Kurt Flaschs Buch "Katholische Wegbereiter des Nationalsozialismus":Ordnung, Führung, Bindung

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Kämpferischer Antiliberalismus als verbindendes Element: Nikolaus Bares (3. v. li.), Bischof von Berlin, mit dem päpstlichen Nuntius Cesare Orsenigo (2. v. li.) während der Papstkrönungsfeier 1934 im mit Hakenkreuzen geschmückten Berliner Sportpalast. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Kurt Flasch hat einen Blick auf katholische "Brückenbauer" im Jahr 1933 geworfen, die die Verwandtschaft von christlicher und nationalsozialistischer Weltanschauung feierten.

Gastbeitrag von Hans Maier

Am 5. März 1933 wählten in der Stadt Münster 36,6 Prozent der Wahlberechtigten die Zentrumspartei. In Münster-Land waren es sogar 50,7 Prozent. Die Zahlen für die NSDAP blieben dahinter zurück. Der Zentrums-Turm erwies sich als stabil. Ausgerechnet in dieser Situation erhob sich jedoch in Münster eine Initiative zugunsten der in der Minderheit gebliebenen NSDAP, eine Kampagne, getragen von katholischen Akademikern, die nach Gemeinsamkeiten zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus suchten. Die Professoren Michael Schmaus und Joseph Lortz sowie der freie Schriftsteller Josef Pieper bildeten die Spitze dieser Bewegung, die bald auch an anderen Orten von sich reden machte; von den Zeitgenossen wurden die Autoren "Brückenbauer" genannt.

Kurt Flasch, erprobter Mittelalterforscher, aber auch subtiler Erkunder des zeitgenössischen Geisteslebens, ist diesen drei Männern noch zu Lebzeiten begegnet und hat ihren Weg im Einzelnen verfolgt. Sie waren im Nachkriegsdeutschland hoch angesehene und vielfach ausgezeichnete Persönlichkeiten. Von ihren Irrtümern hatten sie sich zumindest intern distanziert. "Ich fand mit Schmaus ein freundliches, mit Pieper ein normal-arbeitsmäßiges, mit Lortz gar kein Auskommen", schreibt Flasch. So wie in dieser Kurzformel fallen denn auch die Akzente in der knappen, spannend zu lesenden Schrift des renommierten Essayisten aus: Über Schmaus, der nach dem Krieg bis zu seiner Emeritierung 1965 Professor für katholische Dogmatik an der Ludwig-Maximilians-Universität München war und zwischenzeitlich sogar LMU-Rektor, referiert Flasch eher zurückhaltend; "relativ wohlwollend" versucht er, dessen "Mangel an Wirklichkeitssinn" zu erklären; die Darstellung wird an einer Stelle von ironischen Lichtern überspielt. Bei Pieper unternimmt Flasch eine eingehende Analyse von dessen Gedanken zu Arbeitsrecht und Sozialpolitik, Positionen, die zum Teil auf Piepers Doktorvater Johann Plenge zurückgehen und die ihn für eine kurze Weile in die Nähe der NS-Ideologie bringen. Bei Lortz hingegen, der von 1950 bis zu seinem Tod 1975 an der Universität Mainz Kirchengeschichte lehrte, setzt Flasch zu einer Generalabrechnung an, wobei er die Schriften zur Reformationsgeschichte, die den Kirchenhistoriker später international berühmt machten, nicht ausspart.

Mit Hitler, dem Antimodernen, sollten sich gläubige Christen unschwer identifizieren können, dafür plädierte Lortz

Wo sahen die "Brückenbauer" Gemeinsamkeiten zwischen dem Nationalsozialismus und der katholischen Welt? An erster Stelle war es wohl ein kämpferischer Antiliberalismus, der beide verband, die aggressive Wendung gegen die moderne, emanzipierte, individualisierte Welt. Mit Hitler, dem Antimodernen, sollten sich gläubige Christen unschwer identifizieren können - dafür plädierte vor allem Joseph Lortz. Ordnung und Gemeinschaft, Führung und Bindung sollten wieder in den Vordergrund treten - eine "völkische Lebensordnung" sollte den vagen Internationalismus ablösen, der zu nichts verpflichtete, aber Volk und Staat in den Hintergrund treten ließ.

Als Mediävisten orientierten sich die drei Autoren dabei nicht selten an einem fingierten Mittelalter. Ihnen schwebte eine hierarchisch strenge, Schranken setzende Kirche vor - ein Gegenüber zum gleichfalls strengen, die Geister zügelnden Staat. "Wer die so beschriebene, restaurativ rekonstruierte Kirche mit ergriffener Unachtsamkeit liebte, wer wie Lortz die Verdammung der Gewissensfreiheit durch Päpste pries, konnte sie wohl verwandt finden mit dem Dritten Reich in seinem Anfangsstadium."

