Kazuo Ishiguro:Was bin ich?

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Im Sonnenlicht: Der Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Kazuo Ishiguro. (Foto: Kazuki Wakasugi/AP)

Kazuo Ishiguros neuer Roman wird aus der Sicht eines Roboters erzählt und stellt so die Frage, was menschliche Gefühle ausmacht.

Von Nicolas Freund

Von Ludwig Wittgenstein stammt der rätselhafte Satz: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt." Er könnte auch das Motto des neuen Romans des britisch-japanischen Literaturnobelpreisträgers Kazuo Ishiguro sein. Denn dieser wird erzählt von Klara, einem Roboter, in dem Roman genannt KF für künstlicher Freund, und diese Maschine hat eine ganz besondere Sicht auf die Welt.

Denn die Grenzen von Klaras Welt sind aus Glas. Es ist die Fensterfront des Ladens, in dem sie zum Verkauf steht und in dem der erste Teil des Romans spielt. Diese Welt ist sehr einfach. Sie besteht nur aus Klara, den anderen KFs, die in dem Laden verkauft werden, einer Managerin und dem kleinen Ausschnitt des Fensters, von dem aus man die Straße, ein großes Gebäude, Passanten und Autos sehen kann. Struktur gibt nur der Platz im Laden - am besten ist es natürlich ganz vorne am Fenster - und der Lauf der Sonne. Klara, die wohl mit Solarenergie betrieben wird, ist fasziniert von der Sonne und ihrer Kraft, vor der sie geradezu religiöse Ehrfurcht hat. Sie vermutet, die Sonne könne auch Menschen Kraft geben, sie heilen und sogar von den Toten erwecken. Warum auch nicht, wie soll sie es anders wissen, ausgehend von dieser kleinen Welt? Wobei die Fragen, die diese Erzählperspektive aufwirft, schon damit beginnen, was für eine Maschine eigentlich "wissen" bedeutet.

Denn Klara weiß sehr viel und hat von vielem anderen dafür gar keine Vorstellung. Sie lernt, aber sie lernt nach ihren eigenen Regeln, die ihr wohl Algorithmen vorgeben, der Text bleibt hier vage. Teile ihrer Welt, das Alter von Menschen oder Entfernungen, kann Klara mit mathematischer Präzision bestimmen. Bei Gefühlen wird es schon schwieriger. Klara schätzt auch die Emotionen ihres Gegenübers ein, anhand von Mimik, Körperhaltung und Sprache, so wie es auch ein Mensch tun würde. Der Text deutet aber an, dass sie damit nicht immer richtigliegt. Aus dieser Vermessung der Herzen leitet Klara trotzdem ab, dass sie selbstverständlich auch als Maschine Emotionen habe, denn sie mag es, vorne im Laden zu stehen, und nicht, wenn sie ganz hinten versteckt wird. Wenn sie verkauft würde, und ihr Besitzer würde sie nicht mögen, wäre es dann nicht Schmerz, den sie empfindet? Das ist die zentrale Frage, die sich dieser Roman stellt: Lassen sich Emotionen, lässt sich ein menschliches Herz imitieren? Und wenn ja, was würde das bedeuten?

Die Vorstellung, Maschinen könnten wie Menschen werden, stammt aus dem 17. Jahrhundert

Vor diesem Vergleich warnen eigentlich viele KI-Forscher: Maschinen sind Maschinen, auch wenn sie selbständig lernen und wenn sie sprechen, schreiben oder aussehen wie Menschen. Eine Maschine führe nur Befehle aus, ihr fehle die Komplexität der menschlichen Wahrnehmung, meint zum Beispiel die KI-Forscherin Sarah Spiekermann. Deshalb könnten Maschinen auch nie richtig an der Welt teilnehmen oder komplexe und subjektive menschliche Gefühle wie Gemütlichkeit nachempfinden.

