Katharina Wagner über Bayreuth:Mit rasantem Elan

Regisseurin Katharina Wagner kommt zur Sache: über Reaktionäre, wahre Künstler, Peter Konwitschny, Werktreue - und ihre Ambitionen, Festspielleiterin zu werden.

Reinhard Brembeck

Plötzlich dröhnt eine dunkle und tiefe Stimme durch den kleinen Raum neben Bayreuths Pressebüro. Katharina Wagner, den Raum mühelos mit einem enormen Selbstbewusstsein überfüllend, kommt schnell, direkt, deutlich zur Sache. "Ich habe keinen Lieblingswitz", schmettert sie gleich die erste Frage ab. Um sich dann mit rasantem Elan und einem gelegentlich hellen Kichern, das im auffallenden Kontrast zu ihrer Stimme steht, über ihr Konzept zu den szenisch nur schwer zu realisierenden "Meistersingern" auszulassen. Richard Wagner bietet da eine Alltagsgeschichte im Dunstkreis kunstsinniger Handwerker. Goldschmied Pogner setzt Tochter Eva als Preis für einen Gesangswettbewerb aus, drei Männer kommen in die engere Wahl: der skurrile Beckmesser, der Sunnyboy und Überflieger Walther von Stolzing sowie der in die Jahre gekommene Strippenzieher und Spielmacher Hans Sachs. Mit diesem Personal treibt Wagner Gesellschaftsanalyse, untersucht, wie viel an Neuerung und Abweichung eine Gemeinschaft aushält, wie sie mit Tradition und Innovation umgeht, was ihr die Kunst wert ist.

Katharina Wagner über Bayreuth: Katharina Wagner

Katharina Wagner

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Was ist musikalisch das Besondere in den "Meistersingern"?

Katharina Wagner: Für meine Interpretation finde ich besonders wichtig, dass Wagner sich im dritten Akt musikalisch überhaupt nicht entwickelt. Dass er im ersten Akt extrem innovativ ist und im dritten sich extrem an einen Mainstreamgeschmack anpasst.

SZ: Was ist das Innovative?

Wagner: Wenn Beckmesser "Fanget an!" singt, und Stolzing auch "Fanget an!" singt, das also gleich aufnimmt. Das ist ein moderner Kunstbegriff: aufnehmen und weiterverwerten. Das ist schon extrem innovativ. Der erste Akt ist auch gar nicht so C-Dur-lastig. Das ist bei dieser Oper ja immer so eine Sache: Sobald es wieder C-Dur wird, kommt alles in sehr geordnete Bahnen.

SZ: Ist das reaktionär?

Wagner: Oh, der dritte Akt ist extrem reaktionär, gerade Sachs ist da extrem reaktionär. Wenn er im Wahn-Monolog sagt, "mein liebes Nüremberg!", mit der Musik, die darunterliegt, da war für mich intuitiv klar, dass er sich musikalisch nach etwas sehnt, was er so nie vertreten hat. Klar, die Entwicklung von Sachs wird immer reaktionärer im Verlauf des dritten Akts, vor allem in der Schlussansprache.

SZ: Warum wird er so reaktionär? Im ersten Akt...

Wagner: ... ist er liberal. Aber in der Prügelszene des zweiten Akts passiert etwas, das auch einen anarchischen Moment besitzt. Wirklich weise Leute würden dann sagen: ,Okay, ich gehe jetzt zwei Schritte zurück und bleibe trotzdem liberal.' Aber wenn ich sehe, wie sich der Sachs im dritten Akt ausbaut, dann konnte er mit diesem anarchischen Moment eben nicht umgehen, und fordert nun Dinge ein, die nicht einmal im ersten Akt so krass reglementiert waren.

SZ: Sachs geht hinter den auf Tradition erpichten Beckmesser zurück?

Wagner: Oh, ja! Aber Beckmesser ist bei mir auch ein bisschen anders. Ich sehe Beckmesser als Person, die sich durch die Prügelszene entwickelt, die ihre eigene Kreativität entdeckt.

SZ: Weshalb Beckmesser dann Walthers Preislied anders singt als dieser?

Wagner: Ich gehe davon aus, dass Walther und Beckmesser im dritten Akt dieselbe Vorlage grundverschieden interpretieren. Beckmesser versingt sich nicht, sondern er interpretiert sie komplett anders als Walter.

SZ: Er hat damit aber gesellschaftlich keine Chance.

