Karajans Selbstinszenierung:Der Monolith

Er galt als Meister der Performance, setzte sie gleich mit Perfektion. Dirigent Herbert von Karajan blieb sein ganzes Leben lang ein Mysterium, durchkomponiert bis ins kleinste Detail.

Fritz Göttler

Der Dirigent als director, als Autorenfilmer, bei keinem ist das so ausgeprägt wie bei Karajan. Auf den zahllosen DVDs, die nun (wieder) verfügbar sind, ist zu spüren, wie er nicht nur musikalisch, sondern auch filmisch um die absolute Kontrolle kämpft - unterstützt vom treuen Ernst Wild, der die Kamera-Logistik besorgte.

Wenn er Bruckners Achte dirigiert in St. Florian, im Augustinerkloster bei Linz, operiert er markant zwischen Licht und Schatten, die eine Hälfte des Gesichts elegisch angestrahlt, die andere traurig verfinstert. Bei "Tod und Verklärung" von Strauss wird er fast ausschließlich im Profil gezeigt, aber wenn die Musik sich an die Verklärung macht, kommt der Wechsel zur imposanten Frontalperspektive, von unten. Hat Karajan klassische Filmsprache studiert, hat er womöglich Storyboards gezeichnet?

Die Aufführung sinfonischer Werke ist meistens als Monolith konzipiert. Das Werk steht vor den Zuhörern unverrückbar und endgültig, für die Nachwelt, für die Ewigkeit gedacht - ein Anspruch, der das Musikgeschäft bestimmt, seitdem Aufführungen aufgezeichnet werden können. Was es an Interaktion geben könnte zwischen Bildern und Tönen, an Interferenz - Godards ewige Sorge: Dass die Töne am Ende wesentlicher sein könnten fürs Kino als die Bilder -, wird ausgeblendet.

Monolithisch ist der Dirigent Karajan - was womöglich zum Konflikt mit dem Filmemacher Henri-Georges Clouzot führte, mit dem er in den Sechzigern sechs Filme drehte (nicht auf DVD erhältlich). Clouzot wollte dem Künstler bei der Arbeit zugucken, so wie er es mit seinem "Mystère Picasso" gemacht hatte, als er Picasso vor seiner Kamera zeichnen und unglaubliche Transparenz und Lässigkeit an den Tag legen lassen.

Unangetastetes Mysterium

Karajan misstraut solcher Transparenz. Er schottet sich ab, hält die Augen geschlossen. Er setzt Performance gleich mit Perfektion, seine monomane Ichbezogenheit grenzt ans Gespenstische. Kommunikation scheint nicht stattzufinden, zwischen dem Orchester und seinem Dirigenten - wenn dann doch mal ein Mundwinkel kurz zuckt, macht das einen fast spitzbübischen Effekt.

Karajan funktioniert vor seinem Orchester paradoxerweise solistisch, solipsistisch. Oft hat man den Eindruck, seine Bewegungen sind nicht gedacht, die Musik hervorzubringen und zu koordinieren, sondern Reaktion auf inneres Erleben. Keiner hat seine Arbeit so in Richtung Autismus getrieben wie Karajan. Auch das Kino hat es nicht geschafft, ihn rauszubringen aus seiner Isolation. Der Mann bleibt aufrecht, unerschütterlich. Das Mysterium Karajan bleibt unangetastet.

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