Süddeutsche Zeitung

Katastrophen in den USA:Eifriger Dilettantismus

Erst der 11. September, dann Katrina, später die Finanzkrise, jetzt die Ölpest: An ihren Katastrophen zeigen die USA, wie hilflos ihre Gesellschaft seit Jahren ist.

Jörg Häntzschel

Seit zwei Wochen schaltet BP täglich Anzeigen in den amerikanischen Tageszeitungen. "Wir werden es schaffen. Wir werden das reparieren", steht dort. Über den ungelenken Sätzen ist das Foto eines Kahns zu sehen, von dem aus Arbeiter PVC-Schlangen ins Wasser legen, die das Schilf vor dem Öl schützen sollen. Es ist ein so simpler wie effektiver Versuch, von dem Eigentlichen abzulenken: dem Verschließen des Bohrlochs. Um auch das zu schaffen, so gab am Donnerstag BP-Chef Tony Hayward endlich zu, fehlten dem Konzern "unzweifelhaft die Werkzeuge, die man in seinem Handwerkskasten bräuchte".

Haywards spätes Eingeständnis markiert eine Zäsur in der Debatte um die größte Umweltkatastrophe der amerikanischen Geschichte. Noch während die von BP anfangs angegebene Menge des ausströmenden Öls um das Zwölf- bis Zwanzigfache nach oben korrigiert wurde, während Kungelei zwischen den Ölfirmen und der zuständigen Behörde im Innenministerium ans Licht kam und Belege dafür auftauchten, dass BP lange vor der Explosion von den Problemen der Deepwater Horizon wusste; während all die Versuche, das Loch zu schließen, scheiterten, zweifelten die wenigsten daran, dass man mit der Technologie, die es erlaubt, so tief im Meer nach Öl zu bohren, auch in der Lage sein müsste, das Loch zu verstopfen. "Wir werden es schaffen!" Es ist das alte Mantra amerikanischer Omnipotenz.

Echte und falsche Experten, Hobbyphysiker und Spinner fachsimpelten auf allen Kanälen wie Oldtimerfreunde beim Jahrestreffen. Tausende sind dem Aufruf von BP und der Nationalgarde gefolgt und haben auf einer Website ihre Ideen eingereicht. Einer schlug einen "gigantischen Duschvorhang" vor, ein anderer empfahl Katzenstreu zum Aufsaugen. Die Gewiefteren gehen gleich ins Fernsehen. Kevin Costner, der seine Karriere mit dem Film "Waterworld" versenkte, hat BP eine von ihm für 24 Millionen Dollar entwickelte Zentrifuge überlassen, die angeblich 99 Prozent des Öl aufsaugen soll.

"Avatar"-Regisseur James Cameron rief in Washington Wissenschaftler, Regierungsoffizielle und den russischen U-Boot-Kapitän Anatoly Sagalevich, mit dem er seine Tauchfahrten zum "Titanic"-Wrack unternommen hatte, zu einem Brainstorming zusammen, nicht ohne zuvor die offiziellen Verantwortlichen zu disqualifizieren: "Diese Idioten haben keine Ahnung". Der "Energieexperte" Matt Simmons schlug sogar vor, das Loch mit einer Atombombenexplosion zu "versiegeln". Obwohl ein Regierungssprecher diese Idee als "verrückt" bezeichnete, wird sie weiter diskutiert.

Man kann nur hoffen, dass BP sehr bald eine bessere Lösung einfällt. Doch nicht nur die unbeherrschte Katastrophe selbst, auch die erbärmliche Ideenbörse spricht Bände über den Zustand Amerikas. Das Land, das Europa von Hitler befreite, die Atombombe entwickelte und Menschen auf den Mond schickte, ist so hilflos, dass es auf den Rat genialer Dilettanten hofft. Doch spätestens seit dem Scheitern des "Top Kill" sinkt die Hoffnung auf Erlösung durch Technologie, und ein größeres Muster wird deutlicher: Dem Land, das früher alles konnte, will seit Jahren immer weniger gelingen. Bob Herbert von der Times schreibt: "Als Nation, die nicht aufhören kann, damit anzugeben, wie großartig und mächtig sie ist, sind wir schockierend hilflos darin geworden, mit den Herausforderungen umzugehen, die sich uns stellen."

Risiken? Ach, Unsinn.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit: Amerikas Katastrophen fallen nicht vom Himmel, das Land richtet sie selbst an: Die Serie begann mit dem 11. September, den ein aufmerksamer Geheimdienst hätte verhindern können. Dann kamen die zwei längsten Kriege der US-Geschichte, die man mit fragwürdigen bis erlogenen Argumenten begann und nun weder zu gewinnen noch zu beenden weiß. Auch Katrina war so ein Fall: Schlamperei ließ die Deiche brechen, Zynismus und Unfähigkeit machten die Rettungsmaßnahmen zur Katastrophe nach der Katastrophe. Schließlich kam die Finanzkrise, die nicht nur ein Produkt der Gier war, sondern auch eines der mangelnden Kontrolle dieser Gier. Und dann explodierte die Deepwater Horizon, 18 Tage nachdem Obama erklärt hatte: "Bohrplattformen verursachen heute normalerweise keine Verschmutzung. Sie sind technologisch sehr fortgeschritten."

Der Journalist David Leonhardt erklärt die eine wie die andere Katastrophe mit der beim Menschen nicht sehr stark ausgeprägten Fähigkeit, Risiken richtig einzuschätzen - und sieht dasselbe Muster bei der Diskussion um den Klimawandel im Spiel. "Wenn ein Ereignis schwer vorstellbar ist, unterschätzen wir die Wahrscheinlichkeit seines Eintreffens." Statt als Korrektiv zu wirken, habe der Staat BP mit seinen laxen Haftungsregeln noch dazu ermuntert.

Doch es geht um mehr als nur um Psychologie. Selbst der konservative Kommentator David Brooks von der Times schreibt, die unkontrollierte Ölpest könne zum Symbol für "die Unfähigkeit des Landes werden, sich selbst zu regieren." Obama formulierte es bei Larry King pragmatischer: "Jemand hat hier die Konsequenzen seines Handelns nicht durchdacht." Leider ist das seit Jahren Amerikas vorherrschender modus operandi.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.954143
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 05.06.2010/kar
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.