Katholiken im Nationalsozialismus:"Emotional gleichgeschaltet"

Bischof Nikolaus Bares, Nuntius Orsenigo und Bischof Augustin Pacha, 1934

"Emotional gleichgeschaltet": Bischof Nikolaus Bares, mit dem päpstlichen Nuntius Orsenigo und Bischof Augustin Pacha während einer Papstkrönungsfeier der Katholischen Aktion im Berliner Sportpalast, 1934

(Foto: SCHERL)

Vor 80 Jahren kapitulierte der deutsche Katholizismus: Zwar waren die christlichen Werte zu sentimental für den Männlichkeitswahn der Nationalsozialisten. Aber ihre rigide Moral kam vielen entgegen. Die Kirche bewahrte ihre Unabhängigkeit, schwieg aber meist zu Vernichtungskrieg und Völkermord.

Von Holger Arning

"Das müssen wir den Nationalsozialisten bestimmt zur Ehre anrechnen: ihre Opferbereitschaft bis zum Tode", schrieb Jakob Clemens, Generalsekretär des Katholischen Jungmännerverbandes, im März 1933. Sein 400.000 Mitglieder starker Verband war immer entschieden gegen Hitler aufgetreten. Jetzt pries Clemens im Kampf gegen die Nationalsozialisten ausgerechnet deren Heroismus als Vorbild: "Diese Bereitschaft zum Heldentum, ja zum blutigen Opfergang für Christus, muss in uns Priestern selbst und in den Herzen unserer Jungmänner wieder lebendig werden."

Doch der große, heroische Kampf blieb aus. "Es ist leider nicht zu verneinen, dass das katholische Volk sich, abgesehen von wenigen Ausnahmen, dem neuen Regime mit Enthusiasmus zugewandt hat", berichtete Cesare Orsenigo, Apostolischer Nuntius in Berlin, am 22. März nach Rom. Einen Tag später stimmte die Zentrumspartei dem Ermächtigungsgesetz zu, und am 28. März nahmen die deutschen Bischöfe frühere Verbote und Warnungen gegenüber dem Nationalsozialismus zurück. Der deutsche Katholizismus hatte kapituliert.

Die Historiker haben dafür zahlreiche Gründe ausgemacht: Hitlers Zugeständnisse an die Zentrumspartei, Angst vor der Gewalt der SA, das Schreckgespenst eines kommunistischen Umsturzes und die Hoffnung, die "Bewegung" mitgestalten zu können. Kaum in den Blick gerieten dagegen Themen wie die Sexualmoral oder Modelle von Familie und Geschlecht, obwohl diese eng mit Identitäten und Emotionen verbunden sind - und oft entscheidende Faktoren in politischen Kämpfen.

Die Fronten verliefen dabei 1933 nicht nur zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus, sondern auch zwischen vermeintlich modernen Jugendlichen und spießigen Alten, dekadenten Intellektuellen und bornierten Ungebildeten, verweichlichten Stadt- und rückständigen Landbewohnern. Das lässt sich vor allem an Diskussionen über Sittlichkeit und Männlichkeit zeigen.

Die deutschen Bischöfe hatten in der Zeit der Weimarer Republik vielfältige Gefahren für die Sittlichkeit gesehen und etwa die "perverse Propaganda für die Nacktkultur", körperbetonte Moden und freizügige Kunst energisch bekämpft. In ihren Augen drohte nicht nur die Degeneration der Gemeinschaft, sondern auch der Verlust des Seelenheils. Diese rigide Moral dürfte nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, Gläubige vom Klerus zu entfremden und empfänglicher für die nationalsozialistische Propaganda zu machen.

"Bekämpfung der ,Nacktkultur'"

Doch in seiner oft unbestimmten Vielgestaltigkeit warb der Nationalsozialismus zugleich um konservative Katholiken. In seiner Regierungserklärung am 23. März sprach Hitler auch von Sitte und Moral: Die nationale Regierung werde "eine durchgreifende moralische Sanierung an unserem Volkskörper" vornehmen; Theater, Film, Literatur, Presse und Rundfunk würden "als Mittel zu diesem Zwecke angesehen und demgemäß gewürdigt". Der Völkische Beobachter titelte "Endlich energische Bekämpfung von Schmutz und Schund" und "Bekämpfung der ,Nacktkultur'".

Das war für viele eine Drohung - für andere aber ein Versprechen, nicht zuletzt für führende Katholiken. Der Münsteraner Theologe Michael Schmaus stand nicht allein, als er 1933 von den Nationalsozialisten eine Verschärfung der Zensur erhoffte. Vorbehalte gegen die tolerante Elitenkultur linksintellektueller Großstädter waren gerade im ländlichen Katholizismus weit verbreitet. Opfer des Nationalsozialismus, die gegen die katholischen Sittlichkeitsvorstellungen verstießen, hatten daher wenig Hilfe von der Kirche zu erwarten.

Unvereinbar mit "deutscher Männlichkeit"

In ihrer Erklärung vom 28. März 1933 hielten die deutschen Bischöfe gleichwohl ausdrücklich an ihrer "Verurteilung bestimmter religiös-sittlicher Irrtümer" des Nationalsozialismus fest. Bald kam es wegen der Religions- und Moralvorstellungen der "Neuheiden" um Alfred Rosenberg und wegen der Zwangssterilisationen zu Konflikten. Doch Hitler hielt sich zurück. Das ließ nicht wenige Katholiken dem Irrglauben verfallen, sie könnten ausgerechnet ihn als Verbündeten gegen die "Neuheiden" gewinnen. Später sahen sich Konservative, die auf eine neue Konjunktur traditioneller Sittlichkeit hofften, bitter getäuscht - doch da war die nationalsozialistische Herrschaft bereits gefestigt.

