Kein "Zug der Erinnerung" in Berlin:Würdelose Camouflage

Der "Zug der Erinnerung" darf nicht in den Berliner Hauptbahnhof einfahren. Die Deutsche Bahn weigert sich - und beruft sich auf technische Gründe.

Stephan Speicher und Thomas Steinfeld

Wäre es nach den Vorstellungen des Vereins "Zug der Erinnerung" gegangen, wäre am kommenden Freitag eine historische Dampflokomotive mit einigen nicht minder historischen Waggons in den Berliner Hauptbahnhof eingefahren. Zehn Tage hätte er dann dort gestanden und mit einer kleinen Ausstellung in den Waggons, daran erinnert, dass die Reichsbahn zu den wesentlichen Akteuren des Massenmords an den europäischen Juden gehört hatte.

Dies wird nicht geschehen: Die Deutsche Bahn weigert sich, den Zug in den Hauptbahnhof einfahren zu lassen und beruft sich dabei auf technische Gründe: Der Betrieb einer Dampflokomotive erfordere die Abschaltung der Rauchmelder, wodurch ein Risiko für die Öffentlichkeit entstünde. Es gebe auch nicht genügend Gleise und Bahnsteige. Das Verweilen eines solchen Zuges im Hauptbahnhof erfordere die technisch unmögliche Umlenkung von dreißig Zügen täglich.

Auch am Güterbahnhof Grunewald, einem der zentralen Deportationsorte in Berlin, wo auch ein Mahnmal an die Ermordung der Juden erinnert, soll der Zug nicht stehen dürfen, da es dort an Gleisen mit öffentlichem Zugang fehle. Zugleich bestand die Deutsche Bahn darauf, dem "Zug der Erinnerung" Kosten für die Benutzung der Gleise für die Fahrten (3,50 Euro pro Bahnkilometer) sowie für das Stehen im Bahnhof (450 Euro am Tag) in Rechnung zu stellen.

Mit ausgesuchter Höflichkeit

Der Verein rechnet daher mit Kosten von insgesamt über hunderttausend Euro. Proteste gegen das Nutzungsverbot wie gegen die Gebühren wurden nicht nur Verein erhoben, sondern auch vom internationalen Auschwitz-Komitee, Noach Flug. Er nannte das Verhalten der Deutschen Bahn gegenüber einem "so wichtigen bürgerschaftlichen Engagement" "würdelos". Sie beschädige das Ansehen Deutschlands.

Otto Wiesheu (CSU), DB-Vorstand Wirtschaft und Politik, hat nun in einem Schreiben an Abgeordnete aller Bundestagsparteien, die um eine Revision der Kostenentscheidung baten, die Forderungen zurückgewiesen. Er lehnte ferner ab, die Kosten für die Gleisbenutzung durch eine Spende in entsprechender Höhe auszugleichen. Es werde sich die Bahn dem "massiven öffentlichen Druck" nicht beugen. Auch die Bitte um Stundung der Forderung habe die Bahn AG abgelehnt, wie die Bürgerinitiative mitteilt.

Damit fährt die Bahn einen harten Kurs gegenüber Initiativen zur Erinnerung an den Nationalsozialismus. Andere deutsche Unternehmen haben sich in solchen Fragen in jüngster Zeit kooperativer gezeigt. Namentlich gegenüber wissenschaftlichen Untersuchungen zur Unternehmensgeschichte im "Dritten Reich" haben sich viele Firmen als aufgeschlossen erwiesen.

Wer heute etwa bei Daimler-Benz anrufe, um Auskünfte zu dort beschäftigten Zwangsarbeitern einzuholen, werde, wie der Historiker Götz Aly einmal erzählte, mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt, nicht weniger, als wenn er ein Auto kaufen wolle.

Und so sehr man auch an der Notwendigkeit einzelner Initiativen zur Erinnerung zweifeln mag, so gewiss ist doch, dass die Bahn die Beteiligung an den nationalsozialistischen Verbrechen nicht camouflieren kann - zu präsent sind die Bilder der ausgehungerten, verdurstenden Menschen in den Viehwaggons, die Einfahrt der Züge an die Rampe von Auschwitz/ Birkenau. Die Bahn wird auch in dieser Auseinandersetzung den kürzeren ziehen.

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