Kanye West mit neuem Album "Yeezus":Vorrecht auf die Weltherrschaft

Kanye West Yeesus

Bei Kanye West hat man es nicht mit einem rappenden Popstar zu tun oder gängigem Größenwahn. West spielt schon eine Weile in seiner ganz eigenen Liga.

(Foto: REUTERS)

Gottes Sohn - drunter macht es Kanye West auf seinem neuen Album "Yeezus" nicht mehr. Doch diese Unbescheidenheit ergibt womöglich sogar Sinn.

Von Jens-Christian Rabe

In unserer an lebenden Widersprüchen nicht gerade armen Pop-Gegenwart ist der amerikanische Musikproduzent und Rapper Kanye West womöglich der - ja was eigentlich? - größte lebende Widerspruch? Oder der widersprüchlichste lebende Größte? Ist das überhaupt möglich, widersprüchlicher zu sein als widersprüchlich? Oder - vorher noch - größer als groß?

Es gehen einem ein bisschen die Kategorien aus in diesem Fall, und - ganz blöd - irgendwie auch die Superlative, mit denen im Pop ja umgehend jeder dekoriert werden kann, dem es einmal gelingt, die gesammelte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Und sei es nur für drei oder vier Sekunden. Oder drei oder vier Milliarden Youtube-Klicks. Das muss man eben auch erst einmal fertig bringen.

Keine Kunstform entspricht der auf dieser Seite der Welt herrschenden Ideologie des Sofortismus ja mehr als die Popmusik. Insoweit geht der Wahnsinn schon in Ordnung. Einerseits. Andererseits gibt es natürlich ein Problem, wenn im Pop einmal etwas Großes passiert oder eine Größe auftaucht, die über den Moment hinaus in der seltenen Lage ist, ihre Größe immer wieder zu bestätigen. Eigentlich ist das nicht vorgesehen.

Aber der Reihe nach: Der 36-jährige Kanye West veröffentlicht heute vergleichsweise überraschend sein neues, sechstes Studioalbum. Es heißt "Yeezus" (Def Jam/Universal). Der Titel ist unzweifelhaft eine Verschmelzung der zweiten Silbe von Kanye und der zweiten von Jesus. Man spricht es wohl ungefähr "Jisus" aus, aber das Versehen, den Titel genau so auszusprechen wie im Englischen eben der Sohn Gottes genannt wird, nimmt der Künstler - davon kann man ausgehen - billigend in Kauf.

Womit man auch gleich mitten im Phänomen ist. Gottes Sohn, drunter macht er es nicht mehr. Eher drüber. Der zentrale Track auf "Yeezus" heißt - genau - "I Am God". Und das ist nur ein klitzekleines bisschen ironisch gemeint. Vielleicht.

In seiner ganz eigenen Liga

Und tatsächlich hat man es bei Kanye West nicht mit einem normalen rappenden Popstar zu tun, noch nicht einmal mit dem gängigen Größenwahn eines Protagonisten des zeitgenössischen Highscore-Rap. Kanye West spielt schon eine Weile in seiner ganz eigenen Liga.

Er schreibt und produziert seit mittlerweile zehn Jahren, seit der Veröffentlichung seines Debüt-Albums "The College Dropout" mit beängstigender Konstanz große Hip-Hop- und R'n'B-Nummern, also groß im Sinne von kommerziell erfolgreich - er hat bis heute insgesamt geschätzte 20 Millionen Tonträger verkauft - und groß im Sinne von verblüffend innovativ, also wirklich gut.

Alben wie das 2008 erschienene "808s & Heartbreak" oder "My Beautiful Dark Twisted Fantasy" aus dem Jahr 2011 und Sample-Hits wie "Jesus Walks", "The New Workout Plan", "Love Lockdown", "Golddigger" oder "Dark Fantasy" sind allesamt Werke, die auch nach Jahren noch frisch klingen.

Nicht zuletzt, weil sie mitunter die Grenzen dessen, was wir als Popmusik bereit sind zu ertragen, immer ein bisschen in Richtungen verschoben haben, in die sich bis dahin noch niemand mit diesem Talent gewagt hatte. Grammys, die Oscars des Pop, gab es dafür natürlich auch reichlich, 21 bislang. Kein Popkünstler seiner Generation hat mehr. Aber das ist ja nur die Musik.

