Krimikolumne:Der Schnee löscht alle Spuren

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Flucht in den Schneesturm: Arttu Tuomainens Buch "Was wir verschweigen" spielt draußen am Wald. (Foto: Philippe Henry /imago images/Design Pics)

Eine üble Vorgeschichte bricht im Covid-Jahr 2021 wieder auf, eine Party endet mit Mord, die Gäste können sich nicht erinnern, ein Verbrechen auf dem Ölfeld von Texas: Die schärfsten Krimis zum Jahreswechsel.

Von Fritz Göttler

Ein erster Covid-Krimi, ein Thriller-Melodram, in dem die Pandemie ganz selbstverständlich zum Alltag gehört, Frühjahr 2021 in Atlanta, im US-Bundesstaat Georgia. Man desinfiziert gründlich, ertappt sich immer wieder dabei, dass man nicht an den Mund- und Nasenschutz dachte, am Ende gibt es nassgeschluchzte Masken.

Eine dramatische Vorgeschichte entwickelt sich in Karen Slaughters "Die falsche Zeugin" in der Vor-Covid-Zeit, 1998, da betreut das Mädchen Calliope, genannt Callie, als Babysitterin den kleinen Trevor, wird von dessen Vater Buddy missbraucht, auf wirklich fiese Weise, sie setzt sich zur Wehr, mit einem Fleischmesser, ein Schnitt in den Oberschenkel, die Schlagader. Ihre Schwester Harleigh, auch Leigh genannt, fühlt sich schuldig, weil sie Callie den Job vermittelte, obwohl sie um Buddys miesen Charakter weiß und hilft ihr die scheußliche Sache zu Ende zu bringen, was eine Menge Stückelei und Geschrubbe erfordert.

Etwa ein Vierteljahrhundert später, 2021, ist Callie ein Junkie, jobbt bei dem Tierarzt Dr. Jerry, Harleigh ist eine coole, wohlsituierte Anwältin, ein kleines Rädchen in einer riesigen Top-Kanzlei, sie ist geschieden, aber immer noch im Einverständnis mit ihrem Ex-Mann, dem grundgütigen Walter, und der Tochter Madeleine Félicette. Sie soll kurzfristig eine Verteidigung übernehmen, ein Mann, der sich nun Andrew nennt und wegen einer extrem brutalen Vergewaltigung und Entführung angeklagt wird - und der einen ganz besonderen Grund hat, an Leigh ranzukommen und sie und Callie zurückzuziehen in den Dunst der Jugendzeit.

Am Ende gibt es zwischen zwei Menschen eine innige Verbindung, auf tiefem Hass gebaut, eine groteske Liebesszene, körperlich nahe: intravenös, tödlich. Félicette war übrigens die erste Katze, die einen Flug in den Weltraum überlebte.

Karen Slaughter: Die falsche Zeugin. Aus dem Englischen von Fred Kinzel. HarperCollins, Hamburg 2021. 592 Seiten, 22 Euro. (Foto: N/A)

Das scheint öfter zu passieren in Finnland. Eine Party in einem Wochenendhaus an der Stadtgrenze, ein Mann hat plötzlich ein Messer aus der Küche in der Hand, geht zu einem anderen Mann und sticht ihn tot. Flieht in den angrenzenden Wald. Die Party geht schon einige Tag lang, überall leere Flaschen und Unrat, die Gäste können sich nicht ganz genau erinnern. Ein scheußlicher Schneesturm macht auch die die forensische Spurensicherung ziemlich unzuverlässig. Das kann schon mal passieren, in der Hafenstadt Pori am Fluss Kokemäenjoki in Südwestfinnland, wo der Autor lebt.

Obwohl die Beweislage ziemlich eindeutig ist, hält der zuständige Kommissar, Jari Paloviita, den Fall für nicht nagelfest. Seine zuständigen Kollegen finden das unverständlich, fühlen sich traktiert. "Verivelka" heißt der Roman im Original, das bedeutet Blutschuld. Denn Jari kennt den Mörder sehr genau, der war in der Jugend sein bester Freund, und er kennt auch das Opfer. Der war in der Jugend ein Bully und hat die Freunde immer wieder böse traktiert. Das Grandguignoleske der Jugendzeit mischt sich aufregend in diesem Roman mit dem coolen Flair der Ermittlungen. Und Arttu Tuominen seziert sie beide genauso tief, die Verdächtigen und die Ermittler.

Arttu Tuominen: Was wir verschweigen. Aus dem Finnischen von Anke Michler-Janhunen. Lübbe, Köln 2021. 416 Seiten, 16 Euro. (Foto: N/A)

Der erste Roman von Elizabeth Wetmore, ihre Jugend hat sie in Odessa, im Westen von Texas verbracht, inzwischen lebt sie in Chicago. Der Roman beschwört ihre Jugend, die Veranda hinter dem Haus, die Frauen der Nachbarschaft sitzen nachmittags da, ziehen an ihren Zigaretten, füllen ihre Gläser nach, mehr Alkohol als Saft, reden über die Männer, das Land, die Zukunft, die Vergangenheit, aus diesen Stimmen ist der Roman komponiert, junge und alte Frauen, auch ein kleiner Chor von Serviererinnen ist dabei. Odessa, im Jahr 1976. Der große Ölboom reißt die ländliche Struktur auseinander, Viehzucht bringt nichts mehr, die Fliegen töten das Vieh, viel Geld ist auf den Ölfeldern zu verdienen, aber die Unfall- und Todesrate ist hoch.

Elizabeth Wetmore: Wir sind dieser Staub. Aus dem Englischen von Eva Bonné. Eichborn, Köln 2021. 319 Seiten, 22 Euro. (Foto: N/A)

Der deutsche Titel klingt ein wenig wie texanischer Faulkner, im Original heißt der Roman "Valentine", er beginnt an einem Sonntagmorgen, Valentinstag, draußen auf dem Ölfeld, kurz vor der Dämmerung. Ein junger Bohrarbeiter fläzt in seinem Pick-up. Die junge Gloria Ramirez liegt geschunden in der Nähe, er hat sie in der Nacht in einer Bar mitgenommen und brutal vergewaltigt. Sie flüchtet auf die Ranch von Mary Rose Whitehead und ihrem Mann. Mary Rose weist ihn zurück, allein mit dem Gewehr in der Hand, an das sie sich klammert wie eine Ertrinkende - bis der Sheriff kommt. Das Ereignis entfremdet Mary Rose der Gemeinschaft, sie will aussagen bei der Verhandlung gegen den Mann, kriegt bedrohliche Anrufe. Sie erwartet ein zweites Kind, zieht fort von der Ranch, von ihrem Mann. Die Geburt einer neuen Solidarität, unter den Frauen, einer neuen Unabhängigkeit.

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