Der schlechte Ruf, der Ratten anhaftet, verhält sich umgekehrt proportional zu ihrer Sichtbarkeit. Meistens sieht man von ihnen nur einen Schatten, und dann sind sie im Rinnstein verschwunden. Aber was man alles über sie weiß oder auch nur zu wissen meint: Sie verbreiten Krankheiten, die Pest zum Beispiel, sie fressen Aas und fallen gelegentlich über Säuglinge her. Sie sind hoch organisiert, resistent gegen alle möglichen Gifte und können angeblich einen Atomkrieg überleben. Man ekelt sich vor ihnen und schüttelt sich beim Gedanken an den langen, nackten Schwanz. Ihre scharfen Zähne wachsen unablässig nach. Dabei sind sie immer gegenwärtig, unausrottbar und gierig: Es gibt sie auf allen Kontinenten, in arktischen und in tropischen Gebieten. In Städten, so heißt es manchmal, sei ein Mensch nie weiter als sechs Fuß (oder 1,80 m) von der nächsten Ratte entfernt. Ob das stimmt oder wieder nur Mythologie ist, lässt sich nicht ermitteln. Sie sind jedenfalls überall, wo Menschen Abfall produzieren, wobei das Abwassersystem ein natürliches Habitat und Fast-Food-Restaurants eine bevorzugte Lage bilden.
Karin S. Wozonig: „Ratten“:Ehrenrattung
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In ihrem Buch verteidigt die Autorin Karin S. Wozonig den Ruf der wenig geliebten Nagetiere.
Von Thomas Steinfeld
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