Mangel an Wirklichkeitssinn: Michael Schmaus war nach dem Zweiten Weltkrieg von 1946 bis zu seiner Emeritierung 1965 Professor für katholische Dogmatik an der Ludwig-Maximilians-Universität München, der er in den Jahren 1951 und 1952 auch als Rektor vorstand. (Foto: Universitätsarchiv LMU München)

Für uns Spätere, die wir den Ausgang kennen, ist das anfängliche Zutrauen der drei Autoren zu Hitler, ihre Hoffnung, dass die guten (sprich konservativen) Kräfte sich gegen SA-Schläger und SS-Verschworene durchsetzen würden, nur schwer zu begreifen. Konnten sich die "Brückenbauer" die späteren Verbrechen des Nationalsozialismus in seinen Anfängen nicht vorstellen? Sahen sie über das hinweg, was man bereits am Beginn deutlich erkennen konnte: den Abbau der verfassungsmäßigen Ordnung, die Tendenz zur Alleinherrschaft einer Partei, die Schläge gegen Oppositionelle, den Boykott jüdischer Geschäfte?

Die Lage im Sommer 1933 war gewiss in mancher Hinsicht ambivalent, widersprüchliche Phänomene waren zu verarbeiten, einiges mochte die "Brückenbauer" zu ihrem Optimismus ermutigen. So etwa die Tatsache, dass der bayerische (evangelische) Kultusminister und NS-Gauleiter Hans Schemm Schulgebete obligatorisch machte und die Parole ausgab: "Unsere Religion heißt Christus, unsere Politik heißt Deutschland." Oder das zeitweilige Mitgehen von NS-Organisationen bei Gottesdiensten und Prozessionen - und nicht zuletzt die Rede Hitlers vom "positiven Christentum" als Grundlage des NS- Staates.

Verdammung der Gewissensfreiheit: Joseph Lortz lehrte nach dem Krieg von 1950 bis zu seinem Tod 1975 an der Universität Mainz Kirchengeschichte. (Foto: Reiner Wierick/Universitätsarchiv Mainz)

Nicht wenige Katholiken klammerten sich an Hindenburg, den greisen Reichspräsidenten, und an Franz von Papen, den katholischen Reichsvizekanzler; sie galten als Schutzschilde christlicher Überlieferung. Freilich, die antichristliche Gegenwelt im Nationalsozialismus - Rosenberg, Himmler - war gleichfalls vorhanden, und sie gewann von Tag zu Tag an Macht. Auch trat die kriminelle Physiognomie des NS-Staates immer unverhüllter hervor. Wie konnten Katholiken da noch nach legitimen Zugängen zur nationalsozialistischen Weltanschauung suchen? War das nicht von Anfang an eine Illusion? In der Tat: "Der Vorgang behält etwas Rätselhaftes. Vielleicht war der Teufel am Werk", so lautet das bemerkenswerte Fazit des bekennenden Agnostikers Kurt Flasch.

Die Gruppe stürzte mit der Entmachtung des Reichsvizekanzlers Franz von Papen

Waren sie nun wirklich "Katholische Wegbereiter des Nationalsozialismus", wie Flaschs Buchtitel sagt? Hier habe ich Einwände, sie betreffen das Wort, die Semantik des Vorgangs. Im Augenblick wirkt ja die Hohenzollerndebatte differenzierend und verschärfend auf unser historisches Vokabular ein. Wir fragen genauer danach, wie, auf welche Weise, seit wann und wie lange Zeitgenossen unterstützend, fördernd, befürwortend für den Nationalsozialismus tätig waren. Dies im Einzelnen zu klären ist nicht nur vor Gericht von Belang, es beeinflusst auch die historische Urteilsbildung.

Dass die genannten Autoren dem Nationalsozialismus "den Weg bereitet" hätten - diese Vermutung widerlegt Flasch selbst an mehreren Stellen seines Buches. Wiederholt spricht er davon, dass sie "für die Analyse politischer Prozesse nicht ausgebildet" waren, dass es sich um "politisch unerfahrene Professoren" handelte. Wie konnten sie dann Wegbereiter für den Nationalsozialismus sein? Die NS-Größen haben von den Brückenbauern keine Anstöße, keine Anregungen bekommen. Sie konnten nichts von ihnen lernen. Sie übernahmen nirgends eine Führungsrolle. Sie folgten nur.

Kurt Flasch: Katholische Wegbereiter des Nationalsozialismus. Michael Schmaus, Joseph Lortz, Josef Pieper. Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 2021. 192 Seiten, 25 Euro. (Foto: N/A)

Und auch wenn man "Wegbereiter" im engeren Sinne nimmt - als Hinführung speziell der Katholiken zum Nationalsozialismus -, führt das Wort ins Leere. Denn die "Brückenbauer" haben im deutschen Katholizismus allenfalls ein kurzes Rumoren, nicht aber eine dauerhafte Bewegung ausgelöst. Die Gruppe stürzte mit der Entmachtung des Reichsvizekanzlers 1934 in die Bedeutungslosigkeit ab. Ihre Publikationen blieben vereinzelt und nahezu wirkungslos. Richtig und bleibend angemessen urteilten dagegen andere Katholiken, die Flasch auch nennt: Alois Dempf, Dietrich von Hildebrand, Gustav Gundlach, Waldemar Gurian.

Das freilich sollte niemanden von der Lektüre dieses Buches abhalten. Es wäre ja wohl das erste Buch von Flasch, das ans Licht getreten wäre, ohne (nützliche) Kontroversen auszulösen. Daher wird die Debatte weitergehen, denke ich - der Meister und seine Leser mittendrin!

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