Die Vorstellung, Maschinen könnten wie Menschen werden, stammt eigentlich aus der Vorstellungswelt des 17. Jahrhunderts, als Philosophen wie René Descartes die These vertraten, Menschen und überhaupt die ganze Welt seien doch letztlich auch nur sehr komplexe Uhren, also Automaten, die nach gewissen Regeln funktionieren. Warum sollte eine Maschine diese also nicht imitieren können? Unter manchen Entwicklern von KIs und auch unter manchen Figuren in Ishiguros Roman ist diese These noch immer weit verbreitet.

"Klara und die Sonne" kokettiert mit dieser Naivität gegenüber den Maschinen, indem er Klara als Ich-Erzählerin an die Stelle setzt, an der man, von einigen literarischen Experimenten abgesehen, eine menschliche Perspektive erwartet. Mehr noch, denn auch die Sprache Klaras ist natürlich einem Erzähler nachempfunden, wie ihn Ishiguro zum Beispiel in seinem Roman "Der Maler der fließenden Welt" über einen von der Zeit überholten japanischen Künstler verwendete. Diese vertraute Perspektive bricht er aber immer wieder, erst sehr unauffällig, dann immer drastischer, durch die Verfremdungen in Klaras Weltwahrnehmung, die teilweise nur erahnen lassen, was eigentlich geschieht, wenn sie zum Beispiel auf dem Bürgersteig ein vielgliedriges Monster erblickt, das sich einfach als zwei Menschen und ein Hund entpuppt. Hunde, die Menschen herumführen, sind für sie grundsätzlich ein großes Rätsel. Hohes Gras und volle Räume stellen für Klara eine Herausforderung dar, und bei einer Autofahrt wundert sie sich, warum die entgegenkommenden Autos nicht zusammenprallen, obwohl die Straße doch wie dafür gemacht zu sein scheint. Klara scheint keine Personalpronomen zu kennen. Diese Sprache des Romans bedeutet die Grenzen von Klaras Welt, und Ishiguro hat mit diesem Verfremdungsverfahren für seinen Roman eine eigene, faszinierende Poetik entworfen: Sie zeigt nicht nur, wo die Grenzen der Maschinenwahrnehmung liegen, sondern auch, was die Gemeinsamkeiten mit der Lebenswelt der Menschen sind.

Kazuo Ishiguro: Klara und die Sonne. Aus dem Englischen von Barbara Schaden. Blessing, München, 2021. 352 Seiten, 24 Euro. (Foto: N/A)

Klaras Welt ist unterkomplex, sie versteht den Kontext oft nicht und hat eine eingeschränkte Wahrnehmung, kann nicht einmal riechen und nimmt vieles falsch wahr. Nun bleibt die Frage: Ist, was sie denkt und zu fühlen denkt, deshalb falsch, nicht echt? Kann man überhaupt sagen, sie denke? Wenn die Maschine nicht denkt, denkt dann nur der Mensch oder auch er nicht? Oder sind das vielleicht die falschen Fragen, ist der Vergleich mit den Menschen, so wie ein Vergleich unter Menschen, der falsche Ansatz? Klara würde wahrscheinlich keinen Turing-Test bestehen, der besagt, wenn eine Maschine in einem Gespräch nicht mehr von einem Menschen unterscheidbar ist, dann ließe sich wirklich von künstlicher Intelligenz sprechen. Aber würde das nicht nur bedeuten, sie ist wie ein Mensch, und das, was Klara ausmacht, damit negieren?

Ishiguros Roman lässt sich als Allegorie auf Fremdenfeindlichkeit, auf religiösen Glauben oder als Kommentar auf die aktuelle philosophische Diskussion um künstliche Intelligenz lesen. Er lässt sich aber auch einfach als Beispiel für eine andere Lebenswelt verstehen. Und dieser fremde Blick kann uns die Welt nur erhellen, denn seine Grenzen sind andere als die unseren.

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