Akustischer Dance-Rap-Angriffskrieg

Es gibt den ehemaligen Kunststudenten Kanye West, Sohn einer Literaturprofessorin und eines Bürgerrechtsaktivisten, der auf der Art Basel bestens vernetzt ist und dort, wie in der vergangenen Woche geschehen, exklusive Überaschungskonzerte gibt.

Es gibt den Modedesigner Kanye West, der bei Fendi ein Praktikum absolvierte und eng befreundet ist mit Haute-Couture-Designern. Es gibt den Kanye West, der bei der Katrina-Flut-Katastrophe öffentlich sagte, was viele dachten: "George Bush doesn't care about black people" (George Bush interessiert sich nicht für die Schwarzen).

Es gibt den Kanye West, der mit Kim Kardashian am Samstag sein erstes Kind bekommen hat. Genau, mit der Kim Kardashian, der Ikone des amerikanischen Trash-Reality-Fernsehens. Und es gibt - wie man's nimmt - den peinlichen Größenwahnsinnigen oder den Gerechtigkeitsfanatiker Kanye West, der sich bei Preisverleihungen nicht zu schade ist, auf die Bühne zu stürmen, wenn seiner Ansicht nach nicht der oder die Richtige ausgezeichnet wird.

In dieser Rolle gab er in der vergangenen Woche der New York Times auch ein spektakuläres Interview. Er vergleicht sich darin in der Bedeutung als Augenöffner der Gegenwartskultur mit dem verstorbenen Apple-Mastermind Steve Jobs, moniert, dass er zwar schon viele Grammys, aber immer noch nicht den wichtigsten für das "Album Of The Year" bekommen hat, bereut alte Entschuldigungen.

Weil die Ursachen für die Entschuldigungen doch viel wichtiger waren: "It's only led me to complete awesomeness at all times. It's only led me to awesome truth and awesomeness." Fantastisch. Das heißt so ungefähr: "Ich bin jetzt so glaubhaft und einflussreich und relevant, dass ich Dinge grundsätzlich ändern will."

Und dafür gibt es jetzt auch noch das neue Album. Jesus. Und genau genommen ist darauf jeder einzelne der genannten Kanye Wests vertreten. Manchmal sogar gleichzeitig.

Näher am Industrial Rock als am Soul

Es entstand mit Hilfe diverser Stars und Nebengenies wie Daft Punk oder Bon Iver. Überproduzent Rick Rubin hatte auch seine Finger im Spiel. Und was ist zu hören? Ein akustischer Dance-Rap-Angriffskrieg nach allen Regeln der Kunst. Man höre nur "Black Skinhead".

Es ist näher an der auch mal schmerzenden Aggressivität des Industrial Rock als an der Lässigkeit des alten Soul, den West früher so virtuos neu verleimte. Hier fordert jemand ein Recht ein, von dem er ganz sicher ist, dass es ihm längst zusteht.

Irgendwo im irren Rummel um dieses Monster von einem Pop-Album war zu lesen, dass Kanye West viel zu wollen scheine, aber wahrscheinlich selbst nicht wisse, was eigentlich genau. Tatsächlich drängt sich dieser Eindruck im ersten Moment auf. Aber er stimmt eigentlich nicht. Es ist vollkommen klar, was dieser Mann will: Er will einfach alles, den ganzen Ruhm, die ganze Ehre, die Weltherrschaft über die kulturelle Innovation und Inspiration.

Sind wir verrückt, oder er?

Er glaubt, es stehe ihm zu, einfach weil er so unglaublich gut ist. Das ist natürlich eine echte Zumutung. Und im Grunde gibt es in unserer im Kern egalitären Kultur für alle anderen keine Möglichkeit, mit diesem Ausmaß an Unbescheidenheit umzugehen, wenn es sich nicht gleichzeitig immer sofort glaubwürdig entschuldigt und brav Abermillionen an wohltätige Stiftungen überweist oder immerhin an englische Fußballklubs. Was uns bleibt ist: Den Mann für verrückt zu erklären. Und darüber scheinen sich im Fall Kanye West auch alle einig zu sein.

Aber ist es nicht vielleicht doch umgekehrt: Sind wir nicht die Verrückten, wenn wir es zulassen, dass man in unserer Mitte als Künstler nur dann nicht für verrückt erklärt wird, wenn man ein lieber, netter, guter oder wenigstens spendabler Mensch ist, der sich bloß nicht anmaßt, auch in ästhetischen Fragen deutlich Schlechtes schlecht, Falsches falsch und Phantastisches phantastisch zu nennen?

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