Die Bedeutung des Männlichkeitskultes für den Nationalsozialismus ist unbestritten. Die von den Nationalsozialisten propagierte Männlichkeit gab ein ganzes Bündel an Mustern des Fühlens und Handelns vor: Aufrichtigkeit, Kameradschaft und Ehre, aber auch körperliche Ertüchtigung, Einordnung in die Gemeinschaft, bedingungslose Treue sowie Härte gegen sich selbst und andere. Für den Krieg waren Heldenmythen, die Sinn stifteten und Trost spendeten, unverzichtbar. Sie betrafen den Kern von Hitlers Programm.

Selbst das Christusbild blieb nicht unberührt

Dem politischen Gegner die Männlichkeit abzusprechen, war schon im 19. Jahrhundert eine beliebte Strategie in politischen Auseinandersetzungen. Die katholische Kirche galt ihren Gegnern als feminisiert, als unvereinbar mit "deutscher Männlichkeit". 1933 hielten sich die Nationalsozialisten jedoch gegenüber Katholiken - anders als gegenüber Juden - mit Gender-Klischees zurück. Den Vorwurf der Homosexualität nutzten sie erst im Sommer 1934 gezielt gegen die SA-Führung und 1936/37 gegen katholische Priester und Ordensangehörige. Katholische Publizisten erhoben ihn dagegen schon deutlich früher gegen Ernst Röhm.

Ungeachtet dessen waren die Nationalsozialisten in Sachen Männlichkeit in der Offensive. Am 25. März prahlte etwa Baldur von Schirach im Völkischen Beobachter: "Die Hitlerjugend hat einen neuen Typ geschaffen, den Jungen, der mit 12 Jahren für seine Idee sterben kann wie ein sturmerprobter Soldat der Front, den heroischen Typ." Dieser Kult der Härte diskreditierte das intensive (Mit-)Fühlen; christliche Werte wie andächtige Demut, duldsames Leiden und Nächstenliebe galten als "sentimental". Die Katholiken reagierten darauf ganz unterschiedlich. Gerade das mutige Eintreten für diese Werte, allem Spott zum Trotz, wurde als "Mannesmut zur Mannesfrömmigkeit" deklariert. Viele Katholiken betrieben außerdem eine semantische Mimikry, indem sie dem Altbewährten einfach das neue Etikett "heroisch" aufklebten. So wurden Familienväter und sanftmütige Heilige ebenso zu Helden erklärt wie Beethoven und Wagner.

Schwerer wog es, wenn Heilige verhärtet dargestellt wurden, oft als Vorbild für Kinder. Selbst das Christusbild blieb nicht unberührt, etwa wenn der Benediktinerpater Hugo Lang 1934 im größten Kirchenblatt des Bistums Münster verächtlich auf Zeiten zurückblickte, in denen man "aus dem Herrn einen gutherzigen, harmlosen, liebenswürdigen, naturseligen Schwärmer" gemacht habe.

Der neue Kult sprach die jüngere Generation an

Der Kult der kraftvollen, militaristischen Männlichkeit sprach besonders die jüngere Generation an. Die katholischen "Jungmänner" wendeten sich meistens deutlich gegen die Verherrlichung von Gewalt und Krieg, inszenierten sich aber gleichzeitig als "Frontsoldaten in der Armee Christi". Auch Begriffe wie Führer und Volksgemeinschaft griffen sie begierig auf. Energisch verwahrten sie sich gegen den Vorwurf, unmännlich oder - eng damit verknüpft - national unzuverlässig zu sein. Sie betonten, dass der Jenseitsglaube vielmehr dem Tod den Schrecken nehme und sie dazu befähige, für Volk und Vaterland das Leben zu opfern, warben also mit der Sozialisationsmacht der Kirche.

Mit Blick auf die Frage nach Macht und Widerstand war das ambivalent. Einerseits half es, die Jugendlichen in den katholischen Vereinen zu halten. Anderseits übernahmen diese viele problematische Vorgaben des militaristischen Heroismus. Bezeichnend für den Zwiespalt vieler Katholiken ist ein Rundbrief, den ein ehemaliges Mitglied des jugendbewegten "Bundes Neudeutschland" 1939 schrieb, zehn Tage nach dem Überfall auf Polen: Mit Hitlers Politik könne "kein Deutscher und ehrlich denkender Mensch einverstanden sein", hieß es. Doch dann folgte der Aufruf, jedes Opfer zu bringen, das "Volk und Reich" forderten. "Reift in dieser harten Zeit zu Männern, die Soldaten werden, hart wie Stahl und gut wie ein Kind, ritterlich wie die Zeit unserer Ahnen."

Die katholische Kirche bewahrte im "Dritten Reich" alternative Werte und ihre Unabhängigkeit. Die Katholiken, die ein Drittel der deutschen Bevölkerung stellten, wirkten Vernichtungskrieg und Völkermord aber nicht entscheidend entgegen. Das mag zu einem großen Teil auf Zwänge zurückzuführen sein, doch viele ließen sich auch "emotional gleichschalten". Ihren Dissens in Teilbereichen und vermeintliche Defizite kompensierten sie, indem sie umso eifriger ihre Opferbereitschaft für Volk und Vaterland demonstrierten. Die Hoffnung auf eine Renaissance traditioneller Sittlichkeit und die Angst, nicht als deutsche Männer anerkannt zu werden, spielten dabei eine entscheidende Rolle.

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Der Autor arbeitet am Seminar für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte der Uni Münster. Das Verhältnis von Katholizismus und Nationalsozialismus zählt zu seinen Forschungsschwerpunkten.

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