Fünf Favoriten der Woche:Windschiefes Universum

Nebel im Tal von Dohan, Belgien, Ardennen, Vallei van de Semois, Dohan mist in valley in Dohan, Belgium, Ardennes, Valle

Nebel in einem Tal in den belgischen Ardennen.

(Foto: W. Pattyn/imago images/blickwinkel)

Einmal um die ganze Welt - mit der Musik der Wälder oder dem sächsischen Fantasten Karl May als Reiseführer.

Von SZ-Autorinnen

tree.fm / timberfestival.org.uk

"Remember Forests?" - "Können Sie sich an Wälder erinnern?" Mit dieser traurigen Frage empfängt "tree.fm" den Nutzer, eine Site, die den Wald akustisch konserviert. Beiträger auf der ganzen Welt haben für das angeschlossene Netzprojekt "Timberfestival" schon den Sound ihrer heimischen Wälder aufgenommen und eingesandt. Auf einer klickbaren Weltkarte sind sie abrufbar Timber | The International Forest Festival (timberfestival.org.uk). "Klimawandel und falsche Politik", so die Projektverantwortlichen, "vernichten die Wälder weltweit. Lassen Sie uns ihre Töne erhalten!" Beim "Timber Festival" kommen vom 2. bis. 4. Juli Naturliebhaber und Künstler im britischen Staatsforst Feanedock in Leicestershire zusammen, um aus diesen Waldgeräuschen Musik zu komponieren. Werfen Sie mal ein Ohr auf die Ufergehölze von Pälkäne in Finnland!

Bernd Graff

Fünf Favoriten der Woche: Auf den Spuren von Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand: "Geografisches Lexikon zu Karl May".

Auf den Spuren von Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand: "Geografisches Lexikon zu Karl May".

(Foto: Hansa-Verlag)

Geografisches Lexikon zu Karl May

Wer Karl May liest, kommt nahezu um die ganze Welt. Dabei können allerdings selbstgemachte Reisen in ferne Länder und die dort gehabten Erlebnisse und Erfahrungen heftig mit jenen Welten kollidieren, in denen man mit dem sächsischen Fantasten unterwegs ist. Denn Karl May hatte das Vorrecht, sich sein "windschiefes Universum", so eine sehr zutreffende Beschreibung des May'schen Kosmos vom Literaturwissenschaftler Volker Klotz, selbst zusammenzubauen aus Lesefrüchten, Kartenstudium und vor allem seiner totalen Fantasie, mit der er sich die Erde auf unverwechselbare Weise untertan machte. Die renommierten Karl-May-Forscher Helmut Lieblang und Bernhard Kosciuszko haben sich schon seit Längerem nicht mehr mit dem May'schen Ungefähr zufrieden gegeben und stattdessen die Ortsangaben ob in Afrika, Asien oder jetzt nun in Nord- und Südamerika so ernst genommen, dass sie Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand und all den anderen Heroen gleichsam gefolgt sind und alle Ortsangaben, etwa von der "Henduras-Bay", die aber in Wahrheit die Honduras-Bay ist, bis zu den Zuni-Bergen im westlichen New Mexico, auf ihre Echt- und Stichhaltigkeit überprüft haben. Übrigens hat May dank der von ihm benutzten unvollkommenen zeitgenössischen Karte die Zuni-Berge derart im weißen Fleck verortet, "dass sich der fabulierende Fantast dem ,gaudium vacui' leicht hingeben kann", so Lieblang/Kosciuszko. Heraus kommt bei solcher gründlichen Prüfung ein auf mehrere Bände angelegtes "Geografisches Lexikon". Wie schon bei den bereits veröffentlichten Vorgängerbänden zu Afrika und Asien lesen sich die nun erschienenen zwei Bände zu Karl Mays Amerika (Hansa-Verlag, Husum 2021, 79,95 Euro) nicht nur wie ein tolles Nachschlagewerk zu allen von May erwähnten echten und fiktiven Geografika in Amerika, sondern sie sind zugleich Expeditionen in das Kraftwerk einer einzigartigen Fantasie, mit der dieser Autor seinen behaupteten Realitätsanspruch so unverfroren wie leichtfüßig durchgesetzt hat. Zu seiner Zeit, als seine Leser noch kaum reisen konnten, konnte er damit sogar Wittelsbacher Prinzessinnen überzeugen, dass er nur Selbsterlebtes erzählte. Genau genommen hatte er es auch selbst erlebt - als Fiktion.

Harald Eggebrecht

Video Still (Screenshot) Marteria: Paradise Delay

So muss das ausgesehen haben, als man noch von Club zu Club zog: Ausschnitt aus "Paradise Delay".

