen skurrilen Ausführungen zu AIDS (der bekennende Polygamist aus Tradition ließ verlauten, er habe nach dem Beischlaf mit einer Infizierten geduscht), anderseits war Zuma einst Geheimdienstchef des ANC und als solcher mit verantwortlich für die Waffenbeschaffung im Untergrund. Damals fragte keiner nach der Herkunft der Gewehre.

Doch war der Kampf nicht nur Mittel zum Zweck? Galten nicht andere Gesetze? Sollte sich die post-revolutionäre Gesellschaft nicht langsam von ihren historischen Bedingungen lösen und zur verheißenen werden? Oder was bedeutet die zunehmende Fremdenfeindlichkeit in der arbeitslosen schwarzen Unterschicht, die es noch immer gibt?

Solche Fragen wendet Nadine Gordimer in den Köpfen ihrer Figuren um und um. So ist klar, dass "Keine Zeit wie diese" nicht nur den "good read" des klassischen englischen Romans bieten will und kann. Manchmal wird zu viel gesprochen und gedacht. Und doch entkommt Gordimer über weite Strecken der Lähmungs-Gefahr des Thesenromans. Denn sie schreibt nicht anwaltschaftlich, theoretisch, sondern in eigener Sache. Die Fragen, die sich die Figuren stellen, wirken wie ihre, und sie versteht es, ihnen diese Fragen so in den Mund zu legen, dass sie zu denen der Leser werden. Gut lesbar übersetzte, tagebuchähnlich kühle innere Monologe führen zu einer großen Nähe zu Jabu und Steve, mit denen man in Geschichte und Gegenwart eines schwierigen Landes unterwegs ist.

Das hört sich beinahe zu harmonisch an, aber als Jabu bei Steve Zeitungsausschnitte entdeckt, Anzeigen der australischen Regierung, die um Einwanderer wirbt, taucht zum ersten Mal die Ahnung auf, dass es Gordimer mit ihrem Nachdenken über Südafrika ernst meint. Es wird klar, dass die Ex-Revolutionäre ihre mittlerweile zwei Kinder nicht im Paradies, für das beide gekämpft haben, aufwachsen lassen wollen.

Die selbstbeweihräuchernden Lügen der Regierung, die über die Fortschritte des Landes im Umlauf sind, zermürben, die Statik der Verhältnisse entmutigt. Steve bewirbt sich tatsächlich für eine Auswanderung nach Australien - und erhält den passenden Job. Auch wenn ein Freund ihm überflüssigerweise, wie angeklebt, am Ende entgegenhält: "ich bleibe" - die Kinder der Revolution verlassen das Land. Nadine Gordimer hat einen Roman der Desillusionierung geschrieben. Eindringlich erzählt sie vom Desaster der einst so hoffnungsfrohen, neuen südafrikanischen Gesellschaft.

© SZ vom 25.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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