Der Treffpunkt ist schon mal passend. "Haus Bartleby" lud am Wochenende in das "Silent Green Kulturquartier" in Berlin, einem ehemaligen Krematorium im Wedding. Hübsch friedlich ist es hier, aber auch ein bisschen gruselig. Die Besucher sitzen auf schwarz-marmornem Fußboden, während eine Initiative ein Jahres-Grundeinkommen verlost.
Der Verweis auf den Tod ist gelungen, denn auch die Initiatoren von "Haus Bartleby" wollen etwas sterben lassen - und zwar nichts Geringeres als den Kapitalismus, sowie alles, was ihrer Meinung nach damit zusammenhängt: Selbstoptimierungswahn, Ausbeutungs-Prinzipien, die massenweise zum Burn-out führen, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, die längst die Mitte der Gesellschaft erreicht haben, Abstiegs- und Existenzängste, die das tägliche Hamsterrad zugunsten einer immer kleineren und immer wohlhabenderen Riege von Superreichen antreiben. Und natürlich alles, was über die Probleme des Einzelnen hinausgeht: Die Ausbeutung der Umwelt, das Führen von Kriegen aus wirtschaftlichen Interessen, die Machtverteilung zugunsten von Eliten anstelle echter Demokratie.
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Varoufakis ist wieder da
Das ist alles nicht neu; neu ist aber das Buch "Sag alles ab!", erschienen in der Edition Nautilus, Haus Bartleby ist der Herausgeber. Unter dem Titel eines Tocotronic-Lieds versammelt es Texte ganz verschiedener Autoren wie Deichkind ("Bück dich hoch"), Yanis Varoufakis ("Auf der Grundlage der bestehenden Institutionen und politischen Strategien kann der Euro keinen Bestand haben"), dem Berliner Hartz-IV-Möbel-Architekten Van Bo Le Menzel ("Schule ist überbewertet"), FAZ-Journalistin Antonia Baum ("Schlaf ist meine Rettung") und den beiden Bartleby-Gründern, Journalistin Alix Faßmann ("Wer seinen blitzeblanken Lebenslauf riskiert, ist ein Gewinn für dieses Leben") und Dramaturg Anselm Lenz ("Die Arbeitsgesellschaft ist fertig. Der Kapitalismus ist pleite. Die Republik bröckelt. Wir dienen einem Toten.").
Faßmann und Lenz, beide knapp ü30, haben es vorgemacht: Sie haben ihre Jobs aufgegeben und stattdessen das "Haus Bartleby" gegründet, als Ort des Denkens und Voranbringens einer neuen Lebensweise abseits kapitalistischen Ungemachs. Beide waren mit ihrer Arbeit nicht zufrieden: Alix Faßmann sollte der SPD zu einem jungen Netzauftritt verhelfen, fand die Strukturen aber zu starr. Anselm Lenz störte die "Beweihräucherung alter Säcke" am Theater, das Aufschauen zu "schillernden Intendanten".
Die Romanfigur Bartleby aus der Feder von Moby-Dick-Autor Herman Melville haben sie deshalb zu ihrem Schutzheiligen ernannt, weil diese Figur aus dem 19. Jahrhundert nach bienenfleißigen Jahren als Anwaltsgehilfe ebenfalls die Arbeit niederlegt und nur noch sagt: Nein, danke! "I would prefer not to." Ausgewiesene Höflichkeit und Eleganz, auch des Wortes, haben sich die Bartleby-Verehrer ebenfalls auf die Fahnen geschrieben, was sie durchaus unterscheidet von Wutbürgern dieser oder Revoluzzern früherer Tage. "Elegante Faulheit" verordnen sie sich selbst, ihr Logo ist im Jugendstil gehalten.
Ihr Buch besticht mit kupfernem Titel, die Präsentation im Krematorium verläuft gesittet: Schauspieler Jörg Petzold, ebenfalls Mitglied des Hauses, spricht wie ein Pfarrer zu den Schäfchen, Lenz und Fassmann spielen dazu den Chor. Das "Ende der neoliberalen Epoche" wird verkündet, die "Abschaffung der Berufspolitik", die Auflösung des Großeigentums" sowie "unabhängige Medienbetriebe". Denn die vierte Gewalt im Staat sei zu "Propaganda mit Kochtipps verkommen". Lenz bestreitet den Abend im feinen Zwirn, stetig verfolgt von seinem Hund "Anwalt", Faßmann tritt auch schon mal in Gewändern des 19. Jahrhunderts auf.
