Kampf gegen Armut:Bob, die Masse und die Macht

London erwartet sein Pop-Spektakel: Der Sänger Geldof will mit seinen "Live 8"-Konzerten die Welt verändern.

Von Alexander Menden

London, 30. Juni - Der Rasen des Londoner Hyde-Parks hat einiges aushalten müssen in den letzten Wochen. Nachdem die Sonne ihn tagelang gnadenlos ausgetrocknet hatte, trampelten am vergangenen Wochenende Tausende von Rock-Freunden auf ihm herum, die das "Wireless"-Festival besuchten. Viel Zeit zur Erholung bleibt den Halmen nicht.

Bühne im Hyde Park (AP)

Schon jetzt harren Fans im Regen vor der Haupbühne im Londoner Hyde Park aus.

(Foto: Foto: AP)

Wer jetzt von der U-Bahnstation "Hyde Park Corner" durch duftige Rosengärtchen Richtung Park geht, stößt schon wieder auf Aufbauarbeiten. Über Lautsprecher wird verkündet, dass am Samstag die meisten U-Bahnstationen rund um den Hyde-Park geschlossen bleiben werden. Die erwarteten Menschenmassen müssen sich einen anderen Weg suchen zum größten Pop-Spektakel des Jahres, das hier stattfinden soll: London wappnet sich für "Live 8".

Wenn die Maxime "viel hilft viel" zutrifft, dann werden sie sehr viel helfen, die "Live 8"-Konzerte, die organisiert von Bob Geldof hier in London, in Berlin, Paris, Philadelphia, Johannesburg, Tokio, Rom und Toronto über die Bühnen gehen.

Hoffen auf ein Milliardenpublikum

Allein an den Orten des Geschehens werden insgesamt zwei Millionen Zuschauer erwartet. Ein Milliardenpublikum soll via Fernseher dabei sein, wenn auf acht Bühnen weltweit rund 120 Bands einen Tag lang die Forderung nach Schuldenerlass und stärkerer Hilfe für Entwicklungsländer um den Globus schicken. Zugleich sollen mindestens 100 000 Menschen in Edinburgh bei der "Make Poverty History Rally" für dieselben Ziele demonstrieren und ein Signal ins 65 Kilometer nordwestlich gelegene Gleneagles schicken. Denn dort werden sich am 6. Juli die Regierungschefs der G-8-Staaten treffen.

Bob Geldof, der 1985 schon zwei große "Live Aid"-Konzerte für Afrika auf die Beine gestellt hatte, ist ein Mann der Masse. 20 Jahre später ist es ihm gelungen, Madonna, Eminem, Coldplay, U2, Pink Floyd und Robbie Williams zu einem weltweit koordinierten Auftritt zu bewegen, logistisch hat er also schon einiges geleistet.

Wenn die Maxime "viel hilft viel" zutrifft, dann werden sie sehr viel helfen, die "Live 8"-Konzerte, die organisiert von Bob Geldof hier in London, in Berlin, Paris, Philadelphia, Johannesburg, Tokio, Rom und Toronto über die Bühnen gehen.

Und wer einen Vorgeschmack darauf bekommen wollte, wie gut er es noch immer versteht, die Massen zu bewegen, hatte dazu am vergangenen Samstag beim Glastonbury-Musikfestival Gelegenheit: Um vier Uhr am Nachmittag betritt der Ire unter dem grauen Himmel von Somerset die Hauptbühne und bittet um Gehör.

Regenfälle haben den benachbarten Campingplatz weggespült und das Festival-Gelände in eine Schlammwüste verwandelt. Man sollte meinen, das Publikum sei nun auf anderes erpicht als auf mahnende Worte zum Hunger in der Welt. Geldof ruft: "Das hier ist das letzte Stück des langen Marsches zur Gerechtigkeit. Wenn ihr wie ich glaubt, dass ihr die Welt verändern könnt, dann sehen wir uns am Samstag in Edinburgh. Wir werden es diesen acht Männern zeigen, die es in der Hand haben. Wir leben in einer Welt des Überflusses. Am Mangel sterben zu müssen ist moralisch ekelerregend." Das Pathos verfehlt seine Wirkung nicht. Tausende schlammbespritzter Arme recken sich in den grauen Wolkenhimmel.

