Süddeutsche Zeitung

Debatte um Kathleen Stock:"Absolut entsetzt"

Der Rücktritt der Philosophie-Professorin Kathleen Stock beschäftigt jetzt sogar das britische Parlament.

Von Michael Neudecker, London

Vier Tage nach ihrem Rücktritt hat der Fall Kathleen Stock auch das britische Unterhaus erreicht. Die Philosophie-Professorin der Universität Sussex war am Donnerstagabend zurückgetreten, nachdem Studenten in den Wochen zuvor immer wieder ihren Rauswurf gefordert hatten. Grund: Stocks Position in Transgender-Fragen.

Während der Fragerunde im House of Commons am Montag wollte deshalb nun die konservative Abgeordnete Angela Richardson vom Erziehungsministerium wissen, was die Regierung denn dafür tue, dass die freie Rede an Universitäten geschützt werde. Schließlich sei es doch bestürzend, dass Kathleen Stock zurückgetreten sei. Worauf die zuständige Staatssekretärin Michelle Donelan, ebenfalls von den Konservativen, antwortete, sie wolle dies "für die Aufzeichnungen festhalten": Sie sei "absolut entsetzt" über die ganze Angelegenheit. Was Professor Stock widerfahren sei, sei "nicht tolerierbar". Auch andere Abgeordnete zeigten sich besorgt von der Entwicklung, die zu Stocks Rücktritt führte.

Stock vertritt die Ansicht, es solle nicht leichter gemacht werden, den Geschlechtseintrag zu ändern

Kathleen Stock, eine 49-jährige Philosophin, ist im Vereinigten Königreich seit einigen Jahren als gender-kritische Feministin bekannt. Im Jahr 2020 ist sie selbst im Unterhaus vor dem Komitee für Frauen und Gleichstellung aufgetreten, als es um die Reform des "Gender Recognition Act" ging, eines Gesetzestextes zur Frage der Geschlechterfeststellung. Sie vertritt die Ansicht, es solle Menschen nicht leichter gemacht werden, ihren Geschlechtseintrag zu ändern, da man Geschlechter-Identität nicht über das Geschlecht in biologischem und juristischem Sinne stellen könne.

Seit Mai 2021 ist sie zudem im Kuratorium der LGB Alliance, einer umstrittenen Gruppe, die sich für Homosexuellen-Rechte einsetzt und gegen geschlechtliche Selbstidentifikation. Vor kurzem veröffentlichte Stock ihr Buch "Material Girls", in dem sie unter anderem ihre Sichtweise zur Transgender-Thematik darlegt.

Bereits im Januar, als sie für ihre "Verdienste in der Höheren Bildung" den wichtigen "Order of the British Empire" (OBE) verliehen bekam, veröffentlichten mehr als 700 britische Philosophen einen offenen Protestbrief. Vor ein paar Wochen wurde an der Universität Sussex, die im Bezirk Brighton and Hove liegt, eine Kampagne gestartet, die forderte, Stock zu entlassen. Es gab Demonstrationen, auf denen "Stock out"-Plakate hochgehalten wurden.

Stock schrieb auf Twitter, sie und ihre Familie hätten eine "schreckliche Zeit" durchgemacht

Die Universität verteidigte Stock stets. Am Donnerstagabend vergangener Woche verschickte der Vizekanzler dann eine Mail an alle Studierenden, in der er mitteilte, Stock habe ihren Rücktritt eingereicht, die Universität bedauere dies sehr. Stock selbst schrieb auf Twitter, sie und ihre Familie hätten eine "schreckliche Zeit" durchgemacht, die sie nun hinter sich lassen wolle.

Die Studentinnen und Studenten in Brighton, die ihren Rauswurf gefordert hatten, registrierten mit Enttäuschung, dass die Uni in ihrer Erklärung nicht auf die Sichtweise der Transgender-Bewegung eingehe. Die Proteste seien außerdem stets friedlich verlaufen, sagte ein Student der Times. Das Ergebnis, dass Stock nun zurückgetreten ist, sei aber erfreulich.

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