Katholische Kirche:Heilige Selbstgerechtigkeit

Die katholische Kirche nervt nicht, weil sie Finger in Wunden legt. Sie nervt, weil sie für die Zweifelsfälle des Lebens keinen Blick hat.

Matthias Drobinski

Liebe Katholiken in Deutschland, rettet Eure Kirche! Nicht vor dem Spott der Ungläubigen, sondern: vor sich selbst! Vor kurzem noch sah es gut aus für die große, alte Mutter der katholischen Gläubigen. Da war gerade Joseph Ratzinger Papst geworden und auf einmal nicht mehr der strenge Glaubenswächter, sondern der lächelnde Weltdenker, und jeder wollte ein bisschen Papst sein, selbst mancher von den Evangelischen.

Papst Benedikt XIV. Katholische Kirche
(Foto: Foto: Getty Images)

Die anderen, die Unbegeisterten, mussten erklären, warum sie sich so hartnäckig dem Papstsein verweigerten, dem guten Schuss Katholizismus im Leben, mit Barock und Kirchenmusik, Latein, Weihrauch und Werten. Die Welt war voller Begierdekatholiken, die sich oft päpstlicher aufführten als die echten, die ahnten, dass es weitergehen würde wie bisher mit ihrer Kirche, der in jeder Richtung staunenswerten. Angenommen, man wäre ein papstkritischer Fußballhasser: Das Jahr 2006 wäre medienmäßig ein annus horribilis gewesen.

Und jetzt scheint, wenn man Zeitung liest, Radio hört oder Fernsehen schaut, katholisch eine skurrile Lebens- und Denkform zu sein: schrill, intellektuell eher minderbemittelt, halsstarrig, und wenn es drauf ankommt fundamentalistisch. Katholisch ist der Satz, die staatliche Kinderkrippenpolitik degradiere Frauen zu "Gebärmaschinen"; der Augsburger Bischof Walter Mixa hat ihn gesagt. Katholisch ist die unglückliche Predigt des Kölner Kardinals Joachim Meisner, in der er sagte, eine Kultur "entarte", wenn sie von der Gottesverehrung abgekoppelt werde.

Der Skandal, das Außergewöhnliche

Katholisch ist die Halsstarrigkeit des Regensburger Bischofs Gerhard Ludwig Müller, der immer noch behauptet, es sei kein Fehler gewesen, einem löchrigen Gutachten zu folgen und einen wegen Kindesmissbrauchs vorbestraften Priester wieder in einer Gemeinde einzusetzen. Für die katholische Kirche steht zur Zeit sogar die ehemalige Nachrichtenvorleserin Eva Herman mit ihrem Gerede über Mütter und Kinder und Nazis und Autobahnen, weil sie vor dem Kongress "Freude am Glauben" geredet hat, einer konservativ-katholischen Veranstaltung.

Mixa und Meisner, Müller und Herman - sie sind ein Teil des katholischen Lebens, nicht mehr, nicht weniger. Ein kleiner Teil sogar, wenn man einmal nachzählt. Auch viele Bischöfe sind über Kardinal Meisners oder über Bischof Mixas Äußerungen nicht glücklich. Noch mehr rätseln mittlerweile, was wohl ihren Amtsbruder aus Regensburg treibt, der sich in so fürchterlichen Konflikten verrennt. Und erst recht ist Eva Herman nicht "die katholische Kirche".

Sie hat vor 1000 Menschen geredet, die haben ihr herzlich zugejubelt, was kein so großes Wunder ist: Der Kongress in Fulda sieht sich als Gegenveranstaltung zum Katholikentag, der den "Freude am Glauben"-Machern zu pluralistisch, kompromisslerisch und papstkritisch ist. Und er eint längst nicht alle Katholiken dieses Spektrums: Der hessische Wirtschaftsminister Alois Riehl (CDU), zutiefst seiner Kirche verbunden, wollte aus Protest gegen den Auftritt Hermans nicht mehr Schirmherr des Treffens sein.

