Kate Bush:Die Luftakrobatin

Nach 12 Jahren meldet sich die britische Sängerin mit einem großartigen Album zurück. Mit "Aerial" zeigt sie sich im Vollbesitz ihrer Kräfte oder, wie man so sagt: auf der Höhe ihrer Kunst.

Plattenfirmen hüten Musik heute wie Kronjuwelen. Manchmal bekommt man sogar den Eindruck, es handle sich um Giftgas. Unter Sicherheitsvorkehrungen werden "listening sessions" abgehalten, das heißt: Journalisten dürfen, nachdem sie ihre Handys abgegeben und sich einer Leibesvisitation unterzogen haben, einzeln und unter Aufsicht ein Album vor der Veröffentlichung hören. In diesem konkreten Fall schien das Prozedere ganz und gar unwürdig: "Aerial", das seit 12 Jahren mit Hoffen und Bangen erwartete Kate-Bush-Album, will man wirklich nicht alleine hören, unter den strengen Blicken eines Wachmanns.

Kate-Bush-Lieder wollen in die Welt hinaus getragen werden. Gerade weil sie die größte Eremitin des Showgeschäfts ist. So gesehen steht Kate Bush in einer Reihe mit berühmten Einiglern wie Salinger, Pynchon oder auch den Herren von Pink Floyd - letzteren hat sie ohnehin und ganz offensichtlich mehr zu verdanken, als man sich vorstellen kann.

Seit ihrem letzten Album "The Red Shoes" 1993 tat die Mysteriöse fast alles, um in Abgeschiedenheit zu leben. Gerüchte besagten, sie sei dick geworden und verrückt. Dass sie einen Sohn zur Welt gebracht hatte, erfuhren sogar die britischen Pitbull-Journalisten erst Monate später. Genaueres über Kate Bush wusste beinahe niemand - bis auf wenige Auserwählte, die vor drei Jahren einem Konzertabend des Pink-Floyd-Gitarristen und Kate-Bush-Entdeckers David Gilmour in London beiwohnten. Denn auf die Bühne der Royal Festival Hall an der Themse ging, nein schwebte sie plötzlich selbst. Nicht dick. Offenbar auch nicht verrückt. Die beiden sangen eine umwerfend schöne Version von "Comfortably numb", dann schwebte sie wieder von dannen. Ein Dankeschön für Gilmour war das, der seine Schülerin mit väterlichem Lächeln und Küsschen begrüßte und verabschiedete. Ein Auftritt, den Zeugen als magisch und nahezu irreal beschreiben.

Kate Bushs Sohn heißt übrigens Albert ("Bertie") und ist inzwischen sieben Jahre alt. Ihm ist eines der ungewöhnlichsten Lieder auf "Aerial" gewidmet. "Here comes the sunshine / here comes that son of mine", frohlockt die Mutter, dazu spielen Streicher und Gitarre zu einer Art Paartanz auf, der barocke Bilder von wippenden Perücken, puderbedeckten Gesichtern und knicksenden Kavalieren im höfischen Reigen evoziert, Musik wie aus Kubricks "Barry Lyndon" ist das. Die Kehrseite des Bush'schen Mutterglücks findet sich in "A coral room", einem Requiem für ihre 1993 gestorbene Mutter. Kate Bush allein am Klavier, in Zwiesprache mit der Toten, versunken in die Betrachtung eines Krugs, der einst ihr gehörte und jetzt zerbrochen ist, und aus dem plötzlich eine Spinne krabbelt. Die Mutter wird lebendig in der Imagination, steht plötzlich wieder in der Küche und lacht: "Ho ho ho hee hee hee."

"Mrs Bartolozzi" hingegen ist ein fast schon experimentaljazziger Versuch über häusliche Pflichten mit dem repetitiven Refrain "Washing machine, washing machine, washing machine". Lautmalerisch wird gar der Waschvorgang beschworen! "Slooshy sloshy slooshy sloshy"! Kurios, denkt man zunächst, und es beschleicht einen der Verdacht: Hat sich Hape "Hurz" Kerkeling aufs Album geschmuggelt? Dann begreift man, dass es auch hier um Verlebendigung geht: "I think I see you standing outside, but it's just your shirt, hanging on the washing line". Mit einer Stimme, die auch nach 47 Jahren immer noch so klingt, als habe ein frühreifes Mädchen zu viel Helium inhaliert, haucht Kate Bush noch den obskursten Gegenständen Leben ein.

