Süddeutsche Zeitung

Karl-Otto Apel:Bestreiten heißt anerkennen

Der Philosoph der "Letztbegründung" und Weggefährte von Jürgen Habermas ist gestorben.

Von Detlef Horster

Über den jungen Assistenten Karl-Otto Apel, den er 1950 in Bonn kennenlernte, hat Jürgen Habermas, der nach eigenem Bekunden viel von ihm gelernt hat, erzählt: Apel erzeugte mit "kräftigem Ruderschlag" und "atemlosem Engagement" bei den Studenten einen "leichten Schwindel" mit seinen "kühnen, mitreißenden Gedankenzügen, ohne auf die Bremsversuche zu achten, die ein anderer, pädagogisch rücksichtsvoll operierender Assistent" vergeblich ab und zu einschaltete. So kannte man Apel von Tagungen und Kongressen. Energiegeladen ergriff er das Mikrofon und begann mit immer demselben Satz: "Indem Sie mir jetzt widersprochen haben, Herr Kollege, haben Sie die Richtigkeit meiner Theorie bewiesen." Was war das für eine Philosophie, deren Richtigkeit ihre Gegner durch Widerspruch bestätigten?

1973 publizierte der 1922 in Düsseldorf geborene Karl-Otto Apel sein Werk "Transformation der Philosophie", in dem er die Theorie niederschrieb, die er für unwiderleglich hielt und die ihn berühmt machen sollte. Apel, der von 1972 bis zur Emeritierung 1990 in Frankfurt am Main lehrte, las die mittelalterlichen Philosophen im lateinischen Original und habilitierte sich mit der Studie "Die Idee der Sprache in der Tradition des Humanismus von Dante bis Vico". Sprache war das Thema, das ihn zeitlebens beschäftigte. Die Sprache sei, wie schon Wilhelm von Humboldt annahm, eine notwendige Voraussetzung für das Denken. Apel war es auch, der die amerikanischen Philosophen des Pragmatismus wie John Dewey, William James und Charles Sanders Peirce bei uns bekannt machte. Apel vollzog die sprachtheoretische Wende, den "linguistic and pragmatic turn". Das ist sein unbestrittenes Verdienst.

Nach dieser Wende stellte er fest, dass selbst scheinbar objektive wissenschaftliche Sätze zielgerichtet daraufhin formuliert werden, in der Auseinandersetzung mit anderen verteidigt zu werden. Jede Argumentationsgemeinschaft habe moralische Regeln zu ihrer Grundlage: erstens die wechselseitige Anerkennung aller als Gleichberechtigte, zweitens das Ernstnehmen des Gegenübers. Diese Regeln nannte Apel das "Apriori der Kommunikationsgemeinschaft". So entwickelte Apel seine "Diskursethik", in Auseinandersetzung mit seinem Weggefährten Habermas, und wurde zu einer prägenden Figur der deutschen Nachkriegsphilosophie.

Für die notwendig anzuerkennenden moralischen Grundnormen erhob Apel einen Anspruch auf "Letztbegründung", über die seinerzeit viel gestritten wurde. Die Argumentationsregeln, so Apel, hätten eine "unhintergehbare, absolut sichere Basis für philosophische Begründungen (...), denn es ergibt sich, dass ich die Geltung der Argumentationsregeln nur dann wirklich bestreite, wenn ich ihre Geltung zugleich anerkenne". Das war der geniale Schachzug Apels: Wenn man gegen sein Konzept argumentiere, argumentiere man durch den Akt der Kritik für sein Konzept.

Damit meinte er gefunden zu haben, was die Philosophen seit mehr als 2000 Jahren suchten, einen verlässlichen Anfangspunkt allen Argumentierens, den niemand bestreiten konnte, von dem alles weitere Philosophieren seinen Ausgang nehmen konnte. Mehr noch: Nach der Zeit des Nationalsozialismus sei, so Apel, das moralische Bewusstsein zerstört gewesen, und man habe in dem "dumpfen Gefühl" gelebt, dass alles falsch gewesen sei, für das man sich bis dahin eingesetzt habe. Darum sei es für seine und, wie er meinte, auch für spätere Generationen wichtig gewesen, eine sichere moralische Basis zu finden.

Gerade noch, Mitte März, konnte Karl-Otto Apel seinen 95. Geburtstag feiern, zu dem ein gewichtiger neuer Sammelband erschienen ist (SZ vom 2. Mai). Am Montagabend ist er in Niedernhausen im Taunus gestorben.

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Quelle:
SZ vom 17.05.2017
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