(Foto: Marteria)

Drück wieder mal auf Play

Von erfolgreichen Rappern wird oft verlangt, dass sie authentisch bleiben sollen, seit "Kids" gilt Marteria als Spezialist auf dem Gebiet. 2013 lamentierte er da als Hängengebliebener, dass seine Freunde nun joggen und Golden Retriever halten: "Alle haben nen Job, ich hab Langeweile." Jetzt spielt Marteria wieder mit dem Image, "den Absprung nicht schaffen, da gibt es keinen Besseren als mich", heißt es in "Paradise Delay". Das Video zeigt Schnipsel aus Marterias wilden Nächten, buntes Licht und Strobo, alles ein bisschen verschwommen: So muss das ausgesehen haben, als man noch von Club zu Club zog. Rein nostalgisch will der Track aber nicht rüberkommen. Der von DJ Koze beigesteuerte Sound und Marterias Druffi-Lyrik beschwören eine Vergangenheit, die in naher Zukunft hoffentlich wieder Gegenwart ist.

Moritz Baumstieger

Fünf Favoriten der Woche: Ein Meisterwerk, Beethoven Fünfter oder Bachs "Kunst der Fuge" vergleichbar: "Mantra".

Ein Meisterwerk, Beethoven Fünfter oder Bachs "Kunst der Fuge" vergleichbar: "Mantra".

(Foto: Mirare)

Stockhausens Ringmodulator

Einen Ringmodulator kann sich jede und jeder in einem der großen Musikhäuser bestellen. Das Teil addiert, multipliziert und zerlegt Töne in Echtzeit zu metallisch schrägen Glockenklangeruptionen. Karlheinz Stockhausen, der Visionär unter den Großkomponisten, war vom Ringmodulator begeistert, er kombinierte ihn mit einem Klavierduo und nannte den dafür komponierten dreizehnteiligen Einstünder "Mantra", weil da wie im Tantrismus eine (dreizehnteilige) Formel dauerwiederholt wird, in fantastischen Ausprägungen, virtuos, esoterisch, göttlich, wummernd. "Mantra" ist eines der großen Meisterwerke, Beethovens Fünfter oder Bachs "Kunst der Fuge" vergleichbar. Das ist auch in der bei Mirare erschienen Neueinspielung mit dem Trio Neuburger, Heisser, Lemouton unüberhörbar, die einen vor Glück taumeln lässt.

Reinhard J. Brembeck

Shower Boys

Christian Zetterbergs Kurzfilm "Shower Boys" läuft im Kinderfilm-Wettbewerb.

(Foto: Christian Zetterberg/Kurzfilmtage Oberhausen)

Oberhausener Kurzfilmtage

Vielleicht liegt es daran, dass Oberhausen keine Metropole und seine Stars dem breiteren Publikum eher unbekannt sind, dass dem Namen des Festivals noch immer etwas Revolutionäres anhaftet. 1954 gegründet, gilt es als ältestes Kurzfilmfestival der Welt. Was Oberhausen aber richtig berühmt gemacht hat, war das "Oberhausener Manifest", das 1962 der deutsche Filmnachwuchs hier präsentierte: Alexander Kluge, Edgar Reitz und andere verkündeten darin, dass die Vergangenheit des deutschen Films vorbei und die Zukunft auf den Weg gebracht war. Oberhausen war kein schlechter Ort für so eine Geste, man konnte hier schon früh Filme von Truffaut oder Resnais sehen, die in Frankreich gerade "le cinéma de Papa" beerdigten. Gerade finden die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, wie sie heute heißen, zum 67. Mal statt - bis zum 10. Mai laufen sie der Pandemie wegen komplett digital Home (kurzfilmtage.de).

Kleineren Festivals, die ohnehin weniger vom Glamour leben, beschert die Online-Zugänglichkeit gemeinhin ein größeres Publikum als sonst. Das wäre dem Jahrgang 2021 zu wünschen. Neben mehreren Wettbewerben ist eine Werkschau von der tschechischen Filmemacherin und Feministin Marie Lukácová zu sehen. Ihre pseudodokumentarischen Filme erinnern mit ihren Science-Fiction-Elementen an Alexander Kluge, etwa wenn sie einen Mann, eine Schäferhündin und ein drohnenartiges Hightech-Wesen eine postapokalyptische Landschaft durchwandern oder über der tschechischen Grenze von heute riesige Warencontainer wie auf unsichtbaren Schienen am Himmel herumfahren lässt.

Toll ist auch das Kinderfilmprogramm - im schwedischen Beitrag "Shower Boys" von Christian Zetterberg kommen zwei Jungs vom Hockeytraining und debattieren auf dem Heimweg, was es bedeutet, ein Mann zu sein. Als sie, ganz keusch in langen Badehosen, nach der Sauna zusammen duschen, klopft Noels Vater an die Tür. Es ist ein Signal, dass allzu große Nähe offenbar nicht zum Männlichsein passt. Am Schluss der neun Minuten sieht man den anderen Jungen, Viggo, betrübt nach Hause schlurfen. Im Off telefoniert sein Vater mit dem Besorgten, aber Viggos Papa sieht die Sache ganz locker und man merkt: Es gibt noch Hoffnung für die zarten Jungenseelen.

Kathleen Hildebrand

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