Die Idee, öffentlichen Druck auf die in Gleneagles zusammentreffenden G-8- Vertreter auszuüben, ist weiter von den Zielen der ersten "Live-Aid"-Konzerte 1985 entfernt, als die äußere Ähnlichkeit der beiden Events zunächst vermuten lässt. Vor 20 Jahren ging es vor allem darum, "Direkthilfe" für die Hungernden in Äthiopien zur Verfügung zu stellen. Geldof, damals vor allem als Frontmann der "Boomtown Rats" bekannt, hatte 1984 mit der Single "Do they know it's Christmas" großen Erfolg gehabt. "Live Aid" erbrachte ein halbes Jahr später zwischen 150 und 200 Millionen Mark.

Hilflose Hilfsorganisationen

Bob Geldof ist bis heute stolz auf dieses Ergebnis, obwohl Experten wie der Autor David Rieff darauf hinweisen, dass die materielle Hilfe, die Mitte der achtziger Jahre nach Äthiopien floss, dem stalinistischen Regime Mengistu Haile Mariams mindestens ebenso sehr zugute kam wie den eigentlichen Adressaten von "Live Aid".

Die Hilfsorganisationen, die damals im Lande waren, konnten nichts gegen das brutale Umsiedlungsprogramm tun, das der Diktator vorantrieb. Viele verwalteten das Leiden nur und erduldeten Plünderungen ihrer Lager durch Mengistus Truppen, statt sich zurückzuziehen. So habe das Geld, das "Live Aid" einspielte, eine Vertreibungspolitik mitfinanziert, die mindestens 100 000 Menschen das Leben kostete, sagt David Rieff. Geldof blieb damals eisern: "Meiner Meinung nach müssen wir helfen, ohne uns über Umsiedelungen Gedanken zu machen," sagte er Ende 1985 der Irish Times.

Notfalls Schule schwänzen

Doch das Nachfolgeprojekt "Live 8" will den Hebel an einer anderen Stelle ansetzen. Diesmal will Geldof kein Geld. Er hat sich mit seinen Aufrufen einer Kampagne angeschlossen, die über punktuelle Veranstaltungen wie die Benefizkonzerte hinausgeht. Unter dem Banner "Global Call to Action against Poverty" (GCAP) haben sich Hilfsorganisationen in mehr als 70 Ländern zusammengetan.

Die "Make Poverty History"-Demonstrationen in Edinburgh waren von GCAP schon lange geplant, bevor Geldof die Schüler Großbritanniens dazu aufrief, teilzunehmen und dafür notfalls auch die Schule zu schwänzen. Die "Live 8"-Konzerte sind gleichsam Zusatzveranstaltungen, die nach Vorstellung Geldofs weltweites Interesse an dieser zentralen Kundgebung wecken sollen.

Darüber, wie hilfreich "Live 8" tatsächlich sein wird, gehen die Meinungen dennoch auseinander. So machtvoll die Massen-Symbolik auch sein mag, erscheint es vielen Beobachtern doch, als handele es sich bei den Konzerten wieder einmal um Veranstaltungen, nach denen sich vor allem Teilnehmer und Zuschauer besser fühlen, weil sie so ihre Solidarität mit der "Dritten Welt" bekunden können, ohne konkrete Schritte folgen lassen zu müssen.

Sollte der G-8-Gipfel tatsächlich einen vollständigen Schuldenerlass sowie zusätzliche und nachhaltige Hilfe beschließen, könnte sich "Live 8" einen Erfolg ans Revers heften, von dem kaum nachzuweisen sein dürfte, dass er das Ergebnis eines Pop-Events ist.

"Großartiger Manipulator"

Obwohl Bob Geldof betont, "Live 8" sei kein "Live Aid 2", werden die Konzerte nicht nur als Teil einer Bewegung, sondern auch als Jubiläumsveranstaltung wahrgenommen. Manche sehen sie auch als Selbstfeier des Organisators. Harte Kritik an Bob Geldof übt der BBC-3-Radiomoderator Andy Kershaw, der schon bald nach Bekanntgabe der Konzertpläne verurteilt hatte, dass kaum schwarze oder gar afrikanische Musiker eingeladen seien - ein Mangel, dem "Live 8" nun durch eine weitere Bühne mit afrikanischen Künstlern in Cornwall abzuhelfen versucht.

Geldof sei nicht an den Stärken, sondern nur an den Schwächen Afrikas interessiert: "Als großartiger Manipulator", meint Kershaw, "hat er sich seinen guten Ruf zurechtgebastelt und durch die Verbindung mit dem Leiden Afrikas den Mythos eines 'Heiligen Bob' geschaffen." Geldof wird das nicht anfechten. Er scheint fest davon überzeugt zu sein, dass der morgige Samstag die Welt verändern wird.

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