Warum aber steht auf einmal der Rand für die Mitte, die Minderheit für die Mehrheit, die Sackgasse für den Weg? Zum Teil ist das ein Medienproblem. Der Skandal, das Außergewöhnliche, die Zuspitzung haben es bei den Journalisten leichter als die Differenzierung und der Zwischenton; und dass die katholische Kirche kulturkämpferisch und rückwärtsgewandt ist, wird manchmal stillschweigend vorausgesetzt.

Auf der nächsten Seite: Das Menetekel an der Wand sowie Zeitgeist und Mainstream.

Heilige Selbstgerechtigkeit

Kardinal Karl Lehmann, der Bischofskonferenzvorsitzende, hat zur Eröffnung der Herbstvollversammlung Ende September ein kluges Referat zum Stand der Ökumene gehalten. Sein Pech: Die Kollegen Müller und Meisner hatten das Terrain schon besetzt. Und der Fall der Nachrichtensprecherin, die, welch Missverständnis, sich zur Prophetin berufen fühlt, ist nichts als eine Mediengeschichte: Ein Moderator lässt sein kritisches Bewusstsein aufblitzen, indem er die Überforderte zur Talkshow-Hinrichtung führt. Großartig.

Aber zu einem noch viel größeren Teil ist das, was da zu beobachten ist, ein tiefes inneres Problem der katholischen Kirche. Nach Walter Mixas Gebärmaschinen-Satz fuhren die Bischöfe gemeinsam nach Israel, und dort erlebten sie einen Augsburger Amtsbruder, der überhaupt nicht zerknirscht oder zerzaust war angesichts des Sturms, der da über ihn hinweggebraust war.

Avantgarde der Kirche

Im Gegenteil, er war stolz: Ich muss so reden, sagte er den mitreisenden Journalisten, sonst hört uns Kirchenleute keiner. Hätte ich einfach nur gesagt, dass die Krippenpolitik der Regierung nicht familienfreundlich ist - keiner von euch hätte davon Notiz genommen. Jetzt sage ich "Gebärmaschinen", und schon reden alle über Kinderkrippen und über Eltern, die zu Hause bleiben und selbst ihre Kinder betreuen.

Ähnlich hat schon Kardinal Meisner argumentiert, angesprochen darauf, warum er die Abtreibungspille RU 486 in einem Atemzug mit Zyklon B, dem Mordgas der Nazis, genannt hat: "Manchmal muss man deutlich werden, wenn man sich um der Botschaft willen Gehör verschaffen will"; es sei Aufgabe der Kirche, "das Menetekel an die Wand zu malen". Und so sieht sich auch Bischof Müller in seinen Konflikten: Wer im Auftrag des Herrn unterwegs ist, darf dem Krach nicht um des lieben Friedens ausweichen.

"Besser es gibt Skandal, als dass die Wahrheit zu kurz kommt", sagte Papst Gregor der Große im 7. Jahrhundert. Einst war das die Parole der linken Kirchenreformer, jetzt haben sie sich die konservativen Revolutionäre in der Kirche angeeignet, so, wie auch die Befürworter der alten lateinischen Messe sich als Avantgarde der Kirche verstehen.

Das knappe Gut Sinn

Es ist ein paradoxes Bündnis zwischen dem Empörungspotential einer Öffentlichkeit, die auf alle Reize mit Allergieschock reagiert, die irgendwie mit den Nazis zu tun haben, und jenem katholischen Teil, der davon überzeugt ist, dass der Zeitgeist und Mainstream nichts mehr von Gott, Gottes Geboten und der Kirche wissen wollen. Dass es für diesen Kulturpessimismus so wenig objektiven Anlass gibt wie für den euphorisch vorgetragenen Irrtum, in der Ära des deutschen Papstes müsse die katholische Kirche einen langen und warmen Frühling erleben, ist dabei nicht entscheidend.

Entscheidend ist das Gefühl, in einem Kampf zu stehen, um Begriffe, um die Zukunft der Welt, die Zukunft des Christentums, der Kirche - gegen die Beliebigkeit und die Ausuferungen der Moderne, gegen den Atheismus, die östlichen Religionen und ganz besonders den Islam. Es ist zu einfach, diese Haltung als gestrig abzuqualifizieren, um sich nicht mehr mit ihr beschäftigen zu müssen. Sie ist konservativ in ihren Denk- und Ausdrucksweisen, sie ist in ihrer Struktur aber sehr modern, sie ist in weiterem Sinne eine Reaktion auf die Globalisierung.

