Der Katholische Kinder- und Jugendbuchpreis wird in diesem Jahr nicht vergeben. Diese lapidare Nachricht kam schon am 6. April in einer Pressemitteilung auf die Website der Deutschen Bischofskonferenz (DBK). Dass dahinter eine Geschichte stecken könnte, die mitten in die Debatte führt, die gerade die katholische Kirche erschüttert, ist aber erst in dieser Woche klar geworden.
Die offizielle Version geht so: Die zehnköpfige Jury, der der Trierer Weihbischof Robert Brahm vorsteht und in der Theologieprofessoren, Literaturwissenschaftlerinnen und Pädagogen sitzen, hatte sich aus 171 Einsendungen von 61 Verlagen für ein Buch entschieden: "Papierklavier" von der österreichischen Autorin Elisabeth Steinkellner sollte den Preis bekommen. Das fiktionale Tagebuch einer 16-Jährigen, die mit Tod, Armut und den üblichen Leiden einer Pubertierenden, also auch der Sexualität, zu tun hat. Illustriert hat es Anna Gusella. 15 weitere Titel kamen auf die Empfehlungsliste.
Nun ist es allerdings so: Die Jury ist zwar "unabhängig", das letzte Wort hat aber der Ständige Rat der Bischofskonferenz. Er muss der Wahl zustimmen, seine Entscheidung ist bindend.
Und der Ständige Rat sagte nein zum "Papierklavier". Das Buch entspreche nicht den Kriterien des Statuts, ließ die Bischofskonferenz über ihren Sprecher ausrichten. Weil die Jury keine zwei bis drei Alternativen vorschlug, wie sie vom Rat geheißen war, gibt es 2021 eben keinen Preis.
Was im Statut steht, ist allerdings einigermaßen vage: Der Preis, heißt es da, werde "für Arbeiten verliehen, die beispielhaft und altersgemäß christliche Lebenshaltungen verdeutlichen". Dabei müsse auch "die transzendente und damit religiöse Dimension erkennbar sein". In den vergangenen Jahren wurden diese Kriterien weit ausgelegt, es ging mehr um Haltungen als um konkreten Katholizismus. Autoren wie Andreas Steinhöfel und Reinhard Kleist zählen zu den früheren Preisträgern. Erbauliche Bibelgeschichten haben schon lange nicht mehr gewonnen.
Das Schweigen der Bischofskonferenz ist wohl die schlechteste Lösung
Wir sagen nein und sonst nichts. So einfach hätten es die beteiligten Bischöfe womöglich gern. Aber in Zeiten, in denen der Vatikan die Segnung homosexueller Paare verbietet, in Deutschland aber Reformbestrebungen wie der "Synodale Weg" und "Maria 2.0" immer stärker werden und gerade erst am vergangenen Montag in einem rebellischen Akt eben doch schwule und lesbische Paare eine Segnung bekamen, kurz, die katholische Kirche sich zwischen Hinwendung zur Welt und Beharren auf Tradition fast zerreißt - da ist Schweigen wohl die schlechteste Lösung.
Es wurde also nachgefragt. Der Kölner Stadt-Anzeiger schrieb Anfang der Woche, dass der Umgang des Buchs mit Fragen der Sexualität der DBK nicht gefallen habe. Bestätigt hat das offiziell niemand. Schnell wurde in Artikeln und Tweets daraus ein noch spezifischerer Grund: In "Papierklavier" ist eine Nebenfigur transgender. Carla, eine Freundin der Hauptfigur, heißt laut Ausweis Engelbert Krahvogel. Sie ist lebenslustig, auch wenn sie an einer Stelle des Buchs wegen ihrer sexuellen Identität von ein paar Typen verprügelt wird. Die Schlagzeile für den Fall war gefunden: Katholische Kirche verweigert Preis für Transgender-Buch.
Ganz so klar ist die Angelegenheit allerdings auch wieder nicht. Zuerst einmal ist Carla/Engelbert im Buch nur eine Randfigur. Es kommen aber auch vor: die Promiskuität einer 16-Jährigen, die von Dreiern und Vierern erzählt und damit keine Schulnoten meint. Die Mutter von Hauptfigur Maia, die alleinerziehend ist und drei Töchter von drei verschiedenen Männern hat. Eine tote Ersatzoma, deren Leben nach dem Tod vielleicht nur darin besteht, von Tieren und Bakterien zersetzt zu werden. Und ein heiterer Teenie-Wortwechsel, in dem Maia "Amen, so ist es und so soll es sein" sagt, und ihre Freundin entrüstet "Urbi et orbi" erwidert.
War das dem einen oder anderen Bischof zu viel? Zu viel Sex, zu wenig Kernfamilie und happy Himmel, zu viele Witze über kirchliche Formeln? Vielleicht. Andererseits: Das Herz dieses Buchs schlägt ganz eindeutig für Werte wie Zusammenhalt, Freundschaft, Empathie. Als ihre kleine Schwester sich Klavierstunden wünscht, die die Mutter sich nicht leisten kann, arbeitet Maia Extraschichten in der Smoothie-Bar, um sie ihr zu bezahlen. Das ist Menschlichkeit im besten christlich-humanistischen Sinn.
Jury-Mitglied Markus Tomberg, Professor für katholische Theologie in Fulda findet in "Papierklavier" nichts, was mit katholischen Werten unvereinbar wäre. Er sagt: "Maia beobachtet, wie es in der Welt zugeht. Das macht sie sehr präzise, es ist vielleicht ein bisschen explizit. Ich als Religionspädagoge würde dieses Buch im Unterricht benutzen. Es geht um Nächstenliebe und es ist literarisch und optisch innovativ."
Und noch ein Andererseits: Auch einige der anderen Bücher, die nun, anders als "Papierklavier", auf der Empfehlungsliste für den Preis stehen, enthalten: Sexszenen, schwule Küsse, einen pornografischen Haiku.
Die Jury dachte nach dem Veto über einen geschlossenen Rücktritt nach
Über die Gründe für das Nein lässt sich also vorerst nur spekulieren. Die Bischofskonferenz jedenfalls kommentiert lediglich, dass sie in der Angelegenheit "keinen Eklat erkennen" könne. Das Ganze sei ein "normaler Vorgang". Aus den Sitzungen des Ständigen Rats berichte man grundsätzlich nicht. Auch im Verlag des Buchs, Beltz und Gelberg, wusste man von nichts. "Wir wussten nicht einmal, dass 'Papierklavier' als Preisträger ausgewählt wurde", sagt Moritz Reissing, Sprecher der Verlagsgruppe Beltz. Von der Kontroverse habe man im Verlag erst aus der Zeitung erfahren. Und die Jury? Bekam offenbar auch keine Begründung genannt.
Jury-Mitglied Heidi Lexe, Literaturwissenschaftlerin an der Universität Wien und Leiterin der Studien- und Beratungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur der Erzdiözese Wien, sagte der katholischen Presseagentur Österreich, dass unklar sei, was an "Papierklavier" ein derartiges Missfallen erregt habe. Im Schritt, die Preisvergabe auszusetzen, sehe sie fehlendes Vertrauen in die Expertise der Jury. Man habe über einen geschlossenen Rücktritt nachgedacht, dann aber davon Abstand genommen - unter anderem, weil man weiter daran arbeiten wolle, ein positives und weltoffenes Bild der Kirche in der Literaturszene zu vertreten. Ob das überhaupt im Interesse eines zentralen Kirchenorgans wie der Bischofskonferenz liegt, muss man sich nach dieser Woche allerdings durchaus fragen.