Gottesdienst-Oper von Kanye West:Der tollste Künstler, den Gott jemals erschaffen hat

Gottesdienst-Oper von Kanye West: "Gott hat mich lange Zeit gerufen, der Teufel hat mich jedoch lange Zeit abgelenkt", sagt der Musiker Kanye West.

"Gott hat mich lange Zeit gerufen, der Teufel hat mich jedoch lange Zeit abgelenkt", sagt der Musiker Kanye West.

(Foto: AP)

Seit einiger Zeit sieht sich der Musiker Kanye West als Gottgesandter, nun hat in Los Angeles seine Oper "Nebuchadnezzar" Premiere. Über die feine Linie zwischen Genie und Größenwahn.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Kanye West hat also zu Gott gefunden. Das kann für seine Fans, je nach Haltung zur Religion, eine gute oder schlechte Nachricht sein. Für das musikalische und menschliche Gesamtkunstwerk von Kanye West ist es freilich positiv, hat er doch nun eine Erklärung für sein komplettes Leben gefunden. "Gott hat mich lange Zeit gerufen, der Teufel hat mich jedoch lange Zeit abgelenkt", sagte er kürzlich. Nun sei er geheilt, gesegnet sogar, schon auf dem Musik-Festival Coachella am Osterwochenende hat er eine Art Gottesdienst-Konzert gegeben, das neue Album heißt "Jesus is King".

An diesem Sonntag gibt es im Amphitheater Hollywood Bowl von Los Angeles die Gottesdienst-Oper "Nebuchadnezzar" über den, so viel Symbolik muss sein, babylonischen Herrscher, der aufgrund seiner Arroganz und Ignoranz sieben Jahre lang von Gott bestraft wird und sowohl Verstand als auch Königreich erst zurückbekommt, nachdem er den Allmächtigen als Erlöser und Herrscher akzeptiert. Bei seiner ganz persönlichen Begegnung mit Gott habe West, sagt er, auch erfahren, was er sei: "Der tollste Künstler, den er jemals erschaffen hat." Gott prahle durch Wests Kunst mit seiner Macht.

Es wird bei Künstlern immer wieder eine Art Henne-Ei-Frage gestellt: Wird einer wahnsinnig, weil er berühmt geworden ist - oder wird einer berühmt, weil er wahnsinnig ist? Bei West, 1977 in Atlanta als Sohn einer Anglistik-Professorin und eines Black-Panther-Aktivisten geboren, gibt es einen nicht zu leugnenden Zusammenhang zwischen Größenwahn und Genie - jemand, der an sich selbst zweifelt, hätte kaum den Mut, eineinhalb Jahrzehnte lang Pop-Großartigkeiten wie "College Dropout", "My Beautiful Dark Twisted Fantasy" oder "Life of Pablo" zu produzieren.

Künstlerisch ist West stets erfolgreich gewesen, doch er wusste auch immer, seine Kunst mit privaten Eskapaden zu inszenieren. Kurz vor dem Erscheinen von "My Beautiful Dark Twisted Fantasy" im Jahr 2009 zum Beispiel stürmte er bei den MTV Video Music Awards die Bühne, um sich dort für die seiner Meinung nach zu Unrecht nicht ausgezeichnete Sängerin Beyoncé einzusetzen - den Verkäufen des Albums hat das sicher nicht geschadet. "Life of Pablo" inszenierte er 2016 als Gesamtkonzept über die negativen Aspekte des Berühmtseins.

Künstler und Kunst sind bei West nicht zu trennen

Seit 2012 ist er mit der professionellen Selbstvermarkterin Kim Kardashian liiert und seit 2014 verheiratet. Das Paar hat vier Kinder, zwei leibliche (North und Saint) und zwei (Chicago und Psalm), die von einer Leihmutter ausgetragen worden sind. Das Leben der Familie wird in zahlreichen Reality-Shows verarbeitet, der gut getimte Skandal gehört dabei zur Vermarktung. Es wird deshalb immer wieder gerätselt, ob das teils erratische Verhalten von West - er nannte zum Beispiel die Sklaverei eine "Wahl" - tatsächlich durch eine, wie West sagt, bipolare Störung bedingt oder doch nur Teil einer wahnwitzigen Marketing-Strategie ist. Sicher ist nur: Künstler und Kunst sind bei West nicht zu trennen.

West sieht sich selbst als Gottgesandter, als spiritueller und auch politischer Anführer, gerne der gesamten Menschheit, wie er kürzlich bei der Veröffentlichung seines neunten Albums "Jesus is King" sagte. Er sei nun aber bescheiden geworden, ein Land reiche für den Anfang, also wolle er 2024 für das Amt des amerikanischen Präsidenten kandidieren - als Nachfolger von Donald Trump, den er seinen Freund nennt und den er bereits im Oval Office getroffen hat.

Irgendwann dürfte wohl jemand die Twitter-Einträge von Kanye West genauso gründlich analysieren, wie bislang die Musik begutachtet worden ist, und darunter diesen unvergesslichen Tweet aus dem Jahr 2014 finden: "Hast du jemals geglaubt, dass du dich in jemanden verliebt hast - und dann festgestellt, dass du 20 Minuten lang in einen Spiegel gestarrt hast?" Sicher ist deshalb auch: Jeder Mensch braucht jemanden, von dem er so geliebt wird, wie Kanye West von Kanye West geliebt wird.

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