Sie sagt: Wenn nicht mehr von Moral, sondern nur noch von Werten die Rede ist, die von einem bestimmten Preis an verhandelbar sind, wenn weltweit die Religionen um das knappe Gut Sinn konkurrieren, dann muss die katholische Kirche sich als scharf konturierte Gemeinschaft mit klaren Aussagen präsentieren, die die Gesetze der Medien zu nutzen weiß: Der schärfste Satz gewinnt. Differenzieren kann man hinterher.

Auf der nächsten Seite: Warum die Kirche nerven muss.

Heilige Selbstgerechtigkeit

Die katholischen Vertreter dieser Haltung können sich auf Joseph Ratzingers Predigt gegen die "Diktatur des Relativismus" berufen, gehalten im Petersdom am Tag vor seiner Wahl: "Einen klaren christlichen Glauben zu haben, gemäß dem Credo der Kirche, wird häufig als Fundamentalismus etikettiert. Dabei erscheint der Relativismus, das heißt das Sich-treiben-lassen hierhin und dorthin von jedwedem Wind der Lehre, als die einzige Haltung auf der Höhe der Zeit. Es bildet sich eine Diktatur des Relativismus heraus, die nichts als definitiv anerkennt und die als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Wünsche gelten lässt."

Man kann die Schärfe der Worte mildern, indem man zum Beispiel die Enzyklika Benedikts über die Liebe anführt oder seine Ansprache in Mariazell. Man kann aber auch den Papst so interpretieren: Erst in der klaren Absage an die Diktatur des Relativismus offenbart sich die Schönheit und die Liebeskraft dieses Glaubens. Die Amtsführung des Papstes lässt die milde und die scharfe Antwort zu - aber schon das macht ihn zu einem mächtigen Verbündeten jenes Teil der katholischen Kirche, deren Helden Meisner und Mixa, Müller und Herman heißen.

Antikapitalistische Pointe

Und deshalb gibt es auch keinen Aufstand gegen die öffentliche Dominanz des Rand- und Ausrutscherkatholischen: Die Bischöfe wollen den Papst nicht herausfordern und ihren Brüdern in Christo nicht aufs Hühnerauge treten, und überhaupt schimpft der gute Katholik zwar bei jeder Gelegenheit über seine Kirchenoberen und bestreitet ganze Pfarrgemeinde-Fastnachtssitzungen mit Papst- und Pfarrerwitzen, aber den Kirchenfeinden oder der hämischen Presse Munition liefern will er nun auch nicht.

Wer es doch macht, wie der herrlich starrsinnige Hans-Joachim Meyer, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, dem ist der Zorn jener gewiss, die in solchen Leuten nichts als Nestbeschmutzer sehen, kein Zufall, dass einer von ihnen Gerhard Ludwig Müller heißt und Bischof von Regensburg ist.

"Die Kirche nervt", hat die Wochenzeitung Die Zeit geschrieben. Sie muss ja auch nerven, die Kirche. Die Botschaft ihres Gründers ist nun einmal quer zu den Geistern der Zeit, und seit sie die Katakomben verließ, war sie immer dann am weitesten von Jesus Christus entfernt, wenn sie am wenigsten den Betrieb der Welt störte. Sie muss nerven, wenn beim Krippenausbau der Wunsch der Unternehmen nach einer möglichst kurzen Kinderpause ihrer Mitarbeiterinnen im Vordergrund steht und nicht die Qualität der Kinderbetreuung - diese wunderbare antikapitalistische Pointe Walter Mixas hat in der ganzen Aufregung keiner bemerkt.

Sie muss nerven, wenn es im reichen Deutschland 200 000 und mehr Abtreibungen gibt - würden die Kirchen sagen: ist egal, dann würde dem Land etwas fehlen. Sie muss stören, wenn im Namen des Fortschritts mit Leben experimentiert wird, die soziale Ungleichheit unerträglich und im Namen des Konsumenten der Sonntag zum Alltag wird.