Feiner faulenzen
All das ist Anlehnung an die Ästhetik des Bürgertums und an eine Zeit, in der Bürgerliche noch Zeit hatten, in Salons tagelang Gespräche zu führen, dazu Tee zu trinken und sich die Hände nicht unnötig schmutzig zu machen. Aber all das ist auch Theater, Inszenierung: Ein bisschen locken wollen die Verführer zum Faulenzen eben schon, einen Gegenentwurf zeigen zur ständigen Maloche, wegen derer man sich ein Auto kauft, um zur Arbeit zu fahren, und die Arbeit aufrechterhalten muss, um das Auto finanzieren zu können. Auch Miete ist den Berlinern ein Dorn im Auge, sie fragen: "Wofür bezahlen wir Miete in Häusern, die längst gebaut und abgezahlt sind?" Nicht weniger als die herrschende Weltordnung soll hier verhandelt werden, auf ihrer Homepage rufen sie auf zum "Kapitalismus-Tribunal".
Um eine neue Welt zu denken, müsse man erst einmal aus der alten aussteigen. Niemand solle sich jedoch gezwungen fühlen, seinen Job zu kündigen, um dann mit leeren Händen dazustehen, betont Faßmann in Interviews. Der Anfang sei gemacht, indem man den Gedanken zulasse. Jetzt will das "Zentrum der Karriereverweigerer" an neuen Möglichkeiten forschen, das Leben besser zu gestalten. Mitforscher sind ausdrücklich erwünscht. Denn das alte Versprechen, sich Wohlstand und Sicherheit erarbeiten zu können, gelte nicht mehr. Schon gar nicht für junge Menschen.
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Aber wovon leben?
Passiver Widerstand ist auch das, was die Autoren nun in "Sag alles ab!" fordern. Wer davon allerdings konkrete Handlungsanweisungen erwartet, wird enttäuscht. Wovon leben, wenn nicht mehr von Lohn, wie wohnen, wenn man keine Miete zahlen möchte, wie das Essen bezahlen? Die Autoren kümmern sich lieber um den theoretischen Überbau, der allerdings bisweilen sehr interessant ist.
In dem Aufsatz "Die Acker der lebenden Toten" beschreibt Paul Herden Horden von Arbeitnehmern (die nach Bartleby-Verständnis eigentlich Arbeitgeber heißen müssten, weil sie ja ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen), die wie Zombies durchs Leben irren: "Tüchtig, aber ziellos wandeln sie arm an Welt und auf sich zurückgeworfen über die kaputten Äcker einer untergehenden Erde, mit lebendigen Körpern, aber totem Geist."
Das ist alles schlau und ambitioniert, gerettet wird das Buch aus einer gewissen Einseitigkeit dennoch durch den Aufsatz des Schriftstellers Ulrich Renz, der sich selbst attestiert, dass Arbeit ja durchaus auch Spaß machen kann, und zwar viel. Vor allem, wenn man eine hat, die einem liegt und gefällt, und in der man Sinn sieht. Er kommt aber zu dem Schluss, dass dies wohl eine Zivilisationskrankheit sein müsse: Wir merkten gar nicht mehr, wie wir durch den Virus des Kapitalismus infiziert und damit selbst zum Erreger würden.
Bis allerdings diese Welt aus den Angeln gehoben und möglichst klug neu zusammengesetzt wird, dürfte noch ziemlich viel Arbeit bevorstehen. Bartleby selbst, der Anwaltsgehilfe, stirbt übrigens in der Erzählung am Ende an seiner Verweigerungshaltung. Aber mit dem Morbiden haben die Bartleby-Jünger ja kein Problem.
"Sag alles ab!" von Haus Bartleby ist im Nautilus-Verlag erschienen und kostet 14,90 Euro.