Wagner: Natürlich nicht. Aber das Phänomen kennen wir ja.

SZ: Woher?

Wagner: Von vielen Künstlern, die ihre Kunst aus Idealismus heraus betreiben, aus einem wirklichen Müssen heraus, und sich gesellschaftlich damit nicht etablieren. Nur wenn sie ihre Ideale über den Haufen werfen und den Mainstream bedienen, haben sie eine Chance.

SZ: Im ersten Akt werden langwierig unzählige Regeln erklärt, die man beachten muss, um ein gutes Lied zu machen.

Wagner: Es gibt immer Leute, auch heute, die eine gewisse Auffassung von Kunst haben und auch, dass sie so sein müsse. Diese Regeln zerfallen in der Prügelszene. Durch Walther kam da etwas rein, das nach und nach diesen Regelkanon auflöst. Wir haben in unserer Gesellschaft immer wieder Leute, die nach Werktreue schreien, die sagen: Warum machen Sie's nicht so, wie's in der Partitur steht, und damit die Regiebemerkungen meinen - das sind genau die Vertreter dieser scheinbaren Regelhaftigkeit.

SZ: Wie viel steht denn im Klavierauszug? Der Text ist fixiert, die Noten stehen auch da, doch wie man sie spielt, ist nicht so klar. Die Regieanweisungen aber sind das Kärgste in einer Partitur.

Wagner: Das hat auf einer Probe zu einem großen Lacher geführt, als der musikalische Assistent eine Regieanweisung vorlas und dazu sagte: ,Ich les die nie.' Mach ich auch nicht.

SZ: Konwitschny hat in seiner Stuttgarter "Götterdämmerung" die Regieanweisungen zum Finale auf den eisernen Vorhang projiziert.

Wagner: Diese Regieanweisungen sind zu einer Zeit entstanden, als es nur Gasbeleuchtung gab, nur Schiebkulissen und so fort. Kein Mensch weiß, wie diese technischen Anweisungen Wagners heute ausfallen würden, wo es Versenkungen gibt und an jeder beliebigen Stelle einen Scheinwerfer. Regieanweisungen hängen sehr von technischen Stand der Entwicklungen ab.

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Mit rasantem Elan

SZ: Das gilt ja auch für Instrumente und Gesangstechnik. Da sind wir heute ganz woanders als Wagner zu seiner Zeit.

Wagner: Klar. Deshalb ist der Begriff Werktreue irgendwo ein Schwachsinn.

SZ: Hat Werktreue für Sie überhaupt keinen Sinn?

Wagner: Doch schon. Es ist die Frage, was man unter Werktreue versteht.

SZ: Was verstehen Sie darunter?

Wagner: Für mich bedeutet Werktreue, mich intensiv mit dem Werk auseinanderzusetzen und dadurch die Interpretation hervorzubringen.

SZ: Es gibt doch sicher in den "Meistersingern" Passagen, mit denen Sie nichts anfangen können.

Wagner: Mmmh. (Sie überlegt.) Es gibt Dinge, wo ich jetzt froh bin, dass ich Sänger habe, die das tragen. Die Sachs-Beckmesser-Szenen sind einfach extrem schwer zu inszenieren. Besonders die im zweiten Akt ist verdammt lang.

SZ: Ist das nur die Länge?

Wagner: Es ist die Länge und auch die Musik, die nicht sonderlich eingängig ist für Zuhörer. Dadurch wird diese Szene besonders schwer. Weil sie nicht besonders schön ist - eben Beckmesser-Musik.

SZ: Wie ist das mit den poetologischen Einlassungen im ersten Akt?

Wagner: Natürlich ist das in gewisser Weise politisch. Weil wenn ich mich krampfhaft an ein Regelwerk halte, bin ich politisch. Bloß in dem Fall ist das nicht politisch im herkömmlichen Sinn, sondern es ist politisch in dem Sinn von: Ich hab ein gewisses Kunstverständnis.

SZ: Das heißt konkret?!

Wagner: Jemand der extrem konservativ ist, wählt nicht die Linkspartei.

SZ: Das heißt, dass das Stück ein extrem pessimistisches Ende hat, dass ein Abgleich zwischen Innovation und Tradition nicht möglich ist.

Wagner: Nein, ein Abgleich ist nicht möglich. Aber zumindest, dass beides nebeneinander gleichwertig existiert. Es ist natürlich ein pessimistisches Ende. Der Mainstream-Geschmack, der sich durchsetzt und alle leicht befriedigt, und dann ist alles schön und gut -

SZ: - was Beckmesser Sachs auch vorwirft.

Wagner: Natürlich. Und der Beckmesser macht bei mir auf der Festwiese auch ernsthafte Kunst. Das ist eine andere Kunst, Performance-Kunst - und das kommt nicht an.

SZ: Er ist der Stockhausen der Wagner-Zeit.

Wagner: Wenn man so will. Das kommt, wenn das auch noch so ernst gemeint ist, beim Publikum nicht an.

SZ: Sie erwähnten das große Duett zwischen Beckmesser und Sachs - wäre es da nicht hilfreich, wenn man auch in Bayreuth übertiteln würde?

Wagner: Ich gehe davon aus, dass Leute, die so stetig wie in Bayreuth eine Karte bestellen, das Werk wirklich gut kennen. Insofern erwarte ich eine höhere Transferleistung vom Publikum. Das Konzept ist ja für Bayreuth gemacht. So ein Konzept könnte man für ein Stadttheater nicht machen, weil man die Werkkenntnis nicht voraussetzen könnte.

SZ: Was machen Sie hier anders?

Wagner: Der Grat zwischen Konkretheit und Beliebigkeit ist leider haarfein. Und das ist das Schwierigste beim Regieführen, zumindest für mich. Zu sagen: Ich erschlage den Zuschauer mit einem Zeichen, oder es wird so abstrakt, dass es beliebig wird. Das wurde mir immer vorgeworfen in Kritiken, zu Recht, dass ich immer zu konkret bin, aus einer Angst heraus, zu beliebig zu sein. Hier habe ich zumindest versucht, daraus meine Schlussfolgerungen zu ziehen und einen gewissen Grat von Konkretheit wegzulassen.

SZ: Konwitschny hat in Hamburg seine "Meistersinger" bei der Schlussansprache von Sachs unterbrochen.

Wagner: Das fand ich dramaturgisch eine super Idee, ich hätte sie szenisch nur anders umgesetzt.

SZ: Besser?

Wagner: Es geht gar nicht um besser. Es ist eine ganz andere Richtung, wie ich das Stück sehe. Man muss es ja nicht reaktionär sehen. Man kann auch sagen: Was da aufgeladen wurde in der Schlussansprache, was wir heute darauf projizieren, ist nicht zu Wagners Zeit entstanden, sondern kommt durch die Rezeptionsgeschichte und die politischen Umstände. Wenn Sachs eine ,heil'ge deutsche Kunst' fordert, kann ich die Rezeptionsgeschichte nicht außen vor lassen, gerade in Bayreuth nicht. Wenn jemand hier auf der Bühne steht und die ,heil'ge deutsche Kunst' fordert, muss ich sagen: Da gab es schon mal einen. Das ist ein ziemlich übles Thema, was Bayreuth angeht. Für mich gibt es die ,heil'ge deutsche Kunst' heute nicht mehr, und für mich gab es sie auch damals nicht.

SZ: Was ist der Reiz, hier Festspielchefin zu werden?

Wagner: Ich glaube, dass man Bayreuth dahin führen soll, dass es Vorreiter in der Wagnerinterpretation wird. Dass es neue Interpretationsanstöße gibt. Es geht, plump gesagt, nicht nur darum, etwas zu bewahren, sondern auch darum, es zu entwickeln. Und ich glaube, dass noch Entwicklungspotential da ist. Klar, irgendwann einmal ist das aufgebraucht. Chéreau, Heiner Müller, Schlingensief - das sind Sachen, die so noch nie auf einer Opernbühne standen. Das kann man mögen oder nicht, aber es ist innovativ, solche Experimente zu wagen. Und Bayreuth kann Experimente wagen.

SZ: Haben Sie Ihr Festspielkonzept schon eingereicht?

Wagner: Nö. Das ist im Kopf. Es ist teilweise verschriftlicht. Aber es gibt ja auch gar kein Verfahren. Wieso also sollte ich im Moment etwas einreichen?

SZ: Was machen Sie, wenn Sie nicht Bayreuther Festspielchefin werden?

Wagner: Dann inszeniere ich weiter.

SZ: Gibt's schon etwas Neues?

Wagner: "Rienzi" in Bremen, mit der Deutschen Oper Berlin verhandele ich.

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