Aber die Kirche nervt in der falschen Weise, wenn sie auftritt wie die Protagonisten der neuen Schärfe. Sie nervt nicht, weil sie Finger in Wunden legt oder den nackten Kaiser auch nackt nennt. Sie nervt, weil sie für die Zweifelsfälle des Lebens keinen Blick hat, weil sie selbstgerecht ist und wohl recht eigentlich die verlorengegangene Macht in der Politik und über den Alltag der Menschen zurückgewinnen will.

Damit verliert die katholische Kirche ihre Mitte. Sie redet nicht mehr von Gott, von Jesus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, der im Scheitern den Tod besiegte, der mit den Menschen litt und der bei der Hochzeit von Kanaa ausgelassen fressen und saufen konnte. Sie diskutiert über den rechten Gebrauch des Wortes "Gebärmaschinen", wann man zu was "entartet" sagen darf oder es wenigstens meinen kann und ob bischöfliche Handlungen im Bistum Regensburg per se den Status der Unfehlbarkeit haben. Sie macht den Rand zur Mitte, die politische Folgsamkeit zur Bekenntnisfrage, das Kirchenrecht zum Evangelium.

Es geht da nicht um Kleinigkeiten oder Stilfragen. Es geht um nicht weniger als um die Zukunft der katholischen Kirche, die, folgte sie der Logik der Abgrenzung, eine paradoxe Entwicklung nehmen würde.

Suchen und Tasten

Sie würde im Kampf gegen den Pluralismus und um ein Profil selber ein Segment in einer segmentierten Gesellschaft. Dieses Segment muss sie besetzen, pflegen und dann auch mit den anderen Segmenten auskommen, den Protestanten, Muslimen, Agnostikern, Atheisten. Das hat eine hohe innere Logik, und es sind eben nicht unbedingt die Dummen, die sagen: Lasst die ewigen internen Debatten um Sexualität und Zölibat sein, um Kirchenreform und Bischofsamt, lasst uns einfach nach innen fröhlich glauben und nach außen hin die Abgrenzung formulieren. Doch damit würde die katholische Kirche genau jene Zersplitterung und Beliebigkeit fördern, die sie ablehnt. Es wäre ein Leben auf den jeweiligen Inseln der Rechtgläubigkeit.

Vor allem aber würde sich das Christentum auf diese Weise entleeren - in den evangelischen Kirchen sind ja ähnliche Entwicklungen zu beobachten wie in der katholischen; auch dort drängen die Themen und die Selbstdefinitionen aus den evangelikalen und charismatisch-pfingstlerischen Minderheiten in die Mitte. In beiden Kirchen droht das Suchende und Tastende verlorenzugehen, der Zweifel, der Bruder des Glaubens, der sich durch die Geschichte der Kirchen zieht, von den Emmaus-Jüngern über Thomas, den Ungläubigen, bis hin zu Mutter Teresas Bekenntnis, am Schweigen Gottes beinahe verzweifelt zu sein. Wie dünn ist da der "Ich hab's gefunden"-Glaube, der den Abgrund nicht kennt!

Deshalb, liebe Katholiken, kämpft um die Mitte Eurer Kirche! Kämpft für einen Glauben, dem die Selbstgewissheit wenigstens so weit fehlt, dass er sich Wörter wie "Gebärmaschinen" und "entartet" verbietet, der den Satz sagen kann: "Uns im Bistum Regensburg ist ein schrecklicher Fehler passiert"; der Eva Herman nicht zur Heldin machen muss.

Sie ist es wert, Eure katholische Kirche. Die strenggütige Mutter, die so einiges mitgemacht hat im Leben, mit ihren Runzeln und Narben, ihren Rundungen und Schnörkeln, ihrem Duft nach Weihrauch und Wachs, eine Reliquie und ein Heiligenbild in der Tasche. Sie kennt das Versagen und hat den Beichtstuhl erfunden, sie seufzt über ihre unartigen Kinder - aber sie entlässt sie nicht aus der Kindschaft!

Helft mit, dass diese Kirche nicht von Schönheitschirurgen geliftet wird, auf dass ihre Züge scharf werden. Eure Mitchristen werden es Euch danken. Die anderen auch, die wissen, was so eine Kirche wert sein kann auf der Welt.

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