Babygebrabbel

Waschmaschine, Mutterschaft, höfischer Reigen - spätestens jetzt legt wohl jeder halbwegs vernünftige Mensch die Stirn in Falten. Und würde man weiter erzählen, dass auf "Aerial" auch Vogelstimmen, Babygebrabbel sowie ein Didgeridoo zu hören sind, griffe sich auch der Nachsichtigste an den Kopf. Zugegeben: Das alles mag, wenn man es in Worte fasst, ein bisschen wie Musik für Menschen klingen, die sich für den Erhalt von Delphinen einsetzen. Damit also kein falscher Eindruck aufkommt, sagen wir es jetzt mal so: Kate Bushs neue CD "Aerial" ist überwältigend schön. Sie ist monumental und bleibt dabei grazil. Man möchte sich verbeugen vor der Frau, die sich mit dieser in Eleganz eingebetteten und auch humorbegabten Experimentierfreude ihrerseits nochmal hörbar vor Gilmour und den Geräuschartisten von Pink Floyd verbeugt.

"A Sea of Honey", der erste Teil des Doppelalbums, handelt, grob gesagt, vom Wasser und Teil zwei, "A Sky of Honey" von der Luft. Ein ätherisches und gleichzeitig ozeanisches Album also. Wuchtig, dabei lose gefügt, federleicht.

Teil zwei ist die Vertonung einer Nacht, angefangen vom Spätnachmittag, wenn die Dämmerung einsetzt, bis zu den ersten Sonnenstrahlen am Morgen. Ein flamboyantes Naturhörspiel, ein Trip durch Zeit und Raum. Es beginnt mit Vogelgezwitscher und damit, dass Bertie, an "Mummy" und "Daddy" gerichtet, sagt: "The day is full of birds / sounds like they're saying words". Am Ende schließt sich der Kreis, wenn sie singt: "What kind of language is this /Ican't hear a word you're saying."

Die Überspanntheit, die Kate Bush in einigen ihrer früheren Songs wie "Breathing" oder "Feel it" manchmal arg internatsmädchenhaft und demonstrativ ausdrucksstark artikulierte, ist großer Ruhe und Souveränität gewichen.

"Aerial" zeigt eine Musikerin im Vollbesitz ihrer Kräfte oder, wie man so sagt: auf der Höhe ihrer Kunst. Doch von den "Wuthering Heights" des Jahres 1978 spannt sich doch ein unsichtbarer Bogen bis zu "Aerial". Es ist ein Album über die Kraft der Elemente, die Macht der Natur, archaisch, voller Anrufungsformeln und Zaubersprüche. "Aerial" bedeutet "ätherisch". Aber auch "Antenne". Und "Aerialist" ist das englische Wort für Luftakrobat.

Aber Kate Bushs Motto ist nicht: Zurück zur Natur. (Wer so eindringlich über eine Waschmaschine singt, der weiß, was die Stunde geschlagen hat!) Und so mischen sich am Ende die Vogelstimmen mit Bushs elektronisch verfremdeter Stimme, einem sich überschlagenden Hexen-Lachen, ein Bass pulsiert, ein Disco-Beat pumpt. Bush meets Donna Summer: "All of the birds are laughing / come on let's all join in." Natur und Technik sind versöhnt, Gott ist in allem oder in den Worten von Björk, der ungleich anstrengenderen Bush-Epigonin: "All is full of love."

Ein unerhörtes Comeback nach zwölf Jahren. Zwölf Jahre? Comeback?

"Ich habe an keinem Lied mehr als zwei oder drei Stunden geschrieben", erzählte Kate Bush dem Spiegel, "nur die Produktion war etwas langwierig". So lässig spricht nur jemand, der fünf Minuten zu spät zum Fünf-Uhr-Tee kommt: Sorry, Leute, hat ein bisschen länger gedauert. Macht nichts, Kate! Das Stövchen ist noch warm.

Dürfen wir mal kurz pathetisch werden? Okay, los geht's: Wer dieses Album besitzt, braucht erstmal